Politische Ideengeschichte. Ralph Weber

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Politische Ideengeschichte - Ralph Weber


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der Demokratie

      Dass Faktionen ein Problem für Volksregierungen (bzw. Demokratien) darstellen, wird zu Beginn des Federalist Paper Nr. 10 behauptet. Im direkten Anschluss folgt die Begründung. Diese soll nun im Detail betrachtet werden. Dafür wird die Textstelle auf der Grundlage der tabellarischen Gegenüberstellung von Text und Aussagen, wie sie im ersten Analyseschritt erstellt (wenngleich nur anhand der ersten Zeilen des Texts illustriert) wurde, auf Prämissen und Schlussfolgerungen hin untersucht.

Text (mit Auslassungen)Aussagen
„Instabilität, Ungerechtigkeit und Konfusion waren, wenn sie in die öffentlichen Institutionen Einzug gehalten hatten, in der Tat die tödlichen Krankheiten, an denen die Volksregierung ü berall zugrunde gegangen ist. Zugleich sind sie nach wie vor ein beliebtes und ergiebiges Thema, aus dem die Gegner der Freiheit ihre am bestechendsten wirkenden Argumente beziehen. […]. Überall hört man die Klagen der besonnensten und ehrbarsten Bü rger, die sich ebenso sehr fü r öffentliche und private Redlichkeit einsetzen wie fü r die öffentliche und persönliche Freiheit, dass unsere Regierungen zu instabil sind, dass das Gemeinwohl in den Konflikten der rivalisierenden Parteien missachtet wird und dass zu oft Maßnahmen beschlossen werden, die nicht den Erfordernissen der Gerechtigkeit und den Rechten der Minderheit entsprechen, sondern nur aufgrund der größeren Macht einer interessengeleiteten und erdrückenden Mehrheit durchgesetzt werden. [… Solche Missstände] sind wohl hauptsächlich, wenn nicht sogar ausnahmslos Auswirkungen der Unbeständigkeit und Ungerechtigkeit, mit denen der Geist der Faktionen unsere öffentliche Administration vergiftet hat.“ (P1–P2)A6: Instabilität, Ungerechtigkeit und Konfusion sind die Ursachen für das Scheitern von Demokratien. A7: Demokratiekritiker konstatieren der gegenwärtigen Ordnung eben diese Missstände. A8: Die tugendhaftesten Demokratiebefürworter konstatieren der gegenwärtigen Ordnung ähnliche Missstände. A9: Derartige Missstände sind Auswirkungen der Instabilität und Ungerechtigkeit. A10: Instabilität und Ungerechtigkeit sind Auswirkungen von Faktionen.

      Die zu Beginn des Federalist Paper Nr. 10 aufgestellte Behauptung, dass Faktionen ein Problem für die Demokratie darstellen, soll durch die Aussagen A6 und A10 begründet werden. Vereinfacht stellt sich das Argument wie folgt dar:

Argument 1a
Instabilität und Ungerechtigkeit sind die Ursache für das Scheitern von Demokratien (A6).= Prämisse
Faktionen verursachen Instabilität und Ungerechtigkeit (A10). der Demokratie.= Prämisse
Faktionen bedrohen die Demokratie.= Schlussfolgerung

      Das Argument ist – formal betrachtet – schlüssig. Die Konklusion folgt logisch aus den Prämissen. Wie überzeugend das Argument ist, hängt deshalb von der Plausibilität der beiden Prämissen ab. Während die Evaluation der Argumente erst der Gegenstand einer systematischen Diskussion des Federalist Paper Nr. 10 wäre, die an die (deskriptive) Analyse sich anzuschließen anbietet, ist bereits hier zu kontrollieren, ob der Text selbst die Prämissen untermauert. Die Aussagen A7, A8 und A9 sind hierfür nur bedingt ergiebig. Die Aussagen A7 und A8 fungieren lediglich als Prämissen für die unausgesprochene Konklusion, dass die gegenwärtige Demokratie an Missständen leidet, die in früheren Situationen zum Scheitern von Demokratien geführt haben.

Argument 1b
Instabilität und Ungerechtigkeit sind die Ursache für das Scheitern von Demokratien (A6).= Prämisse
Die gegenwärtige Demokratie leidet an Missständen wie Instabilität und Ungerechtigkeit, und zwar gemäß Kritikern (A7) wie Befürwortern (A8) der Demokratie.= Prämisse
Die gegenwärtige Demokratie ist vom Scheitern bedroht, wenn nicht sowohl die Kritiker wie die Befürworter der Demokratie falsch liegen.= Schlussfolgerung

      Die Aussage A9 behauptet schließlich ohne weitere Begründung das kausale Verhältnis zwischen den von Zeitgenossen wahrgenommenen Missständen einerseits und der Instabilität und Ungerechtigkeit der gegenwärtigen Regierung andererseits, ebenso wie die Aussage A10 einen kausalen Zusammenhang zwischen Instabilität und Ungerechtigkeit einerseits und der Existenz von Faktionen andererseits behauptet. Textimmanent lassen sich keine weiteren offensichtlichen Begründungen der Behauptung finden, dass Faktionen ein Problem für die Demokratie darstellen. Denkbar scheint lediglich, dass der Begriff des Gemeinwohls – je nachdem wie er bestimmt wird (siehe 3.2) – eine Begründung ex negativo impliziert, weil das Gemeinwohl ja den Faktionen definitionsgemäß zuwider steht.

      Argument 2: Das Problem der Faktionen kann nicht an den Ursachen behandelt werden

      Für eine Lösung des Problems der Faktionen könne man, wie zuvor festgestellt (Hauptaussage 4), entweder an den Ursachen oder den Wirkungen von Faktionen ansetzen. Im Paragrafen 5 wird daraufhin ausgeführt, dass der ursachenorientierte Lösungsansatz untauglich ist und die Paragrafen 6–8 begründen diese Behauptung mit zwei Argumenten. Das erste Argument besagt, dass Freiheit eine notwendige Bedingung für Faktionsbildung sei. Die Freiheit abzuschaffen wäre aber töricht.

Text (mit Auslassungen)Aussagen
„Bei keiner Methode könnte man mit größerem Recht sagen, dass das Heilmittel schlimmer ist als die Krankheit, als bei der erstgenannten. Freiheit ist fü r Faktionen, was die Luft fü r das Feuer ist: die Nahrung, ohne die es augenblicklich erlischt. Aber es wäre nicht weniger töricht, die fü r das politische Leben unverzichtbare Freiheit abzuschaffen, weil sie die Faktionsbildung nährt, als die Abschaffung der fü r das animalische Leben unentbehrlichen Luft zu fordern, weil sie dem Feuer seine zerstörerische Macht verleiht.“ (P6)A11: Das Mittel zur Problemlösung ist schlimmer als das Problem. A12: Freiheit ist eine notwendige Bedingung für Faktionen. A13: Freiheit ist eine notwendige Bedingung für das politische Leben.

      Die analytische Herausforderung besteht zunächst darin, den Aussagegehalt der Analogie zu identifizieren. Es ist unerheblich, ob Freiheit Ähnlichkeiten mit Luft und Faktionen Ähnlichkeiten mit Feuer besitzen; worauf es ankommt, ist das analoge Verhältnis von einerseits Freiheit/Faktionen zu Luft/Feuer sowie andererseits Freiheit/politisches Leben zu Luft/animalisches Leben. Während die erste analoge Proportion für sich allein betrachtet den logischen Schluss impliziert, dass wir die Freiheit zerstören sollten, da sie Faktionen ermöglichen, versinnbildlicht die zweite analoge Proportion die Widersinnigkeit eines solchen Schritts: Weil Freiheit eine notwendige Bedingung nicht nur für Faktionen, sondern für das gesamte politische Leben ist, schütte der ursachenorientierte Lösungsansatz das Kind mit dem Bade aus.

      Die Triftigkeit des Arguments hängt damit vor allem an der Richtigkeit der analogen Proportionen, sowie daran, ob die Aussage A13 eine plausible Prämisse darstellt. Die Textstelle betrachtet es als eine selbstevidente Wahrheit, dass Freiheit eine notwendige Bedingung für Politik darstellt, was an sich eher zweifelhaft erscheint. Indem der restliche Text mitberücksichtigt wird, erweist sich aber, dass Freiheit, Politik und selbst Regierung in einen konzeptuellen Zusammenhang mit Demokratie gestellt werden – Demokratiekritiker werden z. B. als „Gegner der Freiheit“ bezeichnet (P1) –, so dass die Abschaffung der Freiheit als Mittel zur Beseitigung von Faktionen abgelehnt zu werden scheint, weil dadurch die Demokratie abgeschafft würde. Und wie zu Beginn des Texts erläutert, wird eine Lösung für das Problem der Faktionen gesucht, das mit den Prinzipien der Demokratie kompatibel ist (P1).

      Auch das andere Argument hebt die Inkompatibilität des ursachenorientierten Ansatzes mit den Prinzipien der Demokratie hervor. Anstatt die Freiheit abzuschaffen, könne man das Problem zwar alternativ durch Gleichschaltung8 lösen – indem man „jedem Bürger dieselbe Meinung, dieselben Leidenschaften und dieselben Interessen verschafft“ (P5) – doch würde auch dadurch notwendig die Demokratie abgeschafft. Während die Behauptung nur Wenigen kontrovers erscheinen wird, ist die im Text gelieferte Begründung bemerkenswert. Denn abgesehen davon, dass es schwer realisierbar sei, die unterschiedlichen Meinungen und Leidenschaften (die Menschen nun einmal haben) anzugleichen, so Madison, dürfte eine Demokratie nicht die Eigentumsverhältnisse angleichen, die ihrerseits zur Ausprägung von unterschiedlichen Interessen führten (in P8–P10):


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