Bildethik. Christian Schicha

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Bildethik - Christian Schicha


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sehen wie die Schweißperlen auf der Stirn. Durch eine professionell eingesetzte Kameraregie kann es gelingen, einen Politiker entsprechend vorteilhaft und unvorteilhaft wirken zu lassen (vgl. Ontrup/Schicha 2001, Tenscher/Schicha 2002). Bei der Affektzeugenschaft ist die persönliche Betroffenheit der Fotografen als direkte Mitteilung zentral, sofern sie etwa Bilder von zivilgesellschaftlichen Protesten vor Ort machen und somit direkt in das Geschehen eingebunden sind. Es geht hierbei um eine persönliche Betroffenheit, aus der Gefühle von Gemeinschaftlichkeit und Solidarität resultieren können. Schrankweiler (2018) verweist in diesem Zusammenhang auf handygefilmte Amateurvideos von Polizeigewalt in den sozialen Medien. Entsprechende Aussagen in Bild- oder Videoform können durch Zirkulationen im Social Web in Form von Memen verbreitet werden, um die Effekte zu steigern und dadurch politisch wirksam zu werden. Das Teilen dieser Bilder gilt dann als Phänomen memetischer Verbreitung, um eine größtmögliche öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen (vgl. Bernhardt 2020, von Gehlen 2020). Sie treten in satirischer Form bisweilen „bewusst grenzüberschreitend und provokant“ (Grimm/Keber/Zöllner 2019, S. 244) in Erscheinung. Dabei können derartige Bilder bearbeitet und manipuliert werden, um die gewünschte Wirkung zu erreichen.

      Das Motivationsbild kann dadurch Aufmerksamkeit erzeugen, dass es sich auf sich selbst bezieht, also autoreflexiv erscheint, indem es die Aufmerksamkeit des Betrachters darauf lenkt, wie es gemacht ist bzw. unter welchen außergewöhnlichen Umständen es entstanden ist. Ungewöhnliche Kameraperspektiven lassen sich dabei auf eine besonders dramatisierende oder psychologisierende Absicht zurückführen. Sie werden bei banalen und unspektakulären Vorgängen eingesetzt, um zusätzliche Reize beim Zuschauer zu wecken, das angebotene Programm zu konsumieren. Konventionelle Handlungen, etwa in Form einer Politikerrede werden dann aus der Froschperspektive gefilmt, um einen visuellen Spannungsbogen aufzubauen.

      Beim Schachtelbild wird der Bildschirm geteilt, so dass zwei miteinander sprechende Personen gleichzeitig zu sehen sind. Bei Interviews und Korrespondentenberichten ersetzen die Redaktionen das bekannte Schuss-Gegenschuss-Prinzip durch einen elektronisch inszenierten Dialog auf dem Bildschirm. Durch diese Technik sind die wechselseitigen mimischen und gestischen Reaktionen der beiden Protagonisten zu den jeweiligen Äußerungen des Gegenübers unmittelbar wahrnehmbar. Diese Technik wird weiterhin bei Videokonferenzen mit mehreren Teilnehmern eingesetzt.

      Das Beweisbild hat die Aufgabe, in strittigen Situationen als gerechte Entscheidungshilfe zu dienen, sofern die menschliche Perspektive dies nicht leisten kann. Ein Beispiel hierfür ist der Videobeweis im Sport, der z. B. in der Fußballbundesliga eingesetzt wird. Durch Zeitlupen, Wiederholungen und spezielle Techniken kann geprüft werden, ob der Ball die Torlinie vollständig überquert hat, ein Foul- oder Handspiel vorliegt oder Spieler bei Sanktionen durch eine gelbe oder rote Karte vom Schiedsrichter den Regeln zufolge angemessen sanktioniert worden sind. Obwohl Bildinhalte zusätzlich geprüft und erklärt werden müssen, dienen sie dennoch neben den oft trügerischen Erinnerungen als Zeugenschaft für spezifische Ereignisse.

      „Das Erinnerungsvermögen freilich ist of genug vage und wird von Irrtümern (Zuordnung des Erinnerten an die Kategorien Ort und Zeit) getrübt. Deshalb können Bilder, vor allem aber Videos wegen ihrer mechanisch hergestellten sequenziellen Bildaussage häufiger dokumentarischen Charakter erlangen, sofern die reale Authentizität die Aufnahmesituation (Standort, Zeit, Beteiligte) nachgewiesen ist. In solchen Fällen besitzen sie mitunter eine erhöhte informationelle Bedeutung. Sie vermitteln mittels der subjektiven Kameraperspektive des beobachtenden Zeugen, wie sich Dinge (aus Sicht genau dieser Perspektive) im chronologischen Nacheinander zugetragen haben.“ (Haller 2008a, S. 272)

      Um spezifische Ereignisse als Erinnerung und Beweismittel zu dokumentieren, können Screenshots von Livestreams, Chatverläufen und Onlinepostings in den sozialen Medien festgehalten werden (vgl. Frosh 2019). Gleichwohl können derartige Aufnahmen verändert und manipuliert werden.

      2.9 Bildwahrnehmungen

      „Während die Wortnachricht erst durch den ‚Verdauungstrakt’ der kognitiven Informationsverarbeitung gehen muß, nehmen wir Bildnachrichten gleich intravenös auf.“ (Schulz 1996, S. 6)

      Die aktuelle Medienrezeption ist zumindest bei den älteren Zuschauern nach wie vor durch das Fernsehen geprägt, dessen Programm oftmals über einen bildorientierten und unterhaltsamen Medienstil verfügt. Gleichwohl werden Bilder nicht mehr ausschließlich über das lineare Fernsehen in Echtzeit rezipiert, sondern zeitversetzt über weitere mobile Endgeräte mit einem digitalen Zugang. Soziale Bildnetzwerke wie die Foto-Sharing-Plattform Instagram sprechen ein breites Spektrum an Nutzern an, die visuelle Inhalte einstellen, anklicken und teilen. Die Gruppe der jugendlichen Rezipienten im Alter von zwölf bis 19 Jahren konzentriert sich primär auf die Internetangebote. Einer repräsentativen Befragung von mehr als 1.000 Personen dieser Zielgruppe im Rahmen der JIM-Studie 2020 (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2020) zufolge steht YouTube mit 57 % auf dem ersten Platz. Den zweiten Platz belegt Whats-App (31 %) vor Netflix (16 %) und Google (14 %).

      Visuelle Wahrnehmungen können Zusammenhänge leichter fassbar machen. Sie bleiben länger im Gedächtnis haften als gesprochene oder geschriebene Worte. Es entsteht der Eindruck, dass Bilder einen authentischen Ausschnitt der Wirklichkeit wiedergeben, obwohl die Auswahl der Bilder, die Perspektive des Betrachters und die Schnittfolge dazu beitragen, Bearbeitungen zu ermöglichen (vgl. Forster 2003, Grittmann 2003, Schicha 2003 und 2013b, Godulla 2014, Krämer 2019).

      Aus einer normativen Perspektive gilt die hohe Glaubwürdigkeit von Bildern bisweilen als problematisch, da bildliche Informationen weit weniger kritisch rezipiert werden als vergleichbare sprachliche Informationen. Es wird bemängelt, dass durch die visuelle Kommunikation keine Argumentationskette herausgebildet wird. So argumentiert Röll (1998, S. 44):

      „Wahrnehmungsformen und Kommunikationsgewohnheiten werden zunehmend von der Logik der bildgeprägten Information und Unterhaltung bestimmt. Da der Eindruck und nicht das Argument zählt, wird logisch kausales Denken in den Hintergrund gedrängt. Bildliche (Schein-)Welten treten an die Stelle der interessegeleiteten Weltbilder des diskursiven Zeitalters.“

      Dieser Auffassung folgt Leif (2001, S. 9) ebenfalls: „(Inszenierte) Bilder, gut gestylte Stimmungen und überlegt eingesetzte Emotionen verdrängen immer mehr die Argumente oder den redlichen intellektuellen Austausch.“ Die Wahrnehmung wird durch die visuellen Sinneseindrücke beherrscht,

      „[…] nicht die Sprache oder das Denken. Geschichte und Zusammenhänge, Erörterungen, Differenzierungen und Begründungen langweilen eher, erscheinen als unbestimmt und problematisch. Sie lenken ab, verscherzen Aufmerksamkeit, vergraulen das Publikum, verderben das Geschäft. Sie passen nicht zum Bildmedium und seinen Möglichkeiten.“ (Meyer 1995, S. 55)

      Insgesamt wird der sprachliche Argumentationsstil durch einen bildlichen ergänzt, und die Bilder besitzen nicht mehr nur die Funktion, Sprache oder Texte zu ergänzen oder zu illustrieren. Faktisch werden zentrale Informationen und Emotionen über Bilder transportiert, die unterschiedliche Wirkungen bei den Betrachtern auslösen können.

      2.10 Bildwirkungen

      Es ist Kroeber-Riel (1993) zufolge davon auszugehen, dass immer mehr Menschen Bildeindrücke zur Grundlage ihrer Überzeugungen machen und die Bildkommunikation einen entscheidenden Beitrag leistet, das Verhalten zu beeinflussen. Einerseits wird Bildern die Eigenschaft zugeschrieben, eine wahrheitsgetreue Abbildung der Wirklichkeit zu bewerkstelligen. Anderseits bestehen Möglichkeiten, Bilder zu inszenieren, zu bearbeiten und zu manipulieren. Dennoch wirkt die bildliche Darstellung in der Regel realistisch. Es gelingt ihr bisweilen stärker, eine emotionale Regung zu erzeugen, als die verbale Codierung von Informationen.

      Eine eindimensionale Wirkungsdimension kann bei der Medienrezeption grundsätzlich nicht vorausgesetzt werden. Hall (1980) hat in seinem encoding/decoding-Modell


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