Internationale Migrationspolitik. Stefan Rother

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Internationale Migrationspolitik - Stefan Rother


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Beruf außerhalb ihrer Heimat nachgingen“ (Tausend 2012, S.15), und eine wichtige Rolle beim „Kulturtransfer“ zwischen Ost und West (Bredow 2012) gespielt haben.1 In der Neuzeit wird der Beginn der „gezielten Rekrutierung von Arbeitsmigranten“ im späten 19.Jahrhundert mit den USA in Verbindung gebracht (Münz 2009), die infolge des wachsenden Arbeitskräftebedarfs Migrant*innen aus China anwarben. Aber auch die Briten hatten nach dem Ende der Sklaverei umfangreiche Arbeitskräfte-Transfers zwischen ihren Kolonien, und auch das deutsche Kaiserreich kannte Arbeitsanwerbung aus dem Ausland, wie schon Max Weber in seinen Studien zur ostelbischen Landwirtschaft ausführte (Weber 1892, S.914; Bade 2000).

      Arbeitsmigration im großen Stil ereignete sich vor allem seit Mitte des 20. Jahrhunderts. So kam es zwischen 1942 und 1964 in den USA zu einer umfangreichen gesteuerten, temporär orientierten Rekrutierung von mexikanischen Arbeitskräften im sogenannten ‚Bracero-Program‘ (Münz 2009). In Europa findet zu dieser Zeit Arbeitskräfteeinwanderung zunächst in Frankreich und der Schweiz statt, die somit ebenfalls traditionsreiche Einwanderungsländer in Bezug auf Arbeitsmigration sind (ebd.). Die anderen Länder in Westeuropa zogen mit der fortschreitenden Wirtschaftsentwicklung nach und begannen ebenfalls auf Basis bilateraler Verträge zumeist geringqualifizierte Arbeitskräfte aus Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Nordafrika, der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien zu rekrutieren (Oltmer et al. 2012). Diese „Internationalisierung der europäischen Arbeitsmärkte führte mehr als 30 Millionen Menschen nach Westeuropa“ (Münz 2009).

      Im Rahmen der deutschen ‚Gastarbeiter‘-Anwerbung kamen dabei zwischen 1955 und dem Anwerbestopp 1973 rund 14 Millionen ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland. Etwa 11 Millionen dieser Männer und Frauen gingen in ihre Herkunftsländer zurück, 3 Millionen Menschen blieben jedoch dauerhaft in Deutschland und holten ihre Familien nach. (Bade und Oltmer 2007) Das sogenannte ‚Wirtschaftswunder‘ ab Anfang der 1950er Jahre führte in Deutschland zu einem so hohen Bedarf an Arbeitskräften, dass der nationale Arbeitsmarkt ihn nicht mehr zu decken vermochte („Vollbeschäftigung“). Gesucht wurden zu Beginn insbesondere un- oder geringqualifizierte Arbeitskräfte für die Landwirtschaft und den Bergbau, später weitete sich dies auf die Industriearbeit aus. Das erste Land, mit dem Deutschland dabei ein Anwerbeabkommen schloss, war Italien im Jahr 1955. Fünf Jahre später folgte ein Abkommen mit Spanien und Griechenland. Ein Abkommen mit der Türkei wurde 1961 geschlossen, es folgten noch Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968). Der ‚Ölpreisschock‘ als Symbol für das vorläufige Ende des enormen deutschen Wirtschaftswachstums im Jahr 1973 führte zum Anwerbestopp am 23. November 1973, der ein weitgehendes Verbot der weiteren Einreise von Drittstaatsangehörigen für eine Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland bedeutete.

       Der ‚Gastarbeiter*in‘-Begriff

      Der Begriff des Gastarbeiters bzw. der Gastarbeiterin implizierte „[…] eine beruflich-soziale Klassifizierung mit dem Schwergewicht auf un- bzw. angelernten Arbeiten […]“ (Bade und Oltmer 2007, S, 160). Die Wortschöpfung zielte außerdem auf die zeitliche Begrenzung des Aufenthalts der ausländischen Arbeitnehmer*innen – er bzw. sie war ein ‚Gast‘, der bzw. die nur für eine begrenzte Zeit als Arbeitskraft willkommen war und nach Ende seines bzw. ihres Arbeitsturnus das Land wieder verlassen sollte. Der Begriff hatte sich umgangssprachlich in den 1960er Jahren eingebürgert, wurde von staatlicher Seite jedoch nie verwendet. Hier fand ausschließlich der Begriff ‚Ausländer*in‘ Verwendung (Geißler 2008). Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch prägte im Rahmen der Diskussion um die rechtliche und integrationspolitische Situation der ‚Gastarbeiter*innen‘-Einwanderung das berühmte Diktum: „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“.

      Auch außerhalb Europas und Nordamerikas findet Arbeitsmigration in großen Umfang statt. Insbesondere die ölreichen arabischen Staaten haben sich in den letzten Jahrzehnten zu einem wichtigen Aufnahmeland von Arbeitsmigrant*innen entwickelt, allen voran Saudi-Arabien. Aber auch in allen anderen Regionen wächst der Umfang an Arbeitsmigration. Insgesamt wird die Zahl der internationalen Arbeitsmigrant*innen von der International Labour Organisation (ILO) im Jahr 2017 auf rund 164 Millionen Arbeitskräfte geschätzt (ILO 2018). Arbeitsmigration macht damit den Hauptteil der internationalen Migration aus. Dabei ist ein Trend zu beobachten, dass die Zahl der geringqualifizierten Arbeitsmigrant*innen eher moderat angestiegen, in einigen Ländern sogar zurückgegangen ist, während die Zahl der hochqualifizierten Migrant*innen schnell anwächst. Dies hat verschiedene Ursachen: Zum einen sinkt die Nachfrage nach geringqualifizierten Arbeitskräften auf höher entwickelten Arbeitsmärkten tendenziell durch Automatisierung und Digitalisierung, zum anderen ergreifen immer mehr Länder eine restriktivere Einwanderungspolitik gegenüber geringqualifizierten Arbeitskräften.

      Abbildung 22:

      Anteil der Arbeitsmigration an der Gesamtmigration 2017 (in Millionen)

       Quelle: ILO 2018, S.6.

      Insgesamt findet Arbeitsmigration vor allem von ärmeren in reichere Regionen der Welt statt. Über zwei Drittel aller Arbeitsmigrant*innen leben in sog. Hochlohnländern, weitere 20 Prozent in Ländern mit höherem oder mittlerem Einkommen. Dementsprechend entfällt der Großteil der Arbeitsmigration auf Regionen mit überwiegend hohem Einkommen: ca. ein Drittel auf Europa, knapp ein Viertel auf Nordamerika und rund 15 Prozent auf die arabischen Staaten. Das restliche Viertel der Arbeitsmigrant*innen verteilt sich auf die anderen Regionen.

      Abbildung 23:

      Verteilung der Arbeitsmigration auf Hoch- und Niedriglohnländer 2017

       Quelle: ILO 2018, S.10.

      Abbildung 24:

      Verteilung der Arbeitsmigration auf die Weltregionen 2017

       Quelle: ILO 2018, S.15.

      4.3 Motive und Erscheinungsformen der Arbeitsmigration

      Diese Zahlen legen nahe, dass ein Hauptmotiv der Arbeitswanderung die höheren Löhne in den OECD-Ländern sind. Tatsächlich stellen ‚höhere Löhne‘ aber immer nur ein Motiv für Arbeitsmigration neben verschiedenen anderen Faktoren dar, wie wir auch im Kapitel 2 Migrationstheorien gesehen haben. So spielen Netzwerke eine Rolle oder auch der Reiz, einmal im Ausland gearbeitet zu haben. In der Realität ist es häufig ein Mix aus verschiedenen Gründen, Hoffnungen, aber auch Zwängen, die Menschen dazu veranlassen zu migrieren. „Migrationsentscheidungen unterliegen in der Regel multiplen Antrieben“, wie der Migrationshistoriker Jochen Oltmer schreibt (Oltmer 2013, S.33).

      Ohne Zweifel können aber in der Globalisierung und in der fortschreitenden Ausdifferenzierung von globalen Wertschöpfungsketten und Leistungserstellungsprozessen wesentliche Triebkräfte für die zunehmende Internationalisierung von Arbeit gesehen werden (Pries 2010). So verlassen sich bereits viele Branchen auf den Einsatz von billigeren Arbeitskräften aus dem Ausland, um ihre Produktion kostengünstiger und damit weltmarktfähiger zu gestalten. Ein Beispiel sind etwa Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft, ohne die die Ernte in vielen Ländern der OECD-Welt gar nicht mehr eingefahren werden könnte. „Durch den weltweiten Transfer von Kapital und Gütern“ ist zudem ein wachsender „globaler Arbeitsmarkt für hochqualifizierte Arbeitskräfte entstanden“ (Hödl et al. 2000, S.14), auf den wir → im Kapitel 5 Migration von Hochqualifizierten näher eingehen.

      Ein weiterer Faktor ist in der demografischen Entwicklung zu sehen. So ist für die alternden Gesellschaften Europas, aber auch in anderen Teilen der OECD-Welt, eine zunehmende Arbeitskräftesicherung aus dem Ausland eine der wichtigsten Herausforderungen der Zukunft. Wie wir schon im → Kapitel 1 Grundbegriffe und aktuelle Trends gesehen haben, werden viele reiche Staaten (allen voran Deutschland und Japan) in Zukunft in großem Maße auf Arbeitszuwanderung angewiesen sein, wollen sie ihre herausgehobene Stellung im Weltmarkt nicht verlieren. Laut einem Bericht der Europäischen Kommission das Erwerbspersonenpotential bis 2070 EU-weit um 18 % zurückgehen (Europäische Kommission


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