Soziale Arbeit. Johannes Schilling
Читать онлайн книгу.Diagnosen v. a. alle wichtigen psychosozialen Daten mit den KlientInnen zusammen erhoben werden.
Phasenmodell
Weiterhin entwickelte sie ein Phasenmodell professionellen Helfens, das sechs Schritte vorsieht:
■ Erkundigungen einziehen,
■ Ressourcenermittlung in der Lebenswelt,
■ stellvertretende Deutung,
■ Hilfeplan erstellen,
■ Interventionen,
■ Evaluation (Stimmer 2012, 273).
erste Soziale Frauenschule 1908
Entscheidend für diese Aufgaben der Wohlfahrtspflege waren für Salomon dafür ausgebildete soziale Fachkräfte. 1908 gründete Salomon im Berliner Pestalozzi-Fröbelhaus schließlich die erste zweijährige, überkonfessionelle Soziale Frauenschule in Deutschland und wurde bis 1927 deren erste Direktorin. Sie war aber nicht nur die Gründerin der ersten Ausbildungsstätte, sondern ab 1925 auch der ersten Weiterbildungsinstitution für die Fürsorgerinnen der „Deutschen Akademie für Soziale und Pädagogische Frauenarbeit“. 1929 gründete sie auch das wegweisende „Internationale Komitee Sozialer Frauenschulen“.
Das entscheidend Neue in der Wohlfahrtspflege war die Aufteilung in zwei öffentliche Funktionsbereiche: Sozialpolitik, die zuständig war für die „äußere“, materielle Not des Menschen und die Wohlfahrtspflege, die für die „innere“ Seite, die Not der Ansprechpartner war. Man ging nicht mehr davon aus, welche Schwierigkeiten eine Person machte, sondern welche sie hatte.Alice Salomon hatte diese Überlegungen wissenschaftlich zusammengefasst und 1908 die erste zweijährige, überkonfessionelle „Soziale Frauenschule“ in Berlin und 1925 die „Deutsche Akademie für Soziale und Pädagogische Frauenarbeit“ als erste Fortbildungsinstitution für die Fürsorgerinnen gegründet. Sie ist mit dem „Internationalen Komitee Sozialer Frauenschulen“ dann auch die ersten Schritte hin zu einer Internationalisierung der Sozialen Arbeit gegangen. |
1.5 Volkspflege im Nationalsozialismus (1933–1945)
NS-Volkswohlfahrt
Zum Ende der Weimarer Republik waren in Deutschland Millionen Menschen ohne Arbeit, mit den katastrophalen Folgen gesellschaftlicher Verelendung, die sich auch verheerend auf die Sozialpolitik und das Fürsorgesystem auswirkten. Die Stoßrichtung der einsetzenden Sozialpolitik der nationalsozialistischen Parteidiktatur zielte zunächst auf die Einrichtung von Arbeitsbeschaffungsprogrammen und der schrittweisen politischen Gleichschaltung, bzw. auch der Zerschlagung der öffentlichen und privaten Fürsorgestrukturen der Republik. Zu den ersten organisatorischen Schritten der nationalsozialistischen Wohlfahrtspflege gehörte bereits 1932 die Gründung einer eigenen Wohlfahrtsorganisation, die „Nationalsozialistische Volkswohlfahrt“ (NSV). Das gesamte Wohlfahrtswesen aus der Weimarer Republik wurde über einen enthumanisierenden „Paradigmenwechsel“ nach und nach von der NSV übernommen. Dies bedeutete, dass die „Für“Sorge durch staatlich organisierte „erb- und rassenbiologische“ Maßnahmenkataloge zur „Volks“Pflege, d.h. zur „Erb- und Rassenpflege“ wurde. Den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden blieb lediglich die Sorge für die so genannten „Minderwertigen“ (Kriminelle, Obdachlose, Arbeitsscheue, Erbkranke, Anstaltsinsassen aller Art) (Mason 1977; Kramer 1983; Baron 1983/86; Vorländer 1988; Zeller 1994).
Die nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) verfolgte drei Hauptziele:
Ziele
1. Reduzierung von öffentlicher (materieller) Fürsorge: Die Fürsorge während der Weimarer Zeit sei zu großzügig gewesen und die Unterhaltsmittel falsch verteilt worden. Vorsorge müsse in den Vordergrund treten. Die „unwirtschaftliche“ Fürsorge für die „sozial Untüchtigen“ wurde radikal gekürzt.
2. Orientierung der Fürsorge am „Volksganzen“: Die Orientierung am Einzelschicksal wurde zugunsten einer Orientierung am „Volksganzen“ aufgegeben. Die „Befürsorgung minderwertiger“ Menschen war ganz aufzugeben. Die nationalsozialistische Volkswohlfahrt betreute nur aus ihrer Sicht förderungswürdige so genannte „erbgesunde und wertvolle“ Familien. Die Klientel der NSV wurde eingeteilt in „förderungsunwürdige“ und „förderungswürdige“ Menschen.
3. Schutz vor so genanntem „Kranken-Erbstrom“: Durch gezielte Maßnahmen, wie ab 1933 die Zwangssterilisierung und ab 1939 die Ermordung hilfloser behinderter Menschen, sollte die abendländische Kultur bzw. die „arische Rasse des deutschen Volkes“ künftig vor „ungesundem Erbgut“ und „kranken Erbströmen“ geschützt werden. Um diese Ziele zu erreichen, führte man zunächst nur wenige Gesetzesänderungen durch. Die aus der Weimarer Republik stammenden Gesetze mussten lediglich restriktiv ausgelegt werden. Dazu reichte eine entsprechende Personalpolitik. Dann änderten die Nationalsozialisten aber nach und nach die Sozialgesetzgebung, bzw. gaben neue Verwaltungserlasse heraus, die aber häufig schon im vorauseilenden Gehorsam durch die Sozialverwaltungen befolgt wurden (Gruner 2002).
neue Ethik
Man muss festhalten, dass die in der Sozialen Arbeit (Volkspflege) Tätigen an der Umsetzung der Politik der Entartung und der Durchsetzung der dazu gehörenden neuen Ethik von der ungleichen Wertigkeit der Menschen in vielfältigen Formen beteiligt waren. Sie haben in der großen Mehrzahl das neue Konzept der ausgrenzenden Volkspflege mitgetragen (Kuhlmann 2012, 88, 92).
Man kann zusammenfassend sagen, dass die Entwicklung der Sozialen Arbeit nach der Machtübernahme Hitlers 1933 durch einen dramatischen und enthumanisierenden Paradigmenwechsel bestimmt wurde und dass man nach dem Kriegsende dort wieder ansetzen musste, wo man vor 1933 aufgehört hatte. |
1.6 Nach dem Zweiten Weltkrieg: Bundesrepublik Deutschland (seit 1945)
Der Wiederaufbau des sozialen Netzes nach dem Zweiten Weltkrieg verknüpfte zwei Linien:
Neubeginn
1. Die sozialen Fachkräfte versuchten wieder dort anzusetzen, wo der Ent- wicklungsprozess der Fürsorge bzw. der Sozialen Arbeit als Ausbildungssystem und Profession durch den Nationalsozialismus auf dramatische und enthumanisierende Weise unterbrochen worden war. So hielt man in der 1949 entstandenen Bundesrepublik zunächst noch einige Jahre am bestehenden System der Weimarer Republik der Sozialversicherungen und Renten grundsätzlich fest. Es gab vorerst auch keinen Anlass zur Veränderung, zumal die Westalliierten das deutsche System der Sozialversicherung allgemein als fortschrittlich und vorbildlich ansahen. Im Wesentlichen galten die gesetzlichen Grundlagen der Weimarer Republik weiter.
2. Durch die Beeinflussung der Westalliierten wurde der Wiederaufbau der Sozialen Arbeit nach dem Muster des Sozialwesens in England und den USA geprägt. Man übernahm, zunächst recht unkritisch, die so genannten modernen „klassischen Methoden aus dem Social Work“: Casework/ Einzelhilfe, Groupwork/Gruppenarbeit und Community Work/Gemein- wesenarbeit.
Mit einer Reihe von gesetzlichen Grundlagen versuchte die damalige Bundesregierung die Probleme der Nachkriegszeit in den Griff zu bekommen. Hier sollen nur zwei exemplarisch genannt werden:
JWG (1961)
■ Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) von 1961 mit verschiedenen Neufassungen bis zur Neuformulierung im „Kinder- und Jugendhilfegesetz“ (KJHG) von 1991
BSHG (1961)
■ Das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) von 1961/62 und Vorläufer unseres heutigen neuen Sozialgesetzbuches (SGB). Das Gesetz sollte dazu beitragen:
– ein menschenwürdiges Dasein für alle BürgerInnen zu sichern,
– gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu schaffen,
– die Familien zu schützen und zu fördern,
– den Erwerb des Lebensunterhaltes durch eine frei gewählte Tätigkeit zu ermöglichen und
– besondere Belastungen