Die Schamanin. Hans-Peter Vogt
Читать онлайн книгу.erwiesen.“
Alvarez prüft die Steine. „Die sind aber nicht aus Peru“, sagt er, und er sieht sie an. „Das ist eine seltene Qualität. Ich würde sagen, die stammen aus Nepal. Dort gibt es so etwas.“
Er wiegt und rechnet. „Ich würde dir für diese Steine 5 Millionen Euro geben. Aber ich habe nicht soviel Geld. Wenn du einverstanden bist, dann arbeite ich die Steine in Schmuck ein und wir verkaufen das in unserem Juwelierladen im Hotel. Das dauert insgesamt vielleicht zwei oder drei Jahre, aber der Gewinn wird noch etwas höher sein. Natürlich kannst du das auch in New York, Amsterdam oder London anbieten. Dort gibt es potente Aufkäufer, aber dort wird man dir unangenehme Fragen stellen.“
Solveig überlegt, dann gibt sie dem Mann 12 dieser Steine. „Schleife sie und arbeite sie ein. Wenn du mehr brauchst, dann sage Bescheid.“ Den Rest schiebt sie in den Beutel zurück.
So kommt es, dass in dem großen Hotel in Ciudad del Sol nun neben vielen antiken Stücken, teuren Uhren, Schmuck und indianischen Handarbeiten auch Ringe und Ketten mit diesen Steinen angeboten werden.
Da das Hotel stets hochkarätige Gäste beherbergt, sind die ersten Stücke innerhalb von zwei Monaten verkauft. Es gibt genug Industrielle, die das Hotel ansteuern und ihrer Frau oder der Geliebten solch ein Stück schenken wollen. Was sind schon 30.000 oder 100.000 Euro, wenn man eine geschickte Geliebte bei Launen hält, oder die Frau glücklich macht, die Mehrheitsanteile an dem Unternehmen hält, das du als Präsident oder als Geschäftsführer leitest.
6.
Es gibt noch andere solcher Vorfälle.
Der Staat New York war in den letzten Jahrzehnten von mehreren Flutwellen getroffen worden und er hatte schlimme Stürme erlebt. Die Klimaveränderung traf den nordamerikanischen Kontinent mit aller Wucht. Schon in der Zeit, wo das Maunder-Minimum noch aktiv war, hatte Nordamerika mit einer Vielzahl von Tornados zu kämpfen, und mit Orkanen, welche die Wellen peitschten, Sturmfluten verursachten und Häuser in sich zusammenstürzen ließen. Als diese Periode vorüber war, traf die Auswirkung der Klimaveränderung die USA mit voller Wucht. Dürren im Mittelwesten. Ein versiegender Golfstrom. Orkane von unermesslicher Wut, die ganze Küstenabschnitte verschlangen.
Viele der „Barone“ der Unterwelt verdienen an diesen Katastrophen. Versicherungen, die Leistungen entweder garnicht, oder nur kleine Beträge auszahlen, Baufirmen, die minderwertiges Material liefern, Immobilienpreise, die in den Keller rutschen, damit Grundstücke dann wieder günstig zurückgekauft werden können. Wenn die Lage sich einigermaßen beruhigt, werden die Gebäude vermietet oder verkauft. Es gibt viele Möglichkeiten, an solchen Unwettern zu verdienen.
Die großen Barone hatten ihre Wohnsitze schon längst von der Küste zurückgezogen. Zu gefährlich. Sie waren von den Küstenabstrichen weg gezogen, nach Harrisburg, nach Springfield, dort wo es ruhiger ist, oder gleich an die großen Seen in Cleveland, Michigan und Wisconsin, an den Ontariosee, den Eriesee, den Hudson See, oder den Michigan See. Dort bieten sie ihren Familien ein neues Zuhause. Es gibt dort Golf Clubs, Reitschulen, Ranches, Yachten. Die Geschäfte an der Ostküste laufen natürlich weiter, dort, wo die Menschen zurückblieben, die nicht genug Geld hatten, um ihren Wohnsitz zu verlegen. Auch die Banken und die Börse in New York blieb. Allerdings wurde New York zu einer Art Festung ausgebaut, geschützt von Hunderten von Deichen, Sperren und Schleusen. Selbst Miami war ins Landesinnere verlegt worden. Mit der Stadt waren auch die ganzen Spielkasinos umgezogen.
Es gibt jetzt auch diese neuen Kleinflugzeuge in der Form von Flundern, mit denen man bequem von dem neuen Wohnsitz nach New York, Boston oder Florida fliegen kann, im Handumdrehen. Die Familie von Solveig produziert diese Flieger in Spanien, in den USA und in einem Zweigwerk in Thailand. Sie fliegen nur mit Sonnenenergie und Wasserstoffzellen und können bequem auf dem Dach eines Hochhauses oder im Garten landen und starten.
Man muss nicht mehr in den ehemaligen Zentren der Macht wohnen.
Eine dieser Familien hat einen Landsitz in der Nähe der kleinen Stadt Alpena, etwa 600 Km von Chicago entfernt, direkt am Ufer des Lake Huron, und noch ein Landgut in der Nähe von Thunder Bay am Lake Superior. Man kann mit Booten von einem Landsitz zum andern fahren. Naja. Auch das sind etwa 600 Km, aber es gibt schnelle Sportboote, und auch die fahren inzwischen mit Solarstrom, Gas und Wasserstoffzellen. Es sind große Seen, dort im Nordosten der USA, an der Grenze zu Kanada, und man kann die Geschäfte leicht über Kanada abwickeln. Auch wenn die kanadische Polizei eine der härtesten Truppen ist, gibt es genug Polizeisergeanten oder Offiziere, die ein Auge zudrücken, oder die dich warnen, wenn der Scheck stimmt. Naja. Schecks gibt es schon lange nicht mehr. Ist nur so eine Redensart.
Es gibt verbotenen Grenzverkehr und die Familie hat einige sehr schnelle Boote und noch schnellere Kleinflieger.
Man hatte in den letzten Jahrzehnten auch neue Ölfunde in der völlig aufgetauten Baffin Bay vor Grönland gemacht. Es hatte ziemlich Streit gegeben zwischen Kanada, Dänemark, Russland und den USA, um die Bohrrechte. Schiffe waren gekapert worden. Es hatte Sabotage gegeben. Es war fast zum Krieg gekommen. Schließlich hatte man sich mehr oder weniger geeinigt und beutete die Ölvorkommen aus. Im Bereich des Schiffsverkehrs war das Erdöl als Energiequelle schon immer überlebenswichtig gewesen. Kein Übersee-Frachtverkehr ohne einen leistungsfähigen Diesel, und die großen Flotten von schwimmenden Hotelschiffen verbrauchen Diesel in gewaltigen Mengen, um in stürmischer See sicher und schnell durch die Wellen zu steuern. Es hat sich sogar ein reiner Katastrophentourismus entwickelt. Die USA waren noch nie ein Vorreiter in ökologischer Fortbewegung oder ökologisch vertretbaren Abbaumethoden. Das rächte sich jetzt, aber der ökologische Lernprozess in den USA ist schon längst auf einem Level, wo man freundlicherweise von Stagnation sprechen muss, und das trotz der vielen Fortschritte, die es in Teilen der Gesellschaft gibt, und bei denen die Familie von Solveig ein Vorreiter ist.
Auch die Familie von John Deer profitiert von diesen Ölfunden. Sie ist außerdem im Waffengeschäft und mischt bei den Gewerkschaften und im Geschäft illegaler Arbeitskräfte mit. Es gibt in der Familie eine fast militärische Struktur, mit Leutnants, Generälen und Fußvolk.
Auch hier ist es so, dass der Patriarch der Familie sich mehrere Gestüte hält. Man kann die Frauen, die Schwiegertöchter und die Mädchen der Sippe damit beschäftigen. Man kann die Kinder und Enkelkinder damit trainieren. So, wie ein schnelles Boot, ein Geländewagen, oder eines dieser Kleinstflugzeuge, sind auch Pferde oder Windhunde Statussymbole, die man sich gönnt. Dass man die Schwiegertöchter oder Töchter später mit lukrativen Geschäften im Bereich Beauty oder Immobilien versorgt, ist selbstverständlich. Gut dotierte Börsen-oder Hoteljobs sind genauso beliebt, wie Jobs bei illegalen Wetten, aber letztere sind eher die Domain von Söhnen und Schwiegersöhnen. Das Klima in diesem Metier ist rauh.
John Deer hat eine eigene Zucht und er lässt die Pferde bei Rennen mitlaufen. Er hat verschiedene kostbare Pferde-rassen und er besitzt auch zwei dutzend dieser Arans aus Solveigs Familie, jener besonderen Züchtung in der Araber und Mustangs die Hauptlieferanten dieser einmaligen Gene sind.
Auch wenn er eigene Pferde bei Rennen laufen lässt, so hindert ihn das nicht daran, Pferdewetten zu beeinflussen, Jockeys zu bestechen, zu dopen oder fremde Pferde krank zu machen. Es gibt viele Möglichkeiten, von solchen Wetten zu profitieren.
Solveig weiß das, aber das sind in Solveigs Augen verhältnismäßig „kleine Vergehen“. Es verlieren entweder Männer, die ohnehin genug Geld haben, oder „der kleine Mann“, der nur ein paar Dollar wettet.
Manchmal verdient „der kleine Mann“ sogar unverhofft von solchen illegalen Geschäften, wenn er zufällig auf das richtige Pferd setzt, und weil er keine Ahnung von Pferden hat.
Es gibt andere Dinge, welche schlimmer sind, als so etwas. Auch das gibt es in John Deers Familie, wie Schlägertrupps und Killerkommandos.
Wie auch immer. Solveig weiß längst davon. Sie kommt, um die Pferde der Familie zu behandeln. Sie kommt, als Vermittler zu ihrer Familie, und sie kommt, um der Familie von John Deer in die Köpfe zu kriechen, ohne das dies überhaupt wahrgenommen wird, nicht aber, um zu richten oder um zu streiten.