Der Clan der Auserwählten. Hans-Peter Vogt
Читать онлайн книгу.drücken noch etwas ganz anderes aus. Ich bin sehr lässig. Ich bin cool. Du kannst mir nichts. Wieder andere explodieren geradezu vor Aggression und Verdrängung. Sie haben eine mächtige Aura um sich gelegt. Er studiert diese Signale aufmerksam. Diese Wesen sondieren auch Körpergerüche ab, welche ähnliche Signale signalisieren, oder sie sprayen sich mit seltsamen Duft- und Lockstoffen ein.
Nun also verfolgt er diese kleine Gruppe aus drei Personen. Sie sprechen anders, als die anderen Menschen hier. Nein, nicht immer, nur dann, wenn sie sich miteinander unterhalten. Sonst sprechen sie die Sprache der Anderen, aber irgendwie ungeübt, und es gelingt ihnen nicht alles so auszudrücken, wie sie es wollen, obwohl sie diese Sprache ziemlich gut beherrschen. Nur die Körpersprache ist dieselbe, und sie kennzeichnet diese Gruppe aus als Menschen, so wie die anderen. Er hat auch schon festgestellt, dass Menschen eine unterschiedliche Hautfarbe haben, und dass dies manchmal eine soziale Rangordnung symbolisiert.
Für Artemis ist das eine neue Information, und nachdem die kleine Gruppe gegessen und sich frisch gemacht hat, folgt er ihnen in dieses Motorhome, das sich kurz darauf in Bewegung setzt.
Artemis hat schon mitbekommen, dass diese kleine Gruppe etwas macht, was sie als Urlaub bezeichnet. Die Eltern des Kindes erfüllten sich einen lang gehegten Traum, einmal quer durch die USA zu reisen. Die Nebenstraße hier hat die Nummer 66, nicht zu verwechseln mit der legendären historischen Route 66, die von Chicago nach Los Angeles verläuft. Sie waren in New York gestartet, waren auf der Interstate 80 quer durch Michigan gefahren, über Cleveland, Chicago und im Süden der großen Seen, die Kanada und die USA voneinader trennen. Sie hatten Omaha passiert und sie sind jetzt auf dem Weg nach Chayenne, Salt Lake City und Sacramento bis zu ihrem Ziel in San Franzisco. Dort werden sie einen Flieger besteigen und zurück nach Deutschland fliegen. Artemis findet das alles sehr spannend.
Er nimmt diese Reise als willkommenes Geschenk, um mehr von diesem Planeten zu lernen. Er dockt sich einfach an diese Stoffe an, die von den Menschen als Kleidung bezeichnet werden. Unsichtbar. Er lebt von den Salzen, die von den Menschen ausgeschieden werden, von Aminosäuren, von ihrer Wärme, von Fett und von in Zellen abgelagertem Wasser, von ihrem Urin, dem Speichel, dem Kot und den Schuppen, die er als abgestorbene Haut identifiziert, von den Gasen, die sie absondern, aber auch von der Umgebungs-Luft. Für Artemis sind das alles nur Zell- und Energieformen, die ihn am Leben erhalten. So etwas wie Ekel ist ihm fremd. Er begreift schnell, dass die Menschen das anders sehen als er, und auch das erstaunt ihn. Die Menschen haben zu ihrer Körperlichkeit und zu ihrer Umgebung eine seltsam gestörte Verbindung. Sie waschen sich mit Seife, um ihren Schweiß loszuwerden. Sie putzen sich die Zähne, um ihren Atem frisch zu machen, sie waschen sich mehrfach am Tag ihre Hände, angeblich, um sie von Schmutz zu befreien, oder beträufeln sich mit Duftstoffen, die sie Parfüm und Rasierwasser nennen.
Manchmal gehen sie in eines der Motels entlang dieser über 5.000 Km langen Fernstraße, nur um ausgiebig warm zu duschen. Sehr oft verlassen sie die Interstate 80, um kleine Orte und Städte, Seen oder Flusslandschaften anzufahren. Mit Hilfe des von ihnen genutzten Navigationsgerätes ist das sehr bequem, und Artemis kann diese elektronische Hilfe schon nach kurzer Zeit entschlüsseln.
Die Eltern des Mädchens machen aber auch etwas, was Artemis als Akt der Fortpflanzung erkennt. Sie tun das nur heimlich, wenn ihre Tochter bereits schläft, und Artemis beobachtet sie dabei. Er kriecht in ihre Köpfe und in ihre Körper und sieht die männlichen Samenzellen, die in die Vagina der Frau gespritzt werden. Er sieht auch, wenn die Frau geschlechtsreif wird, und er sieht, dass sie täglich Pillen schluckt, um die Fruchtbarkeit zu verhindern. So dumm ist das nicht, findet er. Es schützt vor einer ungehemmten Vermehrung. Er versteht anfangs nur nicht, warum sie das heimlich tun. Zellteilung und Zellvermehrung ist doch der normalste Vorgang auf der Welt. So etwas, wie Scham ist ihm fremd.
Artemis begleitet diese Gruppe, bis sie in Frisco ankommen, und dort beschliesst er, ihnen in dieses Flugzeug zu folgen, das sie nach Berlin bringen wird, mit Zwischenlandung in New York und Paris.
Noch etwas ist völlig neu. Die Beziehungen zwischen den Menschen sind durch etwas gekennzeichnet, das sie Geld nennen. Manchmal sind das Scheine, manchmal Münzen, und manchmal Plastikarten, die sie Credit Card nennen. Artemis kann schnell lesen, was diese Chipkarten gespeichert haben. Es ist ein Leichtes, diese Magnetkarten zu entziffern, und er kann problemlos Kontakt aufnehmen zu Konten und Banken, zu Computern und Sicherungssystemen. Es sind einfach nur Systeme aus zusammengesetzten Nullen und Einsen. Völlig Simpel.
Artemis findet auch schnell heraus, dass diese Familie reichlich von dem besitzt, was hier als Geld bezeichnet wird. Die Eltern des Kindes sind selbständige Broker. Er hört ihre Telefonate mit. Er sieht, was sie auf ihren Laptops eintippen, wenn das Kind schlafen gelegt worden ist. Er kriecht in ihre Köpfe und beobachtet sie bei ihren Geschäften, denn obwohl sie Urlaub machen, können sie nicht von ihren Geschäften lassen, und dann werden große Summen hin- und hergeschoben, von dem, was diese Menschen Geld nennen. Nicht nur das. Aktien, Wertpapiere, Kommissionen, Obligationen, Rohstoff-Optionen. Es gibt einen intensiven Handel mit Gütern, die den Menschen offenbar wertvoll sind. Man kann sie auf dem Rechner nicht sehen, aber Artemis kann die Zahlen sehen, die da hin- und hergeschoben werden, um etwas zu machen, das sie profit nennen.
Artemis kann die Zusammenhänge noch nicht komplett verstehen, aber er lernt.
Er beobachtet die Eltern auch bei ihren Telefonkonferenzen, die sie hin und wieder mit Anlegern führen. Sie investieren nur selten eigenes Geld. Sie verwalten das Geld anderer, um es zu vermehren, wie sie nicht müde werden zu versichern. Für diese Arbeit kassieren sie eine Gebühr, Spesen und einen Bonus. Aber ja, es kommt auch vor, dass sie eigenes Geld investieren. Er beobachtet sie bei ihren Geschäften. Er hört ihre Ratschläge mit, wie Firmengruppen aufgekauft, zerschlagen und in Einzelteilen wieder veräußert werden. Er hört von Optionen auf viele Tonnen von Reis, Mais und Weizen, die es noch gar nicht gibt, aber er begreift schnell, was eine Spekulation ist. Diese Menschen verdienen ihr Geld damit, das vorhandene Geld auf der Welt umzuverteilen, so dass Reiche noch reicher werden. Er hört aber auch von Verlusten. Das scheint so etwas zu sein, das schlimme Schmerzen verursacht.
Die Eltern des Mädchens verstehen sich als ehrenwerte Makler und Händler, die ihre Kunden nicht über den Tisch ziehen. Er hört, dass es Menschen gibt, die das ganz anders sehen. Menschen, die keine Skrupel haben, ihre Kunden finanziell auszunehmen, bis zum Bankrott. Über Zuverlässigkeit von Anlageberatung wird mit den Investoren immer wieder gesprochen, und die Eltern des Mädchens haben sich einen Ruf aufgebaut, die Interessen ihrer Klienten zu schützen. Das ist ihr Kapital, wie sie sagen. Der Vertrauensvorschuss, den man braucht, wenn man Anleger berät, oder ihr Geld verwaltet. Sie scheinen Erfolg damit zu haben, denn während ihrer Tour durch Amerika können Sie nur übers Telefon eine ganze Reihe von neuen Kunden akquirieren. Es gibt da offenbar ein Netz an Informanten und Informationen, das die Reputation dieser Geschäftsleute als zuverlässig und ehrlich am Leben erhält. Er sieht das, wenn er in die Computer kriecht, und Informationen aufruft, die sie Webseiten nennen. Heimlich, und zu Zeiten, in denen diese Menschen schlafen. Er bekommt aber auch mit, dass sie ihre Geschäfte oft am Rande der Legalität abwickeln, was auch immer das heißt.
Artemis beobachtet, aber er urteilt nicht. Diese Menschen sind für Ihn nur Wirte, an die er sich andockt, wie an einen Hund, eine Pflanze, einen Stein oder eine Gaswolke. Er versucht ihre Welt zu verstehen, die sein neuer Lebensraum sein wird. Es gibt Millionen dieser Spezies. Auf eine Million mehr oder weniger kommt es aber nicht an. Artemis greift nicht ein. Nicht in diesem Stadium. Diese Welt bietet ihm Bedingungen zum überleben und durch Zellteilung ein neues Volk zu gründen, und er wird irgendwann dafür Sorge tragen, dass dies auch so geschieht.
Er begreift aber auch, dass dieses Geld, was da hin- und hergeschoben wird, in dieser Gesellschaft eine enorme Bedeutung hat. Es verleiht Macht und Ansehen, nun ja, und auch Annehmlichkeiten, wie Komfort und Luxus. Auch die Eltern des Mädchens sind nicht davon frei. Sie tragen goldene Uhren und wertvollen Schmuck, was sie aber in einem im Wohnmobil eingebauten Safe verstecken, wenn sie sich unter Menschen mischen, die viel weniger besitzen, um keine Begehrlichkeiten zu wecken, oder andere Menschen nicht zu Diebstählen oder Überfällen zu verleiten. Artemis staunt.
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