Wörterbuch zur Sicherheitspolitik. Ernst-Christoph Meier

Читать онлайн книгу.

Wörterbuch zur Sicherheitspolitik - Ernst-Christoph Meier


Скачать книгу
Trägermitteln sowie chemischen Kampfstoffen, die aufgrund von Verträgen (START; Übereinkommen über das Verbot chemischer Waffen) bzw. einseitigen Abrüstungsentscheidungen (taktische Nuklearwaffen) beseitigt wurden. Angesichts erkennbarer Schwierigkeiten bei der Umsetzung seiner Abrüstungsaufgabe (Russland musste ca. 40.000 Tonnen chemische Kampfstoffe und ca. 20.000 Nuklearwaffen beseitigen) war das Ziel der ~ die Sicherstellung einer zügigen, sicheren und umweltgerechten Eliminierung von Massenvernichtungswaffen. Die Vereinigten Staaten von Amerika, die 1991 diese Form der ~ unter dem späteren Begriff des »Cooperative Threat Reduction Program« initiierten (»defense by other means«), leisteten den größten Anteil. Deutschland hatte 1992 seinerseits mit Russland und der Ukraine entsprechende Vereinbarungen abgeschlossen und umgesetzt (von 1993 bis 2001 in einem Umfang von weit über 100 Mio. DM). Mit der Ukraine arbeitete Deutschland von 1995–2001 bei der Eliminierung von SS-19- bzw. SS-24-Startsilos zusammen.

      2002 wurde auf der Grundlage der bisherigen ~ und vor dem Hintergrund des internationalen Terrorismus die G8 Globale Partnerschaft gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und -materialien etabliert. Insgesamt sollten über zehn Jahre rund 20 Mrd. US-Dollar in Projekte mit Russland und anderen Staaten fließen. Wichtige aktuelle Projekte für Deutschland waren in diesem Rahmen die Unterstützung Russlands beim Bau von bislang drei Vernichtungsanlagen für Chemiewaffen (Gorny, Kambarka, Potschep), der Bau eines Langzeit-Zwischenlagers für 150 Reaktorsektionen von Atom-U-Booten (Murmansk) und Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherung von Nuklearmaterial und -anlagen in verschiedenen russischen Nuklearstädten und Forschungsinstituten.

      Abschiebung

      Zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht. Sie darf nur dann vorgenommen werden, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist und die freiwillige Ausreise des Ausländers nicht gesichert oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint (vgl. § 49 Ausländergesetz).

      Abschirmung

      Alle Maßnahmen zur Abwehr sicherheitsgefährdender Kräfte gegen Streitkräfte, um die Militärische Sicherheit herzustellen und zu erhalten. Sabotage; Spionage; Zersetzung

      (engl.: deterrence)

      ~ bezeichnet in der Sicherheitspolitik den Versuch, auf den Willen eines möglichen Aggressors einzuwirken und ihn durch die Androhung von Vergeltung oder eines möglichst großen Schadens von dem (vermuteten) Angriff abzuhalten. Ist ein militärischer Konflikt einmal ausgebrochen, kann man mit ~sdrohungen dem Gegner signalisieren, dass sein Schaden größer sein wird als der zu erwartende Nutzen, um ihn damit zum Abbruch der Kampfhandlungen zu bewegen. Somit kann ~ sowohl auf die Kriegsverhinderung als auch auf die Kriegsbeendigung zielen. In dieser allgemeinen Form gibt es die ~ schon, solange es militärische Konflikte gibt.

      Um durch ~ die Absichten eines Gegners beeinflussen zu können, müssen mindestens drei Voraussetzungen gegeben sein: Erstens muss der Abschreckende über ausreichende militärische Fähigkeiten verfügen, um seine Drohung wahrmachen zu können. Darüber hinaus muss sein Wille, diese auch einzusetzen, für den Gegner glaubhaft erkennbar sein. Drittens schließlich muss der Angreifer die Kosten und Nutzen einer Aktion ähnlich einschätzen wie der Verteidiger – es muss also auf beiden Seiten eine ähnliche Rationalität gegeben sein.

      Allerdings war die Erfolgsbilanz der konventionellen ~ vor der Einführung von Nuklearwaffen sehr begrenzt, wie die Vielzahl der Kriege zeigt, die von militärisch unterlegenen Aggressoren begonnen wurden.

      Nukleare ~ geht vom gleichen Grundgedanken aus, basiert aber auf der ungeheuren Zerstörungskraft von Kernwaffen, die sich in ihren ersten und einzigen Kriegseinsätzen in Hiroshima und Nagasaki 1945 gezeigt hat. Zumindest im Kalten Krieg scheint es die nukleare ~ gewesen zu sein, die einen offenen Gewaltausbruch zwischen den beiden Supermächten USA und Sowjetunion bzw. zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt verhindert hat. Anders ist das Ausbleiben eines bewaffneten Konflikts oder gar eines Kernwaffeneinsatzes zwischen den beiden antagonistischen und hoch gerüsteten Blöcken nur schwer zu erklären. Gleichzeitig zeigte der Kalte Krieg, auf dessen Höhepunkt etwa 70.000 Kernwaffen in Ost und West bereitgehalten wurden, auch die Ambivalenz der nuklearen ~. Wäre es zu einem nuklearen Schlagabtausch gekommen, wäre die völlige Vernichtung der Menschheit zumindest eine Möglichkeit gewesen. Es ist bis heute umstritten, ob eine Sicherheitsstrategie, welche die Auslöschung der eigenen Art zumindest als Option beinhaltet, ethisch vertretbar und politisch dauerhaft konsensfähig sein kann. Ein großer Teil des antinuklearen Protests der vergangenen Jahrzehnte entzündet sich im Kern an dieser Frage.

      Ebenfalls im Kalten Krieg ist innerhalb der NATO das Konzept der erweiterten ~ entwickelt worden. Die USA gaben den übrigen NATO-Mitgliedern (und darüber hinaus einigen amerikanischen Verbündeten außerhalb der NATO) ein nukleares Sicherheitsversprechen. Dies signalisiert einem möglichen Aggressor, dass er auch bei einem Angriff auf die Länder, die nicht über eigene Atomwaffen verfügen, mit der nuklearen Vergeltung durch die USA rechnen müsse. Die NATO hat diese Drohung noch verstärkt, in dem sie explizit eine Strategie des nuklearen Ersteinsatzes verkündete, die eine mögliche nukleare Eskalation selbst bei einem rein konventionellen Angriff in Europa vorsah. Damit sollte die nukleare ~ nicht nur vom Einsatz von Kernwaffen abschrecken, sondern vom Gebrauch jeglicher militärischeren Macht.

      Wie die nukleare ~ selbst ist auch die erweiterte ~ von unauflöslichen Dilemmas und Ambivalenzen gekennzeichnet. Sie hat sowohl ein Glaubwürdigkeits- als auch ein Vermittlungsproblem. Gegen die Glaubwürdigkeit eines Nuklearschirms für nichtnukleare Verbündete spricht, dass die nukleare Schutzmacht der nuklearen Vergeltung des Gegners ausgesetzt wäre, sollte sie ihre Kernwaffen zum Schutz der Verbündeten einsetzen. Das wurde im Kalten Krieg in die plakative Frage gekleidet, ob denn die USA wirklich bereit wären, San Francisco zu opfern, um etwa Berlin, München oder Amsterdam zu retten. Frankreich lehnte die Idee der Erweiterung der nuklearen ~ rundheraus ab und vertritt bis heute die Position, dass Kernwaffen nur im nationalen Rahmen abschreckend wirken könnten. Folglich trat Paris aus dem nuklearen Abschreckungsverbund der NATO aus und entwickelte seine eigene nationale Atomstreitmacht.

      Um das Glaubwürdigkeitsproblem der erweiterten ~ zu minimieren, setze die NATO seit Ende der 1960er-Jahre auf eine lückenlose Eskalationskette von konventionellen und nuklearen Waffen unterschiedlicher Größe, Wirkung und Reichweite, um auf einen sowjetischen Angriff individuell reagieren und bei Bedarf schrittweise eskalieren zu können. Eine solch flexible Strategie verstärkte allerdings das Vermittlungsproblem der erweiterten ~ in der europäischen Öffentlichkeit. Dadurch, dass Kernwaffen kleiner, flexibler und einsetzbarer wurden, stieg die Furcht, dass sie auch eher eingesetzt und Europa großflächig zerstören würden. Dieses Dilemma ist letztlich nicht lösbar. Damit ~ funktioniert, muss die Abschreckungsdrohung, also im Extremfall der Kernwaffeneinsatz, glaubwürdig sein. Das führt zu dem Paradox, dass Kernwaffen einsetzbar sein müssen, um letztlich nicht eingesetzt zu werden.

      War während des Kalten Krieges die nukleare ~ vor allem bilateral zwischen Ost und West ausgerichtet, so verkomplizierte sich die Lage mit der Auflösung der Blockstrukturen ganz erheblich. Neue Kernwaffenstaaten wie Pakistan und Indien kamen hinzu und entwickelten ihre eigenen Abschreckungsdynamiken. Derzeit gibt es neben den fünf klassischen Nuklearmächten USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und China vier weitere erklärte und nichterklärte Kernwaffenstaaten: Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea. Der Iran verfolgt seit vielen Jahren ein eigenes Nuklearprogramm, konnte aber bislang durch einen Mix von Sanktionen und Abkommen (JCPoA) am Bau funktionsfähiger Kernwaffen gehindert werden. Weiteren Ländern wie Saudi-Arabien oder der Türkei werden ebenfalls nukleare Ambitionen nachgesagt. In einer solch multinuklearen Welt wird ~ nicht nur deutlich komplizierter, sondern auch anfälliger für Fehlentscheidungen, da es bei unberechenbaren Regimen wie Nordkorea unklar ist, ob die Entscheidungsträger über ein im westlichen Sinne rationales Kosten-Nutzen-Kalkül verfügen.

      Noch komplizierter wird es, wenn man die Möglichkeit einbezieht, dass auch Terrorgruppen über Kernwaffen oder radiologische Sprengkörper (Dirty


Скачать книгу