Kommunikationswissenschaft. Roland Burkart
Читать онлайн книгу.Hülle für die zunächst immateriellen Bedeutungsinhalte bereit und schafft dadurch erst die Voraussetzungen, dass Bedeutungen „mit(einander)geteilt“ werden können.
Damit Menschen (bzw. Lebewesen) miteinander kommunizieren können, müssen sie also über irgendwelche Ausdrucksmittel verfügen sowie (damit einhergehend) über die entsprechenden Kommunikationskanäle, d. h. „Sinnesmodalitäten, mithilfe derer und über die wir unsere Kommunikationspartner·innen wahrnehmen“16 (Pürer 2014: 69). Die Verfügbarkeit von Kommunikationskanälen ist also Voraussetzung dafür, dass Bedeutungsinhalte überhaupt (sinnlich wahrnehmbare) Gestalt annehmen können.
So sind in der oben zitierten Kommunikationssituation („Monika, schließ bitte das Fenster“) der auditive (bzw. vokale) – im Fall von begleitenden Gesten auch der visuelle – Kanal sowie das Medium Sprache die Mittel, kraft derer das Kommunikationsgeschehen abläuft. Erst das Herstellen (und Aussprechen) einer bestimmten Lautabfolge bzw. Buchstabenkombination (wie z. B. F-e-n-s-t-e-r) schafft die Möglichkeit, die gemeinten Bedeutungsinhalte begreifbar, d. h. sinnlich wahrnehmbar zu machen.
Wenn man die Geschichte der Medien als eine „fortwährende Vervollkommnung medialer Techniken“ (Schulz 1986: 113) begreift,17 dann gerät abseits der Sprache zunächst die Erfindung der Schrift in den Blick (näher dazu: Steinmaurer 2016: 179 ff.). Die Schrift hat sowohl die Flüchtigkeit und Vergänglichkeit als auch die Zeitgebundenheit aller mündlichen Verständigungsversuche überwunden. Parallel mit dieser raum-zeitlich übergreifenden Verfügbarkeit (Speicher- und Tradierbarkeit) menschlicher Kommunikation erweiterten sich zudem die verschiedenen Ausdruckstechniken. Das betrifft sowohl die sprachliche Vielfalt, als auch die Entwicklung der Bildmedien (Malerei, Grafik, Fotografie, Film, Fernsehen), ebenso den Buchdruck bis hin zu den bislang ausgereiftesten Speichermöglichkeiten sowohl schriftlicher als auch audiovisueller Kommunikationsangebote in Form diverser digitaler Datenträger bzw. -speicher.
Aus einer technikorientierten Perspektive lassen sich Medien als „materiell-mechanische oder energetische (elektrische, elektromagnetische, elektronische, optoelektronische) Träger und Übermittler von Daten bzw. Informationseinheiten und mechanische sowie elektronische Mittel der Datenverarbeitung“ (Hiebel/Hiebler/Kogler/Walitsch 1998: 12) definieren. Auf den ersten Blick kann man Medien somit als Transportmittel begreifen. Es scheint, als würden sie die zu vermittelnden Bedeutungsinhalte in Form ihrer jeweiligen materiellen Manifestationen (als Äußerungen) der jeweiligen Kommunikationspartner zwischen diesen hin und her befördern.
Diese technikzentrierte Vorstellung vom Medium als bloßes Transport- oder Transfermittel („Container-Metapher“) gilt jedoch aus sozialwissenschaftlicher Sicht längst als zu eindimensional18. Man geht auch nicht mehr davon aus, dass Informationen oder Bedeutungen im Kommunikationsprozess einfach „ausgetauscht“ werden.
Ein Tausch besteht ja darin, dass Objekte ihre Besitzer wechseln. Jemand besitzt etwas nicht mehr, was er/sie vor dem Tausch noch besessen hatte (und umgekehrt). Daher gilt, dass die „gesamte Metaphorik des Besitzens, Habens, Gebens und Erhaltens […] ungeeignet für ein Verständnis von Kommunikation“ (Luhmann 1984: 193) ist, denn im Kommunikationsprozess wird nichts weggegeben: „Derjenige, der etwas mitteilt, verliert sein Wissen nicht aus dem Kopf.“ (Luhmann 2002: 289) Im Gegenteil: Er besitzt es auch hinterher noch. Bei Kommunikation hat man es „mit einem Vorgang zu tun, der offenbar multiplikativ wirkt. Erst hat es nur einer, dann wissen es zwei oder mehr oder hundert, Millionen, je nachdem, an welches Netzwerk wir denken“ (ebd.).
Obwohl die alltagssprachliche Vorstellung vom Austausch wissenschaftlich unsinnig ist, taucht sie sogar in der jüngeren kommunikationswissenschaftlichen Literatur immer noch auf (vgl. etwa Godulla 2017: 249, Quiring/Schweiger 2006, Schulz 2009: 176, Stöber 2011: 321).
Menschliche Kommunikation wird eher als „Aktualisierung von Sinn“ (Luhmann 1971: 32) begriffen, d. h., dass im Bewusstsein der jeweiligen Kommunikationspartner·innen (im Idealfall) dieselben (realiter wohl: ähnliche) Bedeutungsinhalte wachgerufen werden.
Es gibt keine unvermittelte(!) Kommunikation: „Alle Kommunikation bedarf eines Mittels oder Mediums, durch das hindurch eine Nachricht […] aufgenommen wird“ (Graumann 1972: 1182). Eine Kommunikation ohne Medium ist völlig unmöglich.19 In diesem allgemeinen Sinn steht Medium daher – speziell was die menschliche Kommunikation betrifft – sowohl für personale (der Person gleichsam „anhaftende“) Vermittlungsinstanzen als auch für jene technischen Verbreitungs- und Empfangsmittel, die im Laufe der Menschheitsgeschichte entstanden sind.
2.4.1 Medium als Kommunikationstechnik
Ein längst klassischer Versuch, diese mediale Vielfalt systematisch zu differenzieren, geht auf den Journalisten und (später an der FU-Berlin lehrenden) Publizistikwissenschaftler Harry Pross (1972) zurück. Er unterscheidet primäre, sekundäre und tertiäre Medien. Inzwischen ist diese Differenzierung durch quartäre und soziale Medien angereichert worden.
•Primäre Medien: Darunter versteht Pross die Medien des „menschlichen Elementarkontaktes“ (Pross 1972: 10). Neben der Sprache in ihren vielgestaltigen Ausprägungen zählen dazu auch alle nonverbalen Vermittlungsinstanzen, die dem Bereich der Mimik und/oder Gestik angehören: So existieren etwa Ausdrucksmöglichkeiten von Auge, Stirn, Mund, Nase; ebenso kann über Bewegungen der Extremitäten oder eine bestimmte Haltung der Arme und Beine, also: der Körperhaltung insgesamt, etwas mitgeteilt werden. All diese leibgebundenen Expressionsmöglichkeiten können als „Medien“ zur Bedeutungsvermittlung fungieren. Gemeinsam ist ihnen, „dass kein Gerät zwischen Sender und Empfänger geschaltet ist und die Sinne der Menschen zur Produktion, zum Transport und zum Konsum der Botschaft ausreichen“ (Pross ebd.: 145). Oder andersherum: „Die Abwesenheit von Medientechnik definiert Primärmedien“ (Hörisch 2004: 76).
•Sekundäre Medien: Dazu zählt Pross alle jene Medien, die auf der Produktionsseite ein Gerät erfordern, nicht aber auf der Empfangsseite zur Aufnahme der Mitteilung. Vom Rauchzeichen über Feuer- und Flaggensignale bis zum Brief können außerdem hier alle – kraft der Erfindung des Druckverfahrens entstandenen – Manifestationen menschlicher Mitteilungen eingeordnet werden: So z. B. das Flugblatt (Flyer), das Plakat, das Buch und die Zeitung.
•Tertiäre Medien: Mit dieser Kategorie werden schließlich jene Kommunikationsmittel erfasst, zu denen technische Sender und technische Empfangsgeräte gehören. Telefon, Fernschreiber, diverse Funkanlagen, Sende- und Empfangseinrichtungen, Schallplatte (CD/DVD), Film, aber v. a. die sogenannten elektronischen Massenmedien wie Hörfunk und Fernsehen, sowie Computer und diverse digitale Datenträger sind hier zu nennen. All diesen Medien ist gemeinsam, dass sie „ohne Geräte auf der Empfänger- wie auf der Senderseite nicht funktionieren können“ (Pross ebd.: 224).
Die technische Entwicklung gegen Ende des 20. Jhdts. hat zu Konvergenzen im Medienbereich geführt: Mit dem Zusammenwachsen von Telekommunikation, Computer und Rundfunk (vgl. Latzer 1997, 2015)20 wurde zu Beginn des dritten Jahrtausends ein fundamentaler und nachhaltiger Medienwandel eingeleitet (Kinnebrock/Schwarzenegger/Birkner 2015). Konnten Medien früher in der Regel über die Eigenschaften bestimmter Geräte (Radio-, Fernsehapparat, CD-Player/Plattenspieler, Fotoapparat, Telefon etc.) definiert werden, so hat sich mittlerweile der Computer als eine Art kommunikative Universalmaschine (mit dem Bildschirm als universale Oberfläche) profiliert, über die man die verschiedensten medialen Dienste in Anspruch nehmen kann. Die Größe bzw. Kleinheit der Laptops, Notebooks, Tablets und Smartphones hat auch den Wandel unserer Kommunikationsgewohnheiten beschleunigt – die stetig wachsende tägliche Zeitspanne für die Nutzung diverser Online-Angebote scheint ein valider Indikator dafür zu sein (Eimeren 2013, Eimeren/Frees 2013, Koch/Frees 2017, Beisch/Schäfer 2020). Die technische Inkarnation dieses Wandels kam im Jahr 2007 in Gestalt des Apple iPhones21 auf den Markt. Seither ermöglichen solche Geräte