Kommunikationswissenschaft. Roland Burkart
Читать онлайн книгу.vollzieht sich beispielsweise der Spracherwerb beim Kleinkind „weithin metasprachlich, nämlich durch Feststellungen der Art, dass Verfahren und Bedeutungen im eigenen Gebrauch nicht mit dem der Erwachsenen übereinstimmen“ (Schlieben-Lange 1975b: 192).18 Sprachliche Kommunikation selbst wird danach eigentlich erst durch grundsätzliche metasprachliche Fähigkeiten der Beteiligten möglich; dieses „Wissen“ der Sprecher·innen (und Hörer·innen) um ihre Sprache (das sogenannte „metasprachliche Begleitbewusstsein“) besteht in der impliziten Einsicht, dass Sprache etwas ist, das jederzeit Gegenstand einer Reflexion werden kann. Explizit wird dieses Wissen eben dann in metasprachlichen Äußerungen (vgl. ebd.: 193 f.).
Dieses Reflexivitätspotential der menschlichen Sprache, welches in Form von metasprachlichen Aussagen manifest wird, besitzt v. a. für nicht erfolgreich ablaufende kommunikative Interaktionen besondere Bedeutung: Gerade dann, wenn Verständigung ausbleibt, d. h., wenn ein Missverständnis als Konsequenz kommunikativen Handelns zu diagnostizieren ist, erwächst aus der Fähigkeit des Menschen, über seine Sprache und sein Sprechen sprechen zu können, die Möglichkeit, Metakommunikation in Gang zu bringen.
Metakommunikation ist Kommunikation über bereits stattgefundene oder soeben stattfindende Kommunikation. Als Kommunikation über Kommunikation unterscheidet sie sich von anderen Formen der Kommunikation nur durch ihren Gegenstand: „Metakommunikation ist die Form menschlicher Kommunikation, die sich selber thematisiert, und zwar auf der Inhalts- und Beziehungsebene“ (Bock 1978: 207).
Gerade die Fähigkeit zur Metakommunikation versetzt uns also in die Lage, missverständliche bzw. missverstandene sprachliche Äußerungen (sowie deren nonverbale Begleitphänomene) selbst zum Gegenstand einer Aussage und damit zum Objekt einer kommunikativen Interaktion zu machen. Dies gilt sowohl für die gegenständliche als auch für die intersubjektive Ebene von Kommunikation: Man kann die Metakommunikation als Mittel einsetzen, um Verständigung über den mitzuteilenden Sachverhalt herbeizuführen; man kann Metakommunikation aber auch einsetzen, um Verständigung über den Verwendungssinn der geäußerten Sätze (d. h. zumeist über die Art des Sprechaktes) herbeizuführen.
In Anlehnung an den vorher verwendeten Demonstrationssatz gehen wir von folgender Äußerung eines Siebenkirchner Gemeindrates aus: „Ich finde den Bürgermeister nicht länger tragbar.“
Hier könnte z. B. klärungsbedürftig sein, welcher Bürgermeister denn gemeint sei. Eine eventuelle Frage an den Sprecher „Meinst du den Bürgermeister von Siebenkirchen?“ wäre dann ein metakommunikativer Versuch, Verständigung auf der gegenständlichen Ebene der Kommunikation (also über den mitzuteilenden Sachverhalt) herbeizuführen.
Klärungsbedürftig könnte aber auch die Art des Sprechaktes sein. Eine eventuelle Frage an den Sprecher könnte daher lauten: „Ist das eine Feststellung, oder kündigst du damit einen Misstrauensantrag an?“ und wäre ein metakommunikativer Versuch, Verständigung auf der intersubjektiven Ebene der Kommunikation (über den pragmatischen Verwendungssinn der mitgeteilten Aussage) herbeizuführen.
3.4 Exkurs: Wissenschaftssprache
Institutionalisierte Versuche, Missverständnisse zwischen Kommunikationspartnern zu verhindern oder wenigstens zu minimieren, sind in praktisch allen Wissenschaftssprachen anzutreffen. Die Sprache einer Wissenschaft unterscheidet sich von der gängigen Alltagssprache vor allem dadurch, dass sie über eine sogenannte Terminologie verfügt, d. h. über eine Anzahl von Symbolen (Termini), deren Bedeutung möglichst eindeutig feststeht. Auf diese Weise wird versucht, insbesondere jene Sprachbarrieren, die auf der gegenständlichen Ebene von Kommunikation anzusiedeln sind, zu vermeiden bzw. gering zu halten. „Die Termini einer Wissenschaft sind Wörter oder zusammengesetzte Ausdrücke, die der eigenen oder einer fremden natürlichen Sprache entnommen oder künstlich geschaffen sind und deren Bedeutung und Gebrauch innerhalb dieser Wissenschaft durch Festsetzungsdefinitionen eindeutig festgelegt ist“ (Segeth 1972: 1082).
Sieht man von den Formalwissenschaften ab (wie Logik, Mathematik, Informatik), die sich einer künstlich entwickelten Zeichen- bzw. Formelsprache bedienen, dann begegnet man – insbesondere in den Sozialwissenschaften – recht häufig dem Umstand, dass ein und dasselbe Wort (das womöglich auch noch aus der Alltagssprache stammt) in verschiedenen Disziplinen als „Terminus“ für ganz unterschiedliche Bedeutungen anzutreffen ist.
So bedeutet etwa das aus der deutschen (Alltags-)Sprache stammende Wort Arbeit als Terminus der Physik etwas anderes als im Rahmen einer soziologischen Terminologie. Ähnlich verhält es sich mit dem Terminus Medium: Wird etwa in der Chemie als Medium eine Trägersubstanz innerhalb chemischer Prozesse bezeichnet, so versteht man darunter in der Kommunikationswissenschaft das Ausdrucksmittel einer kommunikativen Aktivität.
In solchen und ähnlichen Fällen wurde also ein und dasselbe Wort mit unterschiedlichen Bedeutungen belegt und repräsentiert daher auch unterschiedliche Begriffe (und natürlich auch verschiedene Realitäten). Das Verfahren, mit dem derartige Bedeutungszuweisungen erfolgen, nennt man den Vorgang des Definierens. Eine Definition „ist eine Entscheidung darüber […], dass ein bestimmtes sprachliches Zeichen nur noch in einer bestimmten Weise verwendet werden soll“ (Prim/ Tilmann 1997: 28) – also eine „Konvention über die Verwendung von Zeichen“ (Opp 2014: 121). Mit einer Definition wird ein Wort (oder Zeichen bzw. eine Zeichenkombination) einer Summe von Vorstellungsinhalten (einem Begriff) zugeordnet. Damit wird nicht nur für intersubjektiv klare Begriffe gesorgt, es werden dadurch in der Regel auch kürzere Aussagen möglich, denn eine Reihe von Vorstellungsinhalten oder Einzelmerkmalen (= Definiens) werden auf ein Symbol bzw. eine Symbolkombination (= Definiendum) übertragen. Üblicherweise beansprucht das Definiendum eine geringere Zeichenanzahl als das Definiens.
So wurde z. B. im Rahmen dieses Buches der komplexe Begriff von dem zwischen (mindestens) zwei Menschen ablaufenden Prozess, in dem diese unter Benützung eines Mediums Bedeutungsinhalte miteinander teilen (= Definiens), mit dem Terminus Kommunikation (= Definiendum) gleichgesetzt.
Eine Frage, die sich im Zusammenhang mit Definitionen immer wieder stellt, ist die Frage nach ihrer Gültigkeit. Worin bestehen die Kriterien, nach denen diese Gültigkeit beurteilt werden kann, oder (genauer gefragt) wie kann man entscheiden, ob eine Definition zu akzeptieren oder zu verwerfen ist? Insbesondere in den Sozialwissenschaften ist mit dieser Frage ein wichtiger Aspekt wissenschaftlichen Arbeitens angesprochen, weil wir es in der Regel mit Begriffen zu tun haben, die nur über einen indirekten empirischen Bezug verfügen. Vielfach handelt es sich um theoretische Konstrukte, die nicht unmittelbar beobachtbar, sondern nur über Indikatoren empirisch erfassbar sind.19 Die Auffassungen zur Beantwortung dieser Frage sind zwei grundsätzlich divergente.
•Zunächst gibt es die Befürworter·innen der sogenannten Realdefinition. Realdefinitionen zielen darauf ab, „das ‚Wesen’ oder die ‚Natur’ von irgendwelchen Tatbeständen zu beschreiben“ (Prim/Tilmann 1997: 30) und können her wahr (wenn diese Beschreibung auf die Realität voll zutrifft) oder falsch (wenn dies nicht der Fall ist) sein.
•Im Gegensatz dazu stehen die Befürworter·innen der sogenannten Nominaldefinition. Nominaldefinitionen nehmen nicht für sich in Anspruch, das Wesen einer Sache, eines Prozesses (etc.) voll darzustellen, sondern sind bloß eine Festsetzung über die Verwendung eines sprachlichen Ausdrucks (Prim/ Tilmann ebd.: 31). Nominaldefinitionen behaupten also nichts über die Realität (Opp 2014: 121), denn sie sind nichts anderes als Konventionen, von nun an mit bestimmten Symbolen bestimmte Begriffe zu verbinden. Nominaldefinitionen können daher weder wahr noch falsch sein. Die Beurteilung ihrer Gültigkeit hängt davon ab, ob man sie als angemessen (auch: zweckmäßig) oder unangemessen (unzweckmäßig) betrachtet.
So wäre etwa die oben angeführte Definition von Medium als Trägersubstanz innerhalb chemischer Prozesse für die Kommunikationswissenschaft nicht angemessen, weil sie für ihr Untersuchungsobjekt (die zwischenmenschliche oder auch die öffentliche Kommunikation) unzweckmäßig ist,