About Shame. Laura Späth

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About Shame - Laura Späth


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ganz individuelle Emotion. Es ist auch ein Macht- und Herrschaftsphänomen, ein soziales Phänomen, eine Sache, die nur im Austausch und in der Interaktion funktioniert: »Ein Individuum zur Scham zu veranlassen, heißt, Macht auf es auszuüben: Beschämungen erlauben Machtgewinn. Sich selbst zur Scham zu bewegen, heißt, sich seiner selbst zu bemächtigen. Scham ist Selbstzwang.«18 Ich begebe mich hier auf eine neue Ebene in der Auseinandersetzung: die von Macht- und Herrschaftsverhältnissen. Diese Ebene zu analysieren, ist nicht einfach. Man denkt oft, dass Macht einfach von außen auf eine*n wirkt, dass man sie immer unmittelbar sehen und spüren kann. Aber die Scham ist ein ganz gutes Beispiel dafür, dass es nicht immer so sein muss.

      Jemanden beschämen zu können, zeugt oft von einer Macht, an der die beschämte Person sich »beteiligt«, wenn auch unter anderen Vorzeichen: »Beschämen kann uns nur, wessen Anerkennung wir überhaupt Bedeutung zuschreiben. Und umgekehrt gilt: Sobald wir einem Menschen unsere Anerkennung entziehen, sobald wir einer Person absprechen, anerkennenswert zu sein, verliert diese damit die Macht, uns zu beschämen«,19 schreibt Rita Werden. Macht baut auf wechselseitiger Anerkennung20 auf, also darauf, dass ich die anderen Kinder anerkenne als Personen, die mich beschämen können und damit Macht auf mich ausüben. Dann haben die Mädchen die Möglichkeit, mich nicht anzuerkennen und dadurch Scham in mir hervorzurufen.

      Wir machen einen Zeitsprung in das Jahr 2009, in dem ich in der siebten Klasse bin. Ein Jahr, in dem ich, ausgelöst durch den Tod meiner Oma, etwas bekommen habe, was man Jugenddepression nennt. Und wenn eine depressive Phase zu Ende geht, dann fühlt es sich manchmal ein bisschen so an, als wäre man stehen geblieben. Alle Entwicklungen, die andere in der Zeit gemacht haben, sind einfach an einem*r vorbeigezogen und man fühlt, dass man im Vergleich zur Peergroup woanders steht.

      Im Sommer will ich etwas, das Stephen Chbosky »teilnehmen« nennt, und dieser Begriff könnte nicht perfekter passen. Es geht nach einer Depression, nach einer Psychose und im Übrigen auch sonst im Leben sehr oft darum, (wieder) am Leben teilzunehmen. Ohne Chbosky damals gelesen zu haben, versuche ich dasselbe. Aber für die Teilnahme braucht es zwei Dinge: erstens etwas, woran man teilnimmt, und zweitens ein Umfeld, das eine*n teilnehmen lässt. Das Erste ist relativ leicht zu bekommen, weil es immer schon da ist. Egal, an was, an irgendetwas kann man immer teilnehmen. Aber das Zweite ist wesentlich schwerer zu organisieren.

      Mir fällt auf, dass ich mich schon wieder darum herumwinde, diese Geschichte zu erzählen. Ich will aufstehen, meinen Tee austrinken und den Raum verlassen. Weil es wehtut, mich an Folgendes zu erinnern:

      In meinem Umfeld gibt es einige Mädchen, die mit mir zum Handball gehen. Und schon hier weigert sich alles in mir »Wir« zu schreiben, denn dieses »Wir« gab es nie. Es gibt ein »Ich« und ein »die Anderen«. Diese Trennung hat nicht nur damit zu tun, dass ich in meinem 13. Lebensjahr eben ausschließlich physisch anwesend war, ständig über den Tod nachgedacht und mich nicht an Entwicklungsprozessen beteiligt habe. Dass ich die erste Bravo nicht mit den anderen gelesen habe. Sondern auch damit, dass die Mädchen es so wollten.

      Im Handballtraining sehe ich diese Mädchen ständig und sie haben etwas, um was ich sie damals beneide: zum einen eine Unbeschwertheit, die fremd ist, sobald man auch nur einmal depressiv war. Zum anderen Zusammenhalt, der bei jeder Einzelnen für ein Gefühl von gesunder Zugehörigkeit führt. Und diese Zugehörigkeit ist es, die ich will. Dafür brauche ich die Anerkennung der Mädchen.

      Zugehörigkeit erwirken die meisten Menschen mithilfe der Konstruktion von Ähnlichkeit. Wenn ich zu jemandem gehören will, versuche ich ein »Wir-Gefühl« zu erschaffen, Verbindungslinien zu ziehen und mich darauf zu berufen, dass es etwas gibt, in dem wir zueinander passen, zueinander gehören. Scham tritt dort auf, wo Menschen die Rolle des »Anderen« einnehmen müssen. Wo sie keine Wahl haben, dazuzugehören oder nicht. Wo Menschen, Verhältnisse und Normen ein Abseits bestimmen, in das man gezwungen wird.

      Zugehörigkeit muss nicht unbedingt verbal verweigert werden. Es gibt subtilere Mittel, einer Person Anerkennung und Zugehörigkeit zu entziehen und sich dadurch der Situation zu bemächtigen: Wie man auf Wortbeiträge von einer Person reagiert, wie man sie ins Gespräch mit einbezieht. Wie man in einer Gruppe zusammensteht. Wird jemand konsequent abgedrängt? Wird jemand durchgehend ignoriert? Bekommt er*sie nur dann Aufmerksamkeit, wenn seine*ihre Worte belächelt werden sollen?

      Nur schwer lässt sich rekonstruieren, wie diese Ausgrenzung damals funktioniert. Das alles ist begraben unter 100 anderen Erinnerungen, 200 Versprechungen, das niemals an die Oberfläche dringen zu lassen, und 300 Versuchen die Situation zu beschönigen, sie anders abzuspeichern. Aber die Scham ist erbarmungslos, weiß Ernaux, weiß ich, weißt du, und sie lässt die schlimmsten Erinnerungen glasklar aufblitzen.

      Ich sage etwas und werde ausgelacht. Was ich sage, ist eigentlich egal; es geht darum, dass ich es bin, die spricht. Oder dass ich es bin, die etwas macht oder sich verhält oder auch nur etwas (an sich) hat. Diese Mädchen lachen und grenzen mich für das aus, was ich bin. Ich werde wegen vollkommen willkürlicher Sachen ausgelacht: meiner Gangart beispielsweise. Eines dieser Dinge, die nur im Leben von Kindern so eine große Rolle spielen können. Meine Gangart ist für die Mädchen ein ganz großes Thema, weil ich federnd gehe. Mehr nicht. Es ist einfach nur die Art und Weise, wie ich meinen Fuß beim Auftreten abrolle und dass ich manchmal ein wenig auf Zehenspitzen gehe. Absurd, oder?

      Natürlich ging es nie wirklich um die Gangart. Sie ist einfach nur irgendein Merkmal, das sich die Mädchen gesucht haben, um ihre Abneigung an mir auslassen zu können. Und ich? Denke, ich bin der einzige Mensch auf der Welt, der so geht. Dabei treffe ich tagtäglich Menschen, die so laufen. Ich weiß nicht, ob die alle dafür ausgelacht wurden, aber ich hoffe nicht.

      Wenn es nicht meine Gangart ist, über die sie sich lustig machen, sind es meine Klamotten: Ich trage ganz selbstverständlich die alte, aber noch – phänomenaler Ausdruck von Mama – »pfenniggute« Kleidung meiner Schwestern. Meine Mutter lebt in der festen Überzeugung, dass die anderen Kinder ihre Tochter mögen, egal was sie trägt; dass ich außerdem im Zweifel genügend Durchsetzungsfähigkeit besitzen würde. Ich erzähle ihr nie, wie die anderen Kinder zu mir sind. Und wenn es nicht meine Klamotten sind, ist es das, was ich denke und ausspreche, weil ich in so vielerlei Hinsicht eine andere Vorstellung vom Leben habe als sie. Ich weiß vieles noch nicht, was für sie bereits Thema ist, vielleicht sogar ihr Lebensmittelpunkt. Ich komme immerhin frisch aus einer Depression, was weder sie wissen noch ich.

      Norbert Elias und John L. Scotson widmen sich in ihrer Untersuchung Etablierte und Außenseiter unter anderem der Rolle von Klatsch innerhalb eines Dorfes. Dabei bemerken sie: »Er hatte zugleich die Funktion, Menschen auszuschließen und Beziehungen zu trennen. Er konnte als ein überaus wirksames Instrument der Ablehnung dienen. Wenn beispielsweise ein Zuzügler als ›nicht so nett‹ empfunden wurde, brachte man in den Klatschkanälen – oft sehr tendenziös gefärbte – Geschichten über Normverstöße in Umlauf«21 mit dem Ziel, die Betroffenen zu beschämen, zu demütigen und dabei gleichzeitig Normen zu manifestieren, aber auch die eigenen Machtansprüche zu konservieren; die eigene Überlegenheit zur Schau zu stellen und abzusichern.22 Der Inhalt des Gesagten ist keine Nebensache: Mit der Betonung von Normverstößen soll die Ablehnung auch vor anderen gerechtfertigt werden können.

      Wo liegt der Fehler? Das kommt darauf an, wie man soziale Interaktion versteht. Aber ein Erklärungsansatz besteht darin zu sagen: Der Fehler ist, dass ich dennoch versuche mich für sie als Personen zu interessieren. Dass ich dennoch Begeisterung zeige für das, was sie lieben.

      Die Machtverhältnisse sind in meinem Fall asymmetrisch: Ich habe keine Möglichkeit, mich zu behaupten, gleichzeitig gebe ich den anderen Mädchen die Macht, mir Wertschätzung zu verweigern. Mal außen vor gelassen, dass diese Ausgrenzung durch nichts zu rechtfertigen und nicht legitim ist, hätte ich mich früher dazu entscheiden können, ihnen diese Möglichkeit zu entziehen. Dann hätten sie mich nicht mehr beschämen können – zumindest in der Theorie.

      Keine Erklärung für das Verhalten der Mädchen zu haben, nagt noch immer an mir. Ich lese Artikel, in denen Leute sich als Mobber outen,23 um es vielleicht doch zu verstehen. Aber immer und immer wieder komme ich nur darauf, dass ich nichts dafür konnte. Nachträglich kann ich nur


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