Nächte mit Bosch. Axel Hacke

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Nächte mit Bosch - Axel Hacke


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      AXEL HACKE

       NÄCHTE MIT BOSCH

      18 unwahrscheinlich

      wahre Geschichten

      Verlag Antje Kunstmann

       INHALT

       Vorwort

       Nächte mit Bosch

       Mensch, danke, Onkel Oskar

       Sterben vor prima Kulisse

       Wolfgang – so issa

       Die kleinen Laster des Mf. 369

       I mog nimmer inkarnier’n

       Pigmentveränderungen bei Perlewitz

       Kein Gedanke. Nirgends

       Hauptsache verbunden

       Ein Radler fährt schwarz

       Kleine Rülpser, dumpfes Gluckern

       Schnägg! Schnägg!

       Das Wüste lebt

       Ich traf den Yeti

       Feinkost schlägt zurück

       Ein Affe für mich allein

       Hühner meines Lebens

       VORWORT

      EINES TAGES, als ich allein in der Kneipe stand, zupfte mich ein riesiges graugrünes Monster am Ärmel und sagte: »Hey, willste nicht mal ein Buch schreiben? Ich hab nix mehr zu lesen.«

      »Heute noch?«, fragte ich müde.

      »Ja!«, rief das Monster und spuckte Flammen aus seinem greulichen Maul, sodass mein Bier verdunstete.

      »Was soll ich schreiben? Soll ich was erfinden?«

      »Oh, erfinden ist gut!«, brüllte das Monster.

      Ich erfand ein zweites Bier, und dann erfand ich ein noch viel graugrüneres Monster. Es war so rüpelhaft, dass es mir absichtlich das Bier umstießt. Ich bestellte ein drittes.

      Das neue Monster war unangenehm. »Du faules Schwein«, herrschte es mich an. »Glaubst wohl, ein Monster erfinden reicht schon, was? Mach weiter!«

      »Genau«, sagte das erste Monster, das ich gar nicht erfunden hatte, »jetzt schreib mal was Wahres!«

      Ich erfand eine Verlegerin. »Was Wahres!«, brüllte das erste Monster.

      Die Verlegerin trank mein drittes Bier aus. »Diese Verlegerin ist wahr«, sagte ich bestimmt und verlangte ein viertes Bier. »Es ist doch absurd, mit zwei Monstern und einer Verlegerin in einer Kneipe zu stehen«, sagte ich.

      »Da haben Sie recht«, sagte die Verlegerin.

      »Aber wir stehen tatsächlich hier«, ereiferte ich mich.

      »Auch wieder wahr«, sagte die Verlegerin.

      »Dann ist alles wahr, was ich erfinde?«, fragte ich.

      »Und alles ist erfunden, was wahr ist«, sagte die Verlegerin.

      Ich trank das vierte Bier und erfand sofort meinen Onkel Oskar, den Schriftsteller Perlewitz sowie Herrn Erich Scheitelmüller nebst verschiedenen Hühnern. Als ich gerade das Telefon erfinden wollte, betrat Johann Philipp Reis den Raum und sagte: »Das habe ich bereits erfunden.«

      »Auch gut«, sagte ich und erfand 86000 Neuerscheinungen und die Frankfurter Buchmesse gleich dazu.

      Da weinten die Monster sehr. So hatten sie sich das nicht vorgestellt.

      »Same procedure as every year«, sagte die Verlegerin und bestellte Bier für alle.

       NÄCHTE MIT BOSCH

      NACHTS, WENN ICH EINSAM BIN, wenn mich die letzten Gesichter auf dem Fernsehschirm verlassen haben und weiße Krokodile sich langsam aus dem Spülstein schieben, setze ich mich gern ein wenig in die Küche und unterhalte mich mit dem Kühlschrank. Ich schätze diese Gespräche. Der gute alte Kerl, er heißt im Übrigen Bosch, hat immer was zu trinken da, und sein Verstand analysiert die Dinge auch zu dieser Stunde eiskalt.

      Ich starre dann auf die Fläche des Küchentisches und stelle viele Fragen: Warum muss ich im Omnibus eine Fahrkarte in einen klackenden Apparat schieben, im Schwimmbad ein Ticket im Maul eines grünen Kastens abstempeln lassen, vor dem Büro eine grüne Plastikscheibe in einen schwarzen Rachen stecken, dem Schrankenautomaten in der Tiefgarage weißes Papier zu fressen geben, den öffentlichen Telefonapparat bunten Kunststoff schmecken lassen – warum? Wohin senden die Geräte ihr Wissen über mein Vorbeikommen? Was merken sie sich, was vergessen sie? Wer will das alles wissen? Wer fasst alles zusammen?

      In letzter Zeit beginnt Bosch, meine Melancholie gelegentlich zu teilen. Er sei, sagt er dann, nun auch nicht mehr der Jüngste, das Tiefkühlfach tue es schon nicht mehr so recht, die Abtauautomatik schmerze, und dann immer das viele kalte Bier. Neulich hat er gebeten, ich möge, wenn es mit ihm so weit sei, für eine anständige Entsorgung seines FCKW-haltigen Kühlmittels sorgen.

      Meinen Fragen, meinen Klagen lauscht er immer noch summend. Nur manchmal macht er Einwände, wie neulich, als ich ihm aus einem alten »Journal of the American Medical Association« vorlas. Es ging um eine Studie über Verletzungen, die Menschen bei Unfällen mit Getränkeautomaten davongetragen hatten, ja von Todesfällen war die Rede. Immer wieder geschehe es, so las ich, dass Cola-Automaten, vollbeladen mit gefüllten Dosen, sich nach vorne neigten und auf die Kunden stürzten. Drei Soldaten seien, Angaben der US-Armee zufolge, auf diese Weise zerdrückt worden.

      »Und warum?«, brummte mein alter Freund, dem die Untersuchung auf geheimnisvolle Weise schon zur Kenntnis gelangt war. »Weil sie die Geräte getreten und beschimpft haben. Weil sie ihnen die Getränke aus dem Leib schütteln wollten. Da kippen sie halt um. Sollen sie sich alles gefallen lassen?«

      Ich lief ins Wohnzimmer, um den ersten Band meines geliebten Lexikons zu holen. Ein Automat, definierte ich, erregt das Buch schwenkend, sei eine Vorrichtung, die vorbestimm te Handlungen nach einem Auslöseimpuls selbstständig und zwangsläufig ablaufen lasse; nichts anderes sei ihm gegeben.

      »Stimmt das denn?«, fragte mein Gegenüber.

      Natürlich stimme es nicht, brüllte ich, heiser vor Wut, aber man müsse darauf mal wieder zurückkommen. Wie oft habe so ein Ding schon mein mühsam zusammengepumptes Kleingeld ohne Gegenleistung gefressen!


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