Nächte mit Bosch. Axel Hacke

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Nächte mit Bosch - Axel Hacke


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irgendwo in der Maschine herum, nahm dann den weißen Eimer und schüttete die einzelnen Buchstaben darin, die für die bisherigen Worte nicht verbraucht worden waren, in den Trichter. »Ick will nicht, dass etwas umkommt«, sagte er, »alles soll verwertet werden.«

      »Warum hast du das Ding gebaut?«, fragte ich.

      Er zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich doch, weil ick Worte so mag. Ick kann stundenlang dasitzen und mir ein Wort ansehen. Es ist blöd, aber es ist nun mal so. Ick erzähle es ja auch niemand, halten einen ja alle für verrückt. Nur du weißt es jetzt. Ick hab’s dir erzählt, weil du einer bist, der auch die Klappe halten kann.«

      »Broileri«, klockerte in den Eimer.

      »DDR-Deutsch kann sie?«, fragte ich verblüfft.

      »Das ist wieder Finnisch«, sagte Onkel Oskar, »aber ›Hähnchen‹ heißt es auch.«

      Es klockte und klackte ununterbrochen, lauter Worte mit einfachen Vokalen jetzt, Resteverwertung. »Pappi« sei der Pfarrer, erklärte mein Onkel, »Tutti« der Schnuller, »Banaani« die Banane, alles Finnisch.

      Ich besuchte ihn von nun an, so oft ich konnte. Wenn ich kam, gingen wir jetzt stets sofort in das Zimmer mit der Buchstabiermaschine und ließen sie surren und schnurren und lagen davor auf dem Boden und kicherten über die Worte. Sobald mein Onkel dieses Zimmer betrat und anfing, an seiner Maschine zu schrauben und zu wienern und sie in Betrieb zu nehmen, war er nicht mehr schweigsam und wortkarg, und nie schaute er abwesend in die Ferne. Er hörte gut, und manchmal schaute er mich lachend an und klopfte mir fest auf die Schulter. Es musste mit den Worten zusammenhängen, eine andere Erklärung wusste ich nicht.

      Wenn wir bei schönem Wetter zusammen in seinen Garten hinübergingen, schenkte er Kindern auf der Straße kleine Worte. Manche steckten sie ein, andere sagten, von fremden Männern dürften sie keine Worte nehmen. Seine Tochter kam immer noch, aber nie betrat sie das Zimmer mit der Buchstabiermaschine, und nie redete sie. Einmal sah ich durch den Türspalt, wie mein Onkel sie auf dem Flur lange und still umarmte. Ein andermal, später, als wir uns wochenlang nicht gesehen hatten, erzählte er mir, er sei in der Schweiz gewesen und zeigte Bilder vom Matterhorn, murmelte immerzu das Wort »Chuchichäschtli« vor sich hin und wollte, dass die Buchstabiermaschine auch schwyzerdütsche Worte machte.

      Sächsisch konnte sie schon, und ich lernte, dass es ein schöneres Sächsisch gab als das hochnäsige Marienborner Vopo-Sächsisch, das mir von meinen Transitfahrten in den Ohren klang. »Morchngonzärrd« klockte heraus und »Babbgardong, Gwargguchn, Rodgohl, Zebbelin, Gamelhaarmandl«. Mein Onkel kam gar nicht nach, so oft blinkte die rote Lampe, und so viele Bertas und Doras und Gasimiers musste er oben in den Trichter nachfüllen. »Bluddurschd hat sie«, sagte er dann.

      Wenn er ganz tief in den Apparat hineinkroch und lange an den verschiedensten Schrauben drehte, spuckte der Schlauch Tiernamen in den Eimer:

      »Blaulappenhokko, Halsbandschnäpper, Odinshühnchen, Spießflughuhn, Langschnabelbrillenvogel,

      Rallenreiher, Gelbkopfgeier,

      Kanaren-Schmätzer, Kabylen-Kleiber,

      Schwarzstirnwürger, Langschwanzdracke, Rübenschwanzgecko, Achtzehnfleckiger Ohneschild-Prachtkäfer, Linienhalsiger Zahnflügelprachtkäfer, Veränderlicher Edelschnarrkäfer, Zottiger Bienenkäfer,

      Furchenlippige Kerbameise,

      Schwarze Hochglanzeule, Eichen-Nulleneule, Standfuß’ Zackenbindeneule,

      Zürgelbaum-Schnauzenfalter,

      Quenselis Alpenbär.«

      Sie hörte überhaupt nicht mehr auf. Mein Onkel sagte, man müsse sparsam sein mit Worten und jedes einzelne genießen. »Ick will Respekt haben vor jedem Wort«, sagte er, »und ick will es mir genau anschauen.« Aber dann saßen wir doch da und fraßen Worte und hatten am Ende so ein Das-hättest-du-nicht-tun-sollen-Gefühl von Reue und Fettheit. »Sie ist gefährlich«, sagte Onkel Oskar, »sie hört nicht mehr auf mit den Worten. Man muss aufpassen, sonst überschwemmt sie alles.«

      Ein paar Tage später ließ er trotzdem Pflanzennamen ausspucken, und es war wieder dasselbe. Wir trugen Säckchen um Säckchen die Stehleiter hinauf und konnten nicht genug bekommen: »Zarter Gauchheil, Breitblättriger Stinkstrauch, Warziger Tragant, Gewöhnliche Brillenschote, Langstrahliges Laserkraut, Großfrüchtiger Kohl, Drüsige Zwergfetthenne, Zottige Fahnenwicke, Starknerviges Gliedkraut, Johnstons Schnabelsenf . . .«

      Es war zum Wortekotzen, so übel war uns am Abend! Gab es solche Pflanzen wirklich? Hatte ich Johnstons Schnabelsenf nicht schon mal im Regal des Supermarktes gesehen?

      »Sie erfindet nie etwas«, sagte mein Onkel, »für jedes Wort gibt es irgendwo auch einen Gegenstand.« Würden diese Pflanzen einmal aussterben, so selten wie sie sich anhörten? So herrliche Namen, und sie würden nichts mehr bezeichnen und müssten ebenfalls verschwinden!

      Es klingelte.

      »Hat es geklingelt?«, fragte Onkel Oskar. Er verließ das Zimmer, um zu öffnen. Ich hörte Stimmen auf dem Flur, die meines Onkels und die zweier Männer.

      »Wollen Sie schon wieder mehr?«, fragte mein Onkel.

      »Natürlich, so viel wie möglich«, sagte einer der beiden.

      »Können Sie uns nicht schnell was machen? Mindestens acht Worte, für einen Autoprospekt. Es ist eilig.«

      »Ick will das nicht mehr«, sagte mein Onkel, »ick will nicht so viele Worte machen.«

      »Fangen Sie nicht wieder damit an«, sagte der zweite Mann, »was Sie letztes Mal geliefert haben, war doch wunderbar, hat hundertpro gepasst. Wissen Sie noch, die Gebrauchsanweisung für den neuen Turboladerstaubsauger? Entriegelungszunge, Sicherheitsarretierung, Rastnase, Ausblasöffnung, Gebläseflansch . . . war alles super.«

      »Schlucksaugeranschluss . . .«, seufzte mein Onkel.

      »Wie bitte?«

      »Schlucksaugeranschluss war das schönste Wort.«

      »Ja, gut, und jetzt brauchen wir mehr«, sagte der zweite Mann. »Zuerst für diesen Autoprospekt, und dann steht die Sportartikelmesse vor der Tür – die haben dauernd neue Geräte und brauchen Worte dafür«, sagte der erste Mann.

      »Ganzkörpertrainingsgerät neulich – haben Sie wunderbar gemacht«, warf der Zweite ein.

      »Es gibt neue Werbefilme für Schokolinsen, und der Bundestagswahlkampf steht vor der Tür. Wir brauchen nicht bloß ein paar Worte, wir brauchen Geschwätz, Mann, säckeweise. Mit diesen homöopathischen Dosen kommen wir nicht weiter«, sagte der Erste.

      »Es gibt genug Worte«, sagte mein Onkel, »es werden zu viele. Nur noch ein paar brauche ick, damit ick endlich eine Geschichte erfinden kann, dann ist Schluss.«

      »Wir zahlen gut«, sagte der erste Mann, »das wissen Sie doch.«

      »Ick will kein Geld mehr«, sagte Onkel Oskar.

      »Denken Sie an Ihre Tochter, an die Pflegekosten«, sagte der zweite Mann, »oder geben Sie uns endlich die Maschine, dann schwimmen Sie im Geld. Wir geben es Ihnen.«

      »Nie«, rief mein Onkel, »niemals!«

      »Sie sind ein alter Mann! Was wollen Sie mit so vielen Worten? Wir holen uns den Apparat! Eines Tages holen wir ihn uns einfach!«

      »Geben Sie doch Ruhe!«, sagte mein Onkel. »Warten Sie! Ick hole etwas.«

      Er senkte den Kopf und kam langsam wieder in das Zimmer mit der Buchstabiermaschine. Er sah mich nicht an, dreht an zwei kleinen Schrauben und schüttete zehn Säckchen mit Buchstaben in den Trichter. In den Eimer klockerten lange Worte. »Heckspoiler«, las ich, »Fächerauspuffkrümmer, Hinterachsöltemperatur, Ölkühlertrockensumpfschmierung, Absolutdruckladeregelung, Hinterachsquersperre, Magnesiumhohlspeichenrad, Gusskolbenquetschkante, Peitschenantenne, gewichtsoptimiertes Speichendesign.«

      Mein Onkel nahm wortlos die Worte unter den Arm, ging hinaus, gab sie den Männern und sagte:


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