Zwinglis gefährdetes Erbe. Hans Peter Treichler
Читать онлайн книгу.Agenten jeden Kalibers
Hier ein Lederbeutel voller Goldkronen, den ein gestiefelter und gespornter Bote spätnachts ins Haus liefert, dort ein Silbertaler, der im Wams des Stadtknechts landet – Pensionen nehmen die unterschiedlichsten Formen an. Ein bezeichnendes Beispiel schildert Zwingli im Verlauf der Rathaus-Hearings: Bei einem Treffen mit dem reformationsfreundlichen Herzog Ulrich von Württemberg kommen die Machenschaften eines Zürcher Agenten zur Sprache, der allen Verboten zum Trotz Truppen für den Herzog anwerben will. Dieser Hans «Klotz» von Escher, so wettert der Herzog, sei ein onverschampter bettler; er hab im oft handvoll und seckelvoll geben und noch wölle das nit helfen – immer wieder habe er ihm Soldgeld vorgeschossen, ohne dass der Mann auch nur einen einzigen Söldner vermittelt habe.
«Klotz» Escher verkörpert offensichtlich die unterste Stufe des Metiers Pensionsherr: ein schäbiger kleiner Agent, der gegen gelegentliche Schmiergelder für seinen Auftraggeber weibelt. Sein Gegenstück ist der Söldnerhauptmann grossen Stils, der Landjunker, der als Truppenführer und Anwerber jährlich Tausende von Goldkronen bezieht. Einzelne Machtmenschen dieses Schlags tauchen bereits zur Zeit der Burgunderkriege im 15. Jahrhundert auf, so etwa der Heerführer Hans Waldmann, der sich zum Zürcher Bürgermeister aufschwingt und seines despotischen Führungsstils wegen auf dem Schafott endet. Seine volle Ausprägung findet der Typus aber erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Ein Abenteurer wie der Luzerner Oberst Heinrich von Fleckenstein, Schultheiss von Luzern und Burgherr auf Heidegg, hinterlässt rund 180‘000 Gulden und gilt als einer der reichsten Schweizer seiner Zeit. Ebenso ein weiterer Luzerner, der «Schweizerkönig» Ludwig von Pfyffer, dessen Vermögen bei seinem Tod im Jahre 1594 auf 350‘000 Gulden geschätzt wird.
Welche Gegenleistungen erwarteten die Geldgeber aber eigentlich im Fall eines Jakob Grebel und seiner Genossen? Auf Zürcher Gebiet stiess die Anwerbung von Soldaten auf allergrösste Schwierigkeiten. Hier lohnte sich der Einsatz nicht, schon weil dienstwillige Zürcher Burschen problemlos in grenznahen Städtchen wie Zug oder Baden anheuern konnten. Wenn Rom, Paris oder Mailand ihre Kontakte nach Zürich dennoch sorgfältig pflegten, so durchaus in der Hoffnung, das Regime der Reformierten könnte eines Tages auseinanderbrechen. Trafen sich konservative Zürcher, wurde schon bald einmal über eine Entführung Zwinglis oder ein Attentat diskutiert. Irgendjemand musste doch diesem Regime der luterschen böswicht und der zwinglischen Schelmen ein Ende setzen!
Blutdurst
Zur Zeit der Affäre Grebel nimmt Zwinglis Feldzug gegen die Kronenfresser noch stürmischere Formen an als bis anhin. In seiner berühmt gewordenen «Blutegel»-Predigt unterscheidet er von der Kanzel aus zweierlei Pensionenbezüger. Da sind zum einen die Hauptleute, welche die von ihnen angeworbenen Truppen hoch zu Ross in ihr Einsatzgebiet führen. Darin gleichen sie «den Metzgern, die Vieh nach Konstanz treiben. Sie bringen das Vieh über die Grenze und nehmen das Geld dafür entgegen und kommen ohne Vieh wieder nach Hause. Dann machen sie eine weitere Fahrt und immer weiter und weiter so.» Trotz Scharmützeln und Geschützfeuer kämen sie von jeder Fahrt unversehrt nach Hause – «ich weiss nicht, wo sie sich jeweils hinstellen» – und stolzierten hier durch die Gassen «so prunkvoll in Seide, Silber, Gold und Edelsteinen, mit Ringen und Ketten einher (…), der eine oben voller Gold und unten voller Seide, der andere unten vergoldet und oben von Samt und Damast». Womöglich noch verabscheuungswürdiger sind jene Schmiergeldempfänger, die sich ganz auf die Rekrutierung beschränken. Zwingli nennt sie byrenbratter oder Birnenbrater – dorum, das die daheym sässind hinder dem offen, nitt hinus kämind. Den zukünftigen Soldaten und ihren Eltern versprechen sie Wunderdinge aus fernen Ländern, ohne je einen Feldzug mitgemacht zu haben. «Damit aber richten sie grösseren Schaden unter uns an, als es je ein fremder Herrscher vermöchte.» Und als fürchte er, sich nicht deutlich genug ausgedrückt zu haben, schickt Zwingli seiner Predigt eine ganze Schrotladung Schimpfwörter hinterher: Jawohl, diese Leute sind Blutsauger, sind Blutegel, und keine Schelte ist für diese Blutkrämer zu heftig! (siehe « «Blutegel»-Predigt)
« «Blutegel»-Predigt: Ir wüssend wol, biderben lüth, wie wol es mir zuogelegt, dass ich (…) dise lüth genempt «bluotsuger» und «bluotäglen», und das ich aber nitt gethan hab. Aber yedoch muoss ich ietzund sagen und offentlich üch anzeigen, wemm doch die houptlüth glych syend; und gillt mir gar glych, ob ettlich lüth daran ein beduren haben wurdent; dann das byspil ist an imm selbs nitt alls bös, alls die sind, von denen ich reden. Sy sind den metzgeren glych, die das väch gen Costantz trybend. Die trybend das vach hinuss, und nämend das gällt darumb, und kummend one das vach wider heim. Farend dann widerumb uss und thuond imm also für und für. Also thuond die pensioner und houptlüth. Denen hat es – ussgenommen ein fart – all wäg gelungen, das sy uss den schlachten und geschütz – nitt weiss ich, wohin sy sich stellend – widerum heym kummend, und bringend die wättschger voll gällts, und habend biderber lüthen kinder vertriben; und von stund an widerumb uff, und bringend einen anderen huffen; den vertrybend sy ouch; darus werdent sy rych. Nun luogend, ob man die bluotverkramer thürer gnuog könne schällten. (ZW III, 49, S. 587)»
Ihr wisst schon, ihr ehrlichen Leute, dass man mir nachgesagt hat, ich hätte diese Leute «Blutsauger» und «Blutegel» genannt, was ich aber nicht tat. Jetzt muss ich aber doch öffentlich bezeugen, wem diese Hauptleute gleichen. Dabei ist es mir egal, ob sich manche Leute daran stossen werden, denn der Vergleich selbst ist bei weitemnicht so übel als die, von denen ich spreche. Sie gleichen nämlich den Metzgern, die Vieh nach Konstanz treiben. Sie bringen das Vieh über die Grenze und nehmen das Geld dafür entgegen und kommen ohne Vieh wieder nach Hause. Dann machen sie eine weitere Fahrt und immer weiter und weiter so. So halten es die Pensionsherren und die Hauptleute. Ihnen gelingt es immer wieder, dass sie zwar einen Kriegszug mitmachen, aber – ich weiss nicht, wo sie sich hinstellen – aus den ganzen Massakern und dem Kugelhagel wieder (heil) nach Hause kommen, die Tasche voll mit Geld. Sie haben die Kinder ehrlicher Leute verschachert und machen sich sofort wieder auf und führen einen weiteren Trupp weg, den sie ebenfalls verschachern; davon werden sie reich. Jetzt seht ihr selbst, dass für diese Blutkrämer keine Schelte zu heftig ist.
Den Blutegel, der sich einmal festgesaugt hat, wird man so schnell nicht los. Wo mit Goldketten behangene Hauptleute in ihren Samtwämsern durch die heimischen Gassen stolzieren, während irgendwo in Europa die von ihnen verführten Bauernburschen auf dem Schlachtfeld verbluten, machen sich Hoffart, Sünde, Neid und Zwietracht breit. Und hat dieses Unkraut erst einmal Wurzeln geschlagen, lässt es sich so schnell nicht wieder ausrotten.
Schlachtzulage: ein Monatslohn
Im Jahre 1522 hatte Zürich eine «Satzung wider die Pensionen» erlassen. Sie liess an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig und wies keinerlei Schlupflöcher auf. Strafbar machte sich, wer von einer fremden Instanz Zuwendungen entgegennahm, sei dies in der Form von provision, gelt, miet, gab, schenken oder eines Grundstücks oder dessen Zinsen. Wer Strohmänner vorschob oder die Pension an Ehefrau, Tochter oder Sohn überweisen liess, war ebenso schuldig, wie wenn er seine Guthaben in einem anderen Land deponierte. Die Strafen waren einschneidend; Überführte galten als «ehrlos und meineidig», also aller bürgerlichen Rechte verlustig. Ab 1523 waren alle Amtspersonen gehalten, die Satzung öffentlich zu beschwören, darunter auch die Geistlichen: Eine Illustration aus Bullingers Reformationschronik zeigt eine Gruppe Pfarrer im schwarzen Talar, die ihre Hand zum Schwur erheben.
Wie aber ging der Pensionsherr in den zwölf Orten vor, die den Solddienst duldeten, ja förderten? Ein Hauptmann, der als Alleinunternehmer arbeitete, verfügte über ein kleineres oder grösseres Netzwerk von Werbern, die auf einen bestimmten Termin hin Burschen aus ihrer Region an einen Treffpunkt aufboten. Die Angeworbenen erhielten ein Handgeld in der Höhe einiger Tagessolde und unterzeichneten einen Vertrag; in vielen Fällen brachten sie eigene Waffen und Ausrüstung mit. Auftraggeber (die «Soldherren») und Hauptleute einigten sich meist auf einen Pauschalbetrag in der Grössenordnung von 1500 bis 3000 Gulden pro Kompagnie und Jahr, dies bei einer Kompagniestärke von 150 bis 180 Mann. Geschickte Hauptleute wussten ihr Budget so einzuteilen, dass ihnen ein Drittel der Pauschale als Gewinn blieb – dies, indem sie den Sold so tief wie möglich hielten, die billigsten Truppenunterkünfte