Mythen, Macht + Menschen durchschaut!. Christoph Zollinger

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Mythen, Macht + Menschen durchschaut! - Christoph Zollinger


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auch wissenschaftliche Befunde als Leitplanken seines Denkprozesses akzeptiert, stellt fest, dass seit Anbruch des sogenannt integralen Zeitverständnisses bahnbrechende, neue Erkenntnisse jene wertvollen Arbeiten früherer Suchenden ergänzt und zum Teil neu formuliert haben. Mit integral ist hier übrigens ganzheitlich, auch Fokussierung auf das Ganze, gemeint. Gebieterisch drängen heute die äußerlichen Zeichen des Wandels – Globalisierung und Internet / Cloud Computing / Big Data, also die neue Erfahrung in Raum und Zeit – an die Oberfläche.

      Die erste Wegmarke postierte Albert Einstein mit seinen Relativitätstheorien. Zweifellos kann sein Lebenswerk als Modell einer von der Ganzheit geprägten Weltsicht verstanden werden. Als Mathematiker und Physiker involvierte er sich in die Politik, die Wirtschaft und las seinen Mitmenschen gern und schalkhaft die Leviten.

      Seither mehren sich die Anzeichen eines epochalen Neubeginns. Hier eine kleine, subjektive Auswahl aus der wissenschaftlichen Forschung:

      – Der Zusammenhang zwischen Verstand und Gefühl, seit Descartes dualistisch definiert, wird neu interpretiert. Emotionen konditionieren die Ratio. Medizin und Neurowissenschaften sind sich (fast) einig.

      – Die Hinterfragung des wissenschaftlichen Bildes des Menschen als rationales Wesen hat zu einer fundamentalen Neuformulierung in der Wirtschaft geführt. Deren Nutzentheorie, die auf der Annahme des rationalen Verhaltens der Teilnehmer fundiert, ist in sich zusammengebrochen. Diese Entdeckung wurde mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet.

      – Die Erkenntnis, dass unbewusste Gedanken unser Alltagsleben steuern, mag nicht so ganz revolutionär sein. Der Ausgangspunkt des Rationalismus, der Denken als bewussten Vorgang implizierte, ist jedoch widerlegt. Das jedenfalls meint die kognitive Wissenschaft. Denken geschieht größtenteils unbewusst. »Ich denke, also bin ich«, wirklich?

      – Darwins Theorien, »Kampf ums Überleben« oder »Krieg der Natur«, werden für den Menschen aus Sicht der Medizin, Molekular- und Neurobiologie erweitert: Die menschlichen Gene sind nicht egoistisch, sondern funktionieren als Kooperatoren. Der Mensch ist ein auf Resonanz und Kooperation angelegtes Wesen.

      – Aus der Physik kommen neue Töne. Das Zeitalter der Emergenz, der Selbstorganisation der Natur, ersetzt den Mythos von der absoluten Macht der Mathematik. Es ist gleichzeitig das Ende des Reduktionismus und der falschen Ideologie der menschlichen Herrschaft über alle Dinge.

      Anfang 2013 erreichte uns die Nachricht, dass die ETH Lausanne von der EU den Zuschlag für das Milliardenprojekt zur Simulation des Gehirns erhalten hat. Der Kopf hinter diesem gigantischen Vorhaben ist Henry Markram. Sein Ansatz ist neu. »Solange wir nicht verstehen, wie die vielen Einzelteile zusammenpassen, mühen wir uns vielleicht an den falschen Orten ab.«

      »Solange wir nicht verstehen.« Diese beiläufige Bemerkung des Hirnforschers ist entscheidend. Weil im Gehirn alles mit allem zusammenhängt, weil »alles so unglaublich verwoben ist, dass jede Tat, jede Aktion, die jemand tut, einen immens tiefen Eindruck auf die Gesamtheit der Dinge hinterlässt«, deshalb kommt der Mediziner und Physiologe zur Einsicht, dass mit dem Human Brain Project entscheidend neues Wissen geschaffen werden könnte.

      Der »Reisende durch den Kosmos des menschlichen Gehirns«, wie Markram auch genannt wird, präsentiert mit seinem neuen Denken eine moderne Analogie des Weltverständnisses. Im 21. Jahrhundert malt er mit seinem simulierten Bild des Gehirns eine Parallele zum neuen Weltbild: Nur wenn der Mensch die Gesamtheit seiner Aktivitäten in Betracht zieht, handelt er zeitgemäß.

      Verstehen heißt nicht, einverstanden zu sein. Doch verstehen zu wollen, warum Mitmenschen gelegentlich für uns völlig unmögliche, ja unglaubliche Thesen vertreten – das ist spannend und gleichzeitig neues Denken. Heute brechen wir auf unserer persönlichen (Zeit-)Reise ganz selbstverständlich in Jets auf und programmieren nach Ankunft das GPS, um ohne Irrfahrten ans Ziel zu gelangen. Warum also nicht auch andere, weniger geläufige Errungenschaften des wissenschaftlichen Fortschritts akzeptieren? Hier zwei Beispiele.

      Kooperation statt Krieg. Einige der oben zitierten, überraschenden Befunde lassen es ratsam erscheinen, Andersdenkende nicht instinktiv und stur zu bekämpfen, um zu »siegen«. Kampf und Sieg sind Techniken aus jener Zeit, als versucht wurde, Macht in blutigen Kämpfen und Kriegen zu erringen. Überreste dieser Denkart treffen wir noch immer bei jenen politischen und wirtschaftlichen »Leadern«, die rückwärtsblickend im Alten verhaftet sind und ihre Gegner bekämpfen. Heute treten Menschen innerhalb von Kooperationen weltweit an, um gemeinsam Resultate zu erreichen. Die EU, die NATO, die UNO – alles sind letztlich Bündnisse, um Kriege zu vermeiden.

      Öffentliches Teamwork statt geheimen Einzelkampfs. Wurde in Wirtschaft und Wissenschaft früher hinter verschlossenen Türen geforscht und anschließend Entdecktes patentiert, sieht die Taktik der Erfolgreichsten heute oft anders aus: Probleme werden definiert und per Internet (Cloud Computing und Big Data) in die Welt hinaus geschickt; Interessierte nehmen die Herausforderung an und schicken ihre Lösungsvorschläge zurück an den Absender. Aus geheim wird öffentlich, statt jahrelang zu suchen, werden – dank Real Time und Teamwork oft in kurzer Zeit – die neuen Erfindungen abgeholt, überall auf der Welt. Global Village.

      Die Mythen verblassen. Obwohl heute Klarheit besteht, dass die alten Mythen in die Kategorie der Märchen einzureihen sind, bedienen sich populäre Märchenonkel unbeirrbar ihrer Faszination. Außer den Ewiggestrigen lassen sich aufgeklärte Menschen nicht länger verführen. Besonders die Jugend hat längst spannendere mediale Orientierungsquellen. Freiheit und Sicherheit zu versprechen, also etwas, was nie garantiert werden kann – diese einst erfolgreiche Mythenpflege vergilbt täglich mehr.

      Doch auch neue Mythen haben ihr Ablaufdatum überschritten. »Der Mensch, das rationale Wesen.« »Die Märkte, immer im Gleichgewicht.« »Ich denke, also bin ich.« »Krieg, der Vater aller Dinge.« »Glaube macht selig.« »Der Mensch, Beherrscher der Welt.«

      Die Macht zerfällt. Nach den Kirchenfürsten und Generälen erfahren dies Staatschefs, Diktatoren und politische Parteien. Wie sagte es Jean Gebser: »Wer den Machtanspruch zurückstellt, entgeht der Ohnmacht.« Noch klammern sich Großbanken an ihre überholten, medial wirksam formulierten Grundsätze. »Größe = Macht.« Doch diese Gleichung stimmt nicht mehr. Die mächtige UBS in der kleinen Schweiz wurde 2008 mit einem Milliardenpaket vom Staat, respektive dem Steuerzahler, vor dem Untergang gerettet. Too big to fail – hilfloses Resultat falschen Machtgehabens.

      Auch die Rolle der etablierten politischen Parteien schrumpft generell und weltweit in Demokratien. Die unflexibel und oft zu dualistisch ausgerichteten Großstrukturen des Gegeneinanders werden durch dynamisch vernetzte Denkstrategien des Miteinanders abgelöst.

      Wenn Mythen verblassen und Macht zerfällt, verlieren Menschen, Projekte, Strategien, die auf Mythen oder Machterhalt beruhen, ihr Erfolgspotenzial. Vor den Augen involvierter Menschen zerrinnt – wie in der Sanduhr – die Substanz; übrig bleibt das leere, durchsichtige Glasröhrchen. Wie gewonnen, so zerronnen!

      Weiter oben wurde die These vertreten, wonach Menschen, die sich der Mythen bedienen, um ihre Macht auszuspielen, die wahren Beweggründe verschleiern. Spätestens jetzt spielt es keine Rolle mehr, ob sie nur missionarisch getrieben sind oder ob sich hinter der Fassade der gut getarnte Versuch versteckt, überholte Privilegien zu retten. Still und leise ist auch das durchschaut!

      Wer das zu verstehen versucht, ist gut unterwegs auf seiner Lebensreise in die Zukunft.

       13. Oktober 2013

       Nr. 99

      Agora statt Arena: Platz für ganzheitliches Denken!

      Kontroverse Meinungen können sich im interessanten Dialog widerspiegeln oder im sinnlosen Disput enden. Ob Lösungen angestrebt werden oder nur der Sieg über den Gegner gesucht wird, zeigt sich in unterschiedlichen Denkmustern involvierter Menschen.

      Regelmäßig am Freitagabend um 22.20 Uhr wird die friedliche Wochenendstimmung in Schweizer Familien abrupt unterbrochen. Die »Arena« – die innenpolitische Diskussionsplattform auf SRF 1 – geht auf Sendung und (wo so gewollt) Empfang. Vorbei ist es mit der


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