Internationale Beziehungen. Anja Jetschke
Читать онлайн книгу.mit der eine politische Öffnung der Sowjetunion einherging, die schließlich im Zusammenbruch des Ostblocks durch demokratische Revolutionen endete.
Die Auflösung der SowjetunionAuflösung Sowjetunion begann mit der Unabhängigkeitserklärung aller 15 Unionsrepubliken 1990. Sie nahmen damit ihr verfassungsmäßig garantiertes Recht zum Austritt aus der Sowjetunion wahr oder wiesen auf die zwangsweise Eingliederung hin, wie im Fall der baltischen Staaten, die während des Zweiten WeltkriegZweiter Weltkriegs annektiert worden waren. Elf der ausgetretenen Staaten (alle ehemaligen Sowjetrepubliken bis auf die baltischen Staaten und Georgien) traten jedoch einer neuen Organisation bei, der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Sie wurde am 21.Dezember 1991 gegründet.
Die Ordnung nach dem Ost-West-Konflikt
Die Post-Ost-West-Konflikt-ÄraPost-Ost-West-Konflikt-Ära ging mit einer Reihe von dramatischen Veränderungen in den internationalen Beziehungen einher. Aus dem Konflikt gingen die USA als die einzig verbleibende Macht hervor. Der amerikanische Politikwissenschaftler Charles Krauthammer prägte dafür den Begriff des unipolaren Momentunipolares MomentEnde des Kalten Kriegs als unipolares Moment (Krauthammer 1991). Militärisch betrachtet waren die USA die zu diesem Zeitpunkt mit Abstand führende Macht im internationalen System. Sie waren nicht nur eine Supermacht, sondern eine Hypermacht. Der wirtschaftliche und politische Niedergang der Sowjetunion hatte eine weltpolitische Konfrontation beendet, ohne dass diese in einen zerstörerischen Krieg eskaliert war. Der Kalte Krieg war nicht nur unblutig zu Ende gegangen, sondern hatte auch mit dem Sieg von Demokratie und freier Marktwirtschaft geendet. Der politische Philosoph Francis FukuyamaFukuyama, Francis bezeichnete diesen Moment als das „Ende der Geschichte“: Der historische Kampf um Anerkennung war mit der weltweiten Demokratisierung zu einem Ende gekommen (vgl. Einheit 7). Diese Analysen erwiesen sich nur als teilweise richtig.
Aus der Abwesenheit einer Katastrophe ergab sich die Abwesenheit einer großen Weltkonferenz über ein neues Friedenssicherungssystem oder regionale Friedenssicherungssysteme. Stattdessen vollzog sich ein inkrementeller Wandel, der entweder auf bestehenden Strukturen, die sich global und regional herausgebildet hatten, aufbaute, oder aber zu deren Schaffung führte. Neben der überragenden Rolle der USA, die wichtige Strukturveränderungen unilateralAmerikanischer Unilateralismus herbeiführte, waren wichtige Antriebskräfte dieser Entwicklung internationale Organisationen, die multilaterale Verfahren weiterentwickelten und eine Verrechtlichung der internationalen Beziehungen bewirkten (Alter 2014).
Das unipolare Moment ging mit einer Reihe von Initiativen seitens der USA einher, die darauf abzielten, die Welt „für Demokratien sicherer“ zu machen: Dazu gehörte die Unterstützung für Prozesse der innerstaatlichen Demokratisierung, die globale Abrüstung, der Stopp der Proliferation von Atomwaffen. Die USA setzten hierfür auch vermehrt Sanktionen gegen Staaten ein (Hufbauer u.a. 2007). Nach den Terrorangriffen auf die USA im September 2001 gingen sie zu einem konzertierten Kampf gegen den globalen Terrorismus über. Diese Strategie führte jedoch zu Widersprüchen mit den etablierten Institutionen der internationalen Gemeinschaft, vor allem dem Sicherheitsrat der VN. Die US-Administration unter George W. Bush und ihre Verbündeten umgingen in wichtigen Fragen der (amerikanischen) Sicherheit den VN-Sicherheitsrat als das höchste multilaterale Entscheidungsgremium der internationalen Gemeinschaft, so bei dem NATO-Einsatz im Kosovo 1999 oder dem von den USA und Großbritannien geführten Krieg gegen den Irak 2003. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildete die US-Ankündigung, das völkerrechtliche Nichtangriffsgebot durch ein Recht des präventiven Angriffs auf von den USA definierten Schurkenstaaten zu durchlöchern und im Kampf gegen den Terrorismus international verankerte Menschenrechtsnormen nicht zu beachten, wie etwa das Recht auf Haftprüfung und ein faires Gerichtsverfahren (vgl. Einheit 13).
Merke
Das unipolare Moment ist ein Charakteristikum der Ordnung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Daneben lässt sich jedoch auch die Weiterentwicklung der nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen internationalen Organisationen, vor allem der Vereinten Nationen, beobachten. Dieser Bedeutungszuwachs ergab sich einerseits daraus, dass die Konfliktlinien des Ost-West-Konflikts keine Relevanz mehr hatten. Dem Ende des Ost-West-Konflikts folgte ein neuer Geist internationaler Kooperation und der Wille, internationale Institutionen effektiver und durchsetzungsfähiger zu machen.
Die als erfolgreich wahrgenommenen Institutionen des Westens sollten für die Staaten des ehemaligen Ostblocks oder die Blockfreien zur Integration geöffnet werden. Dies erforderte jedoch vielfach auf die größere Mitgliedszahl abgestimmte effizientere Entscheidungsmechanismen. Internationale und regionale Organisationen erhielten mehr Autoritätwachsende Autorität internationaler Organisationen gegenüber ihren Mitgliedern. Mit dem Internationalen Strafgerichtshof wurde außerdem eine neue Institution geschaffen, die mit der Strafverfolgung von Hauptverantwortlichen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch die individuelle Seite der Friedenssicherung bearbeitet. Die Handels- und Finanzinstitutionen entwickelten sich zudem zu globalen Organisationen.
Neben dieser Ausweitung im Aufgabenbereich internationaler Organisationen lassen sich noch zwei weitere zentrale Trends beobachten: Zum einen eine RegionalisierungRegionalisierung der internationalen Beziehungen, die sich darin ausdrückt, dass sowohl Kompetenzen von der internationalen auf die regionale Ebene verlagert werden, als auch Kompetenzen von der staatlichen auf die regionale Ebene; zum anderen der Aufstieg von Schwellenländern, insbesondere der größten Staaten Brasilien, China und Indien. Regional lassen sich sehr unterschiedliche Trends beobachten: Während in Lateinamerika, Asien und Afrika eine Regionalismuswelle mit der Gründung einer Vielzahl von Regionalorganisationen eingesetzt hat, hat die letzte Demokratisierungswelle ab 2011 im Nahen und Mittleren Osten einen Flächenbrand aus sich transnationalisierenden Bürgerkriegen ausgelöst.
Die wachsende Autorität internationaler Organisationen
Internationale Organisationen haben seit dem Ende des Ost-West-Konflikts einen enormen Autoritätszuwachs erlebt. Dieser Autoritätszuwachs speist sich aus verschiedenen Faktoren.
Durch den Zerfall der SowjetunionAuflösung Sowjetunion hat sich die Zahl der Staaten im internationalen System noch einmal signifikant erhöht, ohne dass die Entscheidungsverfahren der internationalen Organisationen in gleichem Maße mitgehalten hätten. Wenige Staaten entscheiden über mehr Staaten, die nicht in den Entscheidungsgremien sitzen. Am bedeutendsten ist dies im Sicherheitsrat.
Die Aktivitäten von internationalen Organisationen haben sich wesentlich verändert und zielen heute stärker auf Regelungen im Inneren von Staaten ab, zum Beispiel nichttarifäre Handelshemmnisse, innerstaatliche Kriege, Schutz und die Förderung von Demokratie. Internationale Organisationen haben ihre Eingriffstiefe erhöht.
Die globalen Effekte der Auflösung der SowjetunionAuflösung Sowjetunion
Merke
Die Auflösung der SowjetunionAuflösung Sowjetunion hatte ähnlich gewichtige Konsequenzen für das internationale System wie das Ende des Ersten oder des Zweiten Weltkriegs. Sie hatte sicherheitspolitische, politische und wirtschaftliche Effekte globalen Ausmaßes.
Die Effekte der Auflösung der SowjetunionAuflösung Sowjetunion waren weitreichend. Sie waren nicht nur auf die Staaten der ehemaligen Sowjetunion und ihrer Verbündeten beschränkt, sondern hatten systemweite Effekte. Es war das Ende einer Supermacht, die die Weltordnung der Vor- und Nachkriegszeit wesentlich mitgestaltet hatte. Dies hatte globale politische, sicherheitspolitische und wirtschaftliche EffekteGlobale Effekte.
Die Implosion hatte politische Effekte: Jahrzehntelang hatten viele Regierungen und nicht-staatliche Akteure im Wesentlichen nur aufgrund der Unterstützung der Sowjetunion oder der USA politisch überlebt. Das Ausbleiben der internationalen finanziellen und politischen Unterstützung untergrub die politische Stellung von Regierungen und nichtstaatlichen Gruppen in beiden Lagern gleichermaßen. Viele der während des Ost-West-Konflikts etablierten Regierungen und Einparteiensysteme konnten sich unter den neuen Bedingungen nicht mehr halten. Dies ermöglichte die weitflächige Demokratisierung und historische Friedensregelungen