Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht. Sylvie Méron-Minuth

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Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht - Sylvie Méron-Minuth


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aufzubauen. Durch das Erlernen einer weiteren romanischen Sprache könne zwar eine Lesekompetenz in allen romanischen Sprachen entwickelt werden, allerdings bleibe das Hörverstehen in der Zielsprache Französisch relativ eingeschränkt. Laut Klein (2002, 2006) funktioniert die französische Sprache nach zwei unterschiedlichen Systemen. Kompetente Sprecherinnen und Sprecher der Brückensprache Französisch haben zwei Sprachcodes erlernt: zum Einen den geschriebenen Code, den code écrit, der besonders panromanisch ist und sich für den Einstieg zu den anderen Schriftsystemen eignet, und zum Anderen den gesprochenen Code – den code oral –, der von den panromanischen Gemeinsamkeiten wesentlich weiter entfernt ist und ganz andere typologische Merkmale aufweist (vgl. Klein 2006). Französisch übernimmt die Funktion der Brückensprache für das spätere Erlernen weiterer romanischer Sprachen wie Spanisch oder Italienisch als dritte oder als neu einsetzende spätbeginnende Fremdsprache in der Oberstufe.

      „Der Französischunterricht an den deutschen Schulen erhält daher unter den Gesichtspunkten der Mehrsprachigkeitskonzepte der EU-Kommission einen wichtigen zusätzlichen Stellenwert: Er öffnet über die Interkomprehensionsvorteile der französischen Sprache den Zugang zur gesamten romanischen Sprachengruppe in Europa und der übrigen romanischsprachigen Welt. Dem Französischen fällt dadurch die Rolle einer Weltbrückensprache zu.“ (Klein 2002: 44f.)

      2.6.5.3 Latein

      Latein ist die gemeinsame Basis und „Mutter“ der romanischen beziehungsweise europäischen Sprachen (vgl. Müller-Lancé 2012: 11). Stefan Kipf (2014) beispielsweise, führt aus, dass der Lateinunterricht den Schülerinnen und Schülern einen akribischen Zugang zur Tradition der europäischen Kultur gewähre, ihr historisches Bewusstsein fördere, und dass allgemein Latein einen grundlegenden Beitrag zur „Förderung einer gemeinsamen europäischen Identität“ leiste (Kipf 2014: 139). Allerdings befindet sich das Lateinische aus der Sicht der Schulsprachenpolitik weiterhin in einer eher kritischen Lage (vgl. Haag & Stern 2002: 523 sowie auch Jakisch 2015: 36f.), insofern als der Anspruch des Europarates – nebst der Muttersprache, Kenntnisse in zwei weiteren europäischen Sprachen zu erwerben – auf moderne Fremdsprachen und auf deren aktive Sprachverwendung in konkreten Begegnungssituationen zurückgreift. Dieser Erklärung zufolge wird Latein als alte Sprache ausgeschlossen (vgl. Jakisch 2015: 36). Während die lebenden Fremdsprachen die Entwicklung einer Kommunikationsfähigkeit und einer interkulturellen Handlungskompetenz anstreben, bei welchen rezeptive und produktive Fertigkeiten ausgebildet werden (vgl. Neveling 2010), schult das Lateinische dagegen eher kognitive und rezeptive Kompetenzen, im Besonderen die Sprachbewusstheit, die Reflexion und Betrachtung durch die Lernenden von Sprachstrukturen mittels antiker literarischer Texte, die umsichtig und kontrastiv mit dem Deutschen in Übersetzungsarbeit reflektiert und hermeneutisch erschlossen werden (vgl. dazu Haag & Stern 2002; Große 2013: 190f.; Kipf 2014). Sowohl das Hör-/Sehverstehen als auch die Sprechfähigkeit und das Schreiben werden dabei weitgehend außer Acht gelassen (vgl. Haag & Stern 2002: 524).

      Transfereffekte lassen sich vorwiegend bei der Vokabelarbeit auf das Erlernen einer modernen, romanischen Sprache feststellen (Haag & Stern 2002: 523), denn die allermeisten Lexeme in den romanischen Sprachen haben einen lateinischen Ursprung. Ludwig Haag und Elsbeth Stern (2002), die untersucht haben, ob sich Französisch oder Latein besser als Brückensprache eignen würden, empfehlen – wie auch andere Sprachdidaktiker und Linguisten (z.B. Meißner 2000, 2003; Müller-Lancé 2001; Neveling 2006) – das Erlernen von Latein nur als freiwillige dritte oder sogar vierte Fremdsprache (vgl. Haag & Stern 2002: 525). Ihrer Ansicht nach liefere Latein nur wenige Transferbasen, die Morphosyntax sei typologisch unterschiedlich zu betrachten und der panromanische Basiswortschatz differiere ebenfalls; es bestünde nur ein minimal wahrnehmbares Verwandtschaftsverhältnis betreffend der sprachlichen Ähnlichkeiten (vgl. Haag & Stern 2002: 524f.). Darüber hinaus schule es als tote Sprache zudem die kommunikative Kompetenz nicht.

      Die möglichen Nachteile des Lateinischen als Brückensprache bedeuten aber nicht, dass ihr Erlernen überhaupt keine positiven Auswirkungen mit sich brächte. Im Laufe der Jahre hat sich das Fach positiv weiterentwickelt (Kipf 2014: 139; Große 2015: 189; Siebel 2011, 2017), so wie es das statische Bundesamt 2013 in einer Statistik attestiert hat (vgl. Hinweis in Kipf 2014: 139).

      Das Fach Latein hat die Prinzipien der Mehrsprachigkeits- und Interkomprehensionsdidaktik mitaufgenommen (vgl. Kipf 2014: 141) und kann dabei als „reflexionsbasierte neutrale Brücke zwischen Erst- und Zweitsprache“ fungieren (Große 2015: 195). Im Sprachvergleich ergeben sich hierbei sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede in Bezug auf die moderne Zielsprache. Das Fach schult im Besonderen die Sprachbewusstheit und die Sprachreflexion seiner Lernenden (vgl. Große 2015: 192ff.). Man kann dem Lateinischen also im Hinblick auf die Ausbildung rezeptiver Kompetenzen keineswegs sein Transferpotenzial absprechen.

      Abschließend betrachtet ist es nicht zwingend notwendig, Latein im Sinne der Mehrsprachigkeitsdidaktik zu erlernen. Jedoch leistet die Sprache auch eine bedeutende Stützfunktion für alle weiteren (Fremd-)sprachen.

      2.6.5.4 Spanisch

      Das Spanische als Zielsprache ist in aller Regel die dritte Fremdsprache für deutschsprachige Schülerinnen und Schüler1 und somit haben diese bereits Kenntnisse in bis zu zwei zuvor erlernten Fremdsprachen: Englisch und eine romanische Sprache. Demzufolge bietet Spanisch als Tertiärsprache den Vorteil, dass sein Erwerb keine größeren Schwierigkeiten mehr darstellt beziehungsweise darstellen sollte. Vielmehr bringen die Lernenden zahlreiche Voraussetzungen mit: sie verfügen über vorhandene schulische und auch herkunftsbedingte sprachliche Ressourcen sowie über Verarbeitungsstrategien des Fremdsprachenlernens und Kenntnisse betreffend des strukturellen Aufbaus von Sprachen. Durch ihr reichliches Erfahrungswissen wird der Erwerb des Spanischen erleichtert und beschleunigt; ihre Kenntnisse in einer ersten romanischen Sprache können demzufolge unter Anleitung ihrer Lehrperson die Funktion der Transfer- oder Brückensprache einnehmen.

      2.6.5.5 Italienisch

      Vorteil des Italienischen als dritte bzw. spätbeginnende Sprache in der gymnasialen Oberstufe ist, dass der linguistische Hintergrund aus den zuvor erlernten Sprachen beachtlich ist, und dass die Schülerinnen und Schüler entsprechende Bezüge zu diesen Fremdsprachen in Form von interlingualen Parallelen bei grammatikalischen oder lexikalischen Phänomenen erkennen können. Ähnlich dem Spanischen respektive dem Französischen bietet deshalb das Italienische als romanische Sprache den Lernenden ein großes Potenzial, welches sich in der Vielzahl von Transferbasen im lexikalischen, phonetisch-graphischen oder noch morphosyntaktischen Bereich widerspiegelt. Italienischlernende haben insgesamt wenige Einstiegsprobleme oder noch unüberwindbare Schwierigkeiten (vgl. Reimann 2016: 512). Sowohl aktive als auch rezeptive, bewusste und unbewusste Kompetenzen können durch die Lernenden entwickelt werden. Durch die Nähe von Laut- und Schriftbild können sie sich schnell in die neue Sprache hineinfinden, demzufolge sehr rasch Fortschritte machen und somit auch motivierende Erfolgserlebnisse haben.

      2.6.6 Lebensweltliche Sprachen als Brückensprachen und ihr Potenzial für das Erlernen einer Schulfremdsprache

      2.6.6.1 Türkisch

      Die türkische Sprache ist in ihrer geschichtlichen Entwicklung von Sprachkontakten wie das Arabische und das Persische und im 19. und 20. Jahrhundert das Französische auf der lexikalischen Ebene geprägt und weist zahlreiche französische Lehnwörter auf (vgl. Brüser & Wojatzke 2010: 122; Thiele 2015: 139). Die türkische Schrift basiert seit einem knappen Jahrhundert auf der lateinischen Graphie und stellt deshalb keine zusätzlichen Schwierigkeiten bei der Entzifferung der Wörter dar, wie dies im Russischen oder Arabischen der Fall ist (vgl. Thiele 2015: 140)1. Im Gegenteil, die relative typologisch-lexikalische Nähe zwischen Französisch und Türkisch kann von den Lernenden als Transferstrategie durchaus bewusst eingesetzt werden, um unbekannte Wörter gewinnbringend zu erschließen und zu verstehen. Deshalb plädieren Brüser und Wojatzke (2010) dafür,

      „[…] die türkische Sprache als Brückensprache beim Wortschatzerwerb des Französischen in den Unterricht einzubeziehen […].“ (Brüser & Wojatzke 2010: 122)

      Die


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