Mündliches Erzählen als Performance: die Entwicklung narrativer Diskurse im Fremdsprachenunterricht. Gabriele Bergfelder-Boos

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Mündliches Erzählen als Performance: die Entwicklung narrativer Diskurse im Fremdsprachenunterricht - Gabriele Bergfelder-Boos


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der Erzählsituation (Schramm 2006). In den Zehnerjahren ziehen Becker / Wieler 2013b in dem von ihnen herausgegebenen Sammelband Erzählforschung und Erzähldidaktik heute eine erste Bilanz der Bemühungen um Einwirkung auf die Erzählwirklichkeit der Schule:

      Der Blick auf die Schulpraxis stellt sich für die gegenwärtige Erzählforschung und Erzähldidaktik als besondere Herausforderung dar, zumal dort trotz der festen Verankerung im Curriculum, und damit auch im Unterricht vor allem der Primarstufe, weder ein erzähldidaktisches Konzept noch ein Konzept von Erzählen selbst konsensfähige Verbreitung gefunden haben. Als mögliche Ursache dafür wurde angeführt, dass viele didaktische Ansätze unvermittelt nebeneinander stehen, und selbst aktuelle Förderkonzepte für das Vor- und Grundschulalter schwer miteinander vereinbar sind. Damit einher geht wiederum, dass maßgebliche Erkenntnisse der Erzählforschung die (Vor-)Schulpraxis nicht erreichen. (Becker / Wieler 2013b: 7f.)

      Das von Becker / Wieler evozierte Desiderat, das sich auf den Erstsprachenunterricht bezieht, stellt für mich einen wichtigen Anknüpfungspunkt dar. In meinem Forschungsansatz verbindet sich – wie von Becker / Wieler angemahnt – die Suche nach dem Potenzial mündlichen Erzählens mit der Absicht, die konkreten Bedingungen des Erzählens anhand konkreter Unterrichtsaktionen zu erforschen und auf dieser Basis ein konsensfähiges performatives Erzählkonzept für den Fremdsprachenunterricht zu entwickeln. Möglicherweise kann die Verknüpfung von Weiterbildung und Elementen von Aktionsforschung, die meiner Forschungsarbeit zugrunde liegt, einen Beitrag zu der von Becker / Wieler anvisierten Praxiseinwirkung leisten (Kap. 11.3.3).

      Die ausgewählten empirischen Studien werden im Folgenden kurz vorgestellt und deren Impulse für die Studie benannt.

      Flader / Hurrelmann 1984: eine Studie zum freien Erzählen in der Erstsprache

      Die von Dieter Flader und Bettina Hurrelmann zu Beginn der 80er Jahre durchgeführte Studie zum freien Erzählen im Unterricht (1984: 223-241) ist für meine Studie im Hinblick auf ihre Fragestellungen und Analysekriterien von Interesse. Flader / Hurrelmann untersuchen, ob und unter welchen Bedingungen das freie, spontane, alltägliche Erzählen im Unterricht möglich ist. Das empirische Material der Studie bilden die in der Erstsprache der Probanden durchgeführten Erzählstunden in zweiten und dritten Grundschulklassen. Zielgenre ist die mündlich erzählte Erlebnisgeschichte. Die Analyse der Erzählstunden geht zwei Leitfragen nach:

      Welche Idee von einer ‚guten Erzählung‘ dient dem Lehrer, der ‚freies‘ Erzählen in den Unterricht aufnimmt, als Orientierungspunkt für seine Kommentare und Interventionen? […] Welche Konflikte ergeben sich für den Lehrer und die Schüler aus dem Transfer der Form des alltäglichen Erzählens in die Unterrichtssituation? (Flader / Hurrelmann 1984: 226)

      Zur Analyse der Aktivitäten von Lehrenden und Lernenden wird ein dreigliedriges Interaktionsschema zur Einbettung des Erzählens in den Klassenzimmerdiskurs entwickelt. Auf der Basis des Interaktionsschemas werden Charakteristika der narrativen Interaktion zwischen den erzählenden Kindern und den Lehrkräften, die die Erzählungen der Kinder begleiten, herausgearbeitet. Zwei Impulse für meine Studie zum Erzählen als Performance ergeben sich aus den Erzählstundenanalysen von Flader / Hurrelmann:

      1 Die von ihnen erarbeiteten Einmischungsstrategien der Lehrkräfte boten mir schon vor der Lektüre der Studie von Schramm 2006 Anregungen zur Entwicklung von Kriterien zur Analyse der Rolle von Lehrkräften in der narrativen Interaktion.

      2 Die Frage nach den Vorstellungen der Lehrkräfte von einer ‚guten Erzählung‘ und nach möglichen Konflikten, die sich aus dem Transfer dieser Vorstellungen in die Unterrichtspraxis ergeben und die nach Einschätzung von Becker / Wieler (2013b) immer noch ein Problem der Erzählpraxis in der Schule darstellen, haben mich dazu angeregt, die Rolle von Erzählkonzepten der Weiterbildungsstudierenden zu reflektieren und sie in die Interpretation meiner Analyseergebnisse einzubeziehen.

      Karen Schramm 2006: eine Studie zur Interaktion bei Erzählungen in der Zweitsprache

      Die von Schramm durchgeführte Studie zur narrativen Interaktion in der Grundschule (mit dem Schwerpunkt Deutsch als Zweitsprache) ist für meine Studie interessant im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Kriterien zur Analyse von Lehrkräftestrategien (Flader / Hurrelmann 1984), die Schramm als narrative Scaffolding-Verfahren vorstellt. Das empirische Material der Studie bilden Interaktionen von Lehrkräften mit Schülerinnen und Schülern der ersten und zweiten Klassen der Grundschule, von denen im Durchschnitt 80 Prozent Deutsch als Zweitsprache sprechen. Schramm untersucht das Potenzial schulischen Erzählens für die langfristige zweitsprachige Förderung in der Grundschule. Eine entscheidende Rolle spielt dabei das narrative Scaffolding, d.h. die Unterstützung der Lernenden durch soziale Interaktion. Ausgehend von der Unterscheidung zwischen

      […] Korrekturen, bei denen der Sprecher seinen Mitteilungsfokus aufgibt, und Reparaturen, bei denen der Sprecher seine Äußerungsabsicht mit Hilfe des Hörers realisieren kann (Schramm 2006: 171),

      legt Schramm ihren Untersuchungen die drei folgenden Analysekriterien zugrunde: „(a) Selbst- vs. Fremdinitiierung, (b) Selbst- vs. Fremddurchführung, (c) Reparatur vs. Korrektur.“ (a.a.O.) Den von ihr untersuchten Interaktionsbeispielen entnimmt sie zwei unterschiedliche Scaffolding-Verfahren. Das erste wird durch sog. didaktische Fragen (Schramm 2006: 173f.) umgesetzt. Diese dienen der Lehrkraft meist nicht zur Klärung von Verständnisproblemen, sondern zur Fehlerkorrektur und Ausrichtung der Erzählung nach ihren Vorstellungen bzw. der Orientierung am Original. Das zweite erfolgt durch sog. genuine Fragen (Schramm 2006: 176), affektive Markierungen und inhaltliche Erweiterungen. Diese Verfahren dienen dem „Ausbau der Geschichte“ (a.a.O.). Das erste Verfahren birgt die Gefahr, dass der Sprechende seinen Beitrag abbricht, das zweite hilft ihm, seine Sprechabsicht weiterzuverfolgen. Die Unterscheidung zwischen narrativer Korrektur und narrativer Unterstützung und zwischen den beiden kommunikativen Absichten nehme ich als weitere Anregung zur Entwicklung von Analysekriterien der narrativen Interaktion.

      Tabea Becker 20134: eine Studie zur Erzählentwicklung in der Erstsprache

      Die von Becker Ende der 90er Jahre im Rahmen ihrer Dissertation (2001)1 durchgeführte Untersuchung zur Erzählentwicklung von Kindern im Vorschul- und Grundschulalter ist für meine Studie von Interesse im Hinblick auf ihre zentrale Frage nach dem Zusammenhang von Erzählleistung und Erzählform und im Hinblick auf die ihrer Erzählanalyse zugrunde gelegten Untersuchungsdimensionen und Analyseinstrumente. Becker untersucht vier verschiedene, von den Kindern erzählte Formen: Erlebnis- und Phantasiegeschichten, die sie Primärerzählungen zuordnet, sowie Bildergeschichten und Nacherzählungen, die sie reproduktiven Erzählungen zurechnet. Zur Analyse der vier Erzählformen entwickelt Becker in Auseinandersetzung mit verschiedenen erzähltheoretischen Ansätzen, vor allem mit dem interaktiven Ansatz von Hausendorf / Quasthoff (1996) und dem schematheoretischen Ansatz von Boueke / Schülein (1991), einen dreidimensionalen Erzählbegriff2, der für die Entwicklung meines Erzählmodells relevant ist. Folgende Impulse für meine Studie ergeben sich aus ihrer Untersuchung:

      1 Von großem Interesse sind die Zusammenhänge, die Becker zwischen den Bedingungsfaktoren mündlichen Erzählens nachweist. Sie zeigt, dass sich eine Passung zwischen der Präsentation der Erzählung und der Erzählsituation positiv auf die Erzählungen der Lernenden auswirkt3. Dieser Passung werde ich bei der Analyse der Erzählstunden nachgehen.

      2 Als wichtigsten Impuls ihrer Studie kann ich die von ihr recherchierten narrationsspezifischen Kriterien der Analyse von Erzähltexten und -diskursen zur Konstruktion von Analysemodellen nutzen (Kap. 3.1.1, Kap. 5.3.1).

      Ahrenholz 2006b: eine Studie zur Entwicklung mündlicher Sprachkompetenz

      Die unter Ko-Leitung von Bernt Ahrenholz im Rahmen des DFG-Projekts FöDaZ4 von 2003 bis 2005 durchgeführte Studie (Ahrenholz 2006a: 91-109) zur Entwicklung mündlicher Sprachkompetenzen bei Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund ist für meine Studie von Interesse wegen ihrer detaillierten, erzähltheoretisch basierten Analyseinstrumente und eines ihrer zentralen Ergebnisse. Ziel der Studie von Ahrenholz ist eine empirisch basierte Beschreibung mündlicher Sprachkompetenzen von Schülerinnen und Schülern dritter und vierter Grundschulklassen. Informanten sind 29 Schüler mit Migrationshintergrund


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