Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation. Christine Becker

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Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation - Christine Becker


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gesetzt werden, die als kulturelles Lernen bezeichnet werden:

      Von ‚kulturellem Lernen‘ soll also dann die Rede sein, wenn Individuen in der und durch die Auseinandersetzung mit ‚Texten‘ […] über die ihnen verfügbaren Deutungsmuster reflektieren und diese so anpassen, umstrukturieren, verändern oder weiterentwickeln, dass sie den kulturellen Deutungsmustern, von denen die Texte Gebrauch machen, weit gehend entsprechen, sie diesen Texten einen kulturellen angemessenen Sinn zuschreiben und dazu angemessen (kritisch oder affirmativ) Stellung nehmen können. (Altmayer 2006, 55)

      Über das Entdecken von Deutungsmustern, über das Reflektieren der Bedeutung in den jeweiligen Texten sollen die Lernenden mit dem geteilten Wissensvorrat bekannt gemacht werden und schließlich in der Lage sein, die einem Text zugrunde liegenden Deutungsmuster und ihre jeweiligen Bedeutung zu identifizieren.

      In jüngerer Zeit wird der Irritation als zentrales Moment für kulturelles Lernen besondere Aufmerksamkeit gewidmet (vgl. Agiba 2016, 405f, Agiba 2017), wobei diese nicht als Störungen des Lernprozesses sondern als Lernanlass verstanden werden:

      Ein (kulturbezogener) Lernprozess fängt keineswegs von Grund auf neu an, sondern es werden immer wieder neue Wissenselemente in bereits vorhandene Schemata und Wissensnetze eingefügt und erweitert. Lernen versteht sich somit als Erweiterung und Differenzierung kognitiver Schemata und Wissensnetzen. Irritationen sind insofern eng mit der Anschlussfähigkeit verbunden. (Agiba 2016, 406)

      Dank Irritationen können die Lerner sich ihrer eigenen Deutungen bewusst werden, wodurch eine Ausgangslage für kulturelles Lernen geschaffen wird.

      Da es Altmayer jedoch primär um die wissenschaftliche Fundierung der Landeskunde und die Etablierung einer Forschungspraxis geht, in der kulturelle Deutungsmuster herausgearbeitet werden, liefern seine Arbeiten kaum Hinweise, wie er sich kulturelles Lernen konkret in der Praxis vorstellt. Die Vorschläge, die er liefert (vgl. Altmayer 2006), schließen an Neuners ‚universelle Daseinserfahrungen‘ an, die auf

      universale Sozialisations- und Enkulturationserfahrungen aufbau[en], wie sie alle Menschen in irgendeiner Form machen, gleich welchem Kulturkreis sie angehören, und deshalb zu den elementaren Daseinserfahrungen des ‚Menschseins‘ gehören […]. Wenn man die Unterrichtsplanung auf solche Themen aufbaut, kann man sicher sein, daß beim Lernenden Grundstrukturen von Erfahrungen vorhanden sind, die die Grundlage des interkulturellen Vergleichs bilden. (Neuner 1989, 361)3

      Darauf aufbauend schlägt Altmayer ein Modell vor, das von den vier Kategorien ‚Raum‘, ‚Zeit‘, ‚Identität‘ und ‚Wertorientierung‘ ausgeht und verschiedene Unterpunkte liefert, die teilweise das „klassische Repertoire der Landeskunde“ (Altmayer 2006, 56) mit abdecken. Wie dies im Unterricht umgesetzt werden kann, beschreibt Rüger (2010): Ein Semester lang wurden im Landeskundeunterricht an einer kolumbianischen Universität Unterrichtsthemen behandelt, die sich der Kategorie ‚Wertorientierung‘ zuordnen lassen. Wie mit dem kulturellen Deutungsmuster ‚Heimat‘ in einer diachronen Perspektive im universitären Landeskundeunterricht gearbeitet werden kann, wird in Becker (2013a) beschrieben. Auch das Lehrwerk Mitreden – Diskursive Landeskunde für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (Altmayer 2016) beruht auf dem Deutungsmusteransatz. Im Rahmen der Module „Menschen“, „Essen“ und „Mobilität“ sollen Deutungsmuster deutschsprachiger Diskurse offengelegt und sich die Lerner eigener Deutungsmuster bewusst werden.4

      Die Arbeit mit solchen Universalthemen wird jedoch nicht erst seit der kulturwissenschaftlichen Ausrichtung der Landeskunde gefordert, denn grundsätzlich wird dies, wie auch das Zitat von Neuner zeigt, schon in interkulturellen Ansätzen beschrieben (siehe auch Zeuner 2010, 1474), vor allem wenn es darum geht, einen Fremdsprachenunterricht zu entwerfen, der von Gemeinsamkeiten anstatt Unterschieden zwischen Kulturen ausgeht. In dieser Hinsicht schlagen z.B. auch Huneke und Steinig vor, gerade in Zeiten der Globalisierung „kulturübergreifende Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt zu stellen und kulturspezifische Besonderheiten eher als Randerscheinungen zu betrachten“ (Huneke/Steinig 2010, 89).

      Ein der Arbeit mit kulturellen Deutungsmustern ähnliches Vorgehen schlägt Hille für den universitären Landeskundeunterricht vor, wobei diesem Schlüsselbegriffe zugrunde liegen, die, wie auch kulturelle Deutungsmuster, wissenschaftliche Fundierung fordern. Im Unterschied zu kulturellen Deutungsmustern sind sie jedoch nicht das Resultat kulturwissenschaftlicher Forschung im Bereich Deutsch als Fremdsprache. Stattdessen nutzen sie bestehende Forschungsergebnisse zu Schlüsselthemen;5 unter Einfluss der geistes- bzw. kulturwissenschaftlichen Forschung könnte dann „[die] Aufmerksamkeit der Lernenden […] durch die Kulturvermittlung auch auf komplexe Zusammenhänge hinter Alltagskommunikation und -handlung gerichtet werden“ (Hille 2009, 17). Gerade in universitären Kontexten ist die Bewusstmachung von komplexen Zusammenhängen wünschenswert, da sie schematischen Darstellungen vorbeugt und die Grundlage für die Herausbildung generischer Kompetenzen bildet.

      Die Arbeit mit kulturellen Deutungsmustern und Schlüsselwörtern ist aus einer theoretischen Perspektive interessant und stellt einen sinnvollen Rahmen für anspruchsvollen universitären Landeskundeunterricht dar. Problematisch ist es, mit diesen Ansätzen in der täglichen Praxis des Fremdsprachenunterrichts zu arbeiten, vor allem auf den Niveaus A1 und A2 und mit jüngeren Lernern, auch wenn mit Mitreden (Altmayer 2016) inzwischen auch Didaktisierungen für A2 vorliegen.6

      Ein weiteres Desiderat ist in diesem Zusammenhang die empirische Erforschung landeskundlichen Lernens (vgl. Altmayer/Koreik 2010b), die dazu beitragen kann, die Unterrichtspraxis zu optimieren. Im Umfeld der Leipziger und Bielefelder Kulturstudien/Landeskunde ist in den letzten Jahren eine Forschungsaktivität zu kulturbezogenen Lernprozessen entstanden (vgl. Altmayer/Scharl 2010b, Zabel 2016, aber auch Fornoff 2016), in der es neben Fragen nach angemessenen Forschungsmethoden7 um kulturbezogene Sinnbildungs- bzw. Lernprozesse geht, die, vor allem in ihrer Nachhaltigkeit, aber eigentlich nur im Rahmen von Longitudinalstudien beantwortet werden können. Zwei Forschungsschwerpunkte lassen sich unterscheiden: Auf der einen Seite stehen Lernprozesse im Fokus, die mit Hilfe von Interviews, die vor und nach dem landeskundlichen Unterricht durchgeführt werden (z.B. Fornoff 2016), nachvollzogen werden sollen. Die Ergebnisse, an die im Analyseteil dieser Arbeit angeknüpft wird, geben einen Einblick, ob die Lernenden in der Auseinandersetzung mit deutschsprachigen Texten deutschsprachige Deutungsmuster adäquat aktivieren können, so dass sie den Texten einen „angemessenen Sinn zuschreiben und dazu angemessen (kritisch oder affirmativ) Stellung nehmen können“ (Altmayer 2006, 55).

      Während diese Untersuchung einen Einblick gibt, ob kulturbezogene Lernprozesse stattgefunden haben oder nicht,8 bleibt darin die Frage, wie das Unterrichtsgeschehen die kulturellen Lernprozesse beeinflusst, außen vor. Die Unterrichtspraxis steht also nur selten im Fokus, wobei abgesehen von Aussagen über die individuellen Sinnbildungsprozesse Erkenntnisse über das Unterrichtsgeschehen und darüber, wie dort landeskundliches Lernen angeregt oder gehemmt wird, notwendig sind, um über geeignete Methoden, Potenziale und problematische Faktoren eine gültige Aussage treffen zu können. Gleichwohl können Erkenntnisse über kulturelle Sinnbildungsprozesse von Lernern auch aufzeigen, welche Mechanismen, z.B. Apologetik (vgl. Fornoff 2016, 487–489), Übergeneralisierungen und eigenkulturelle Deutungen, in der Unterrichtspraxis eine Rolle spielen, weil sie Lernprozesse beeinflussen und bei der Berücksichtigung von Methoden und Lehrmaterialien beachtet werden sollten.

      Das Konzept der Erinnerungsorte, auf das im Folgenden eingegangen wird, stellt einen weiteren konkreten Ausgangspunkt dar, der sich fruchtbar in der Unterrichtspraxis umsetzen lässt. Im hier untersuchten Seminar wurde beispielsweise die Berliner Mauer als (heterogener) Erinnerungsort thematisiert.

      Erinnerungsorte

      Die Arbeit mit Erinnerungsorten ist in den letzten Jahren zu einer fest etablierten unterrichtspraktischen Herangehensweise geworden, wie z.B. an dem Lehrwerk Erinnerungsorte – Deutsche Geschichte im DaF-Unterricht (Schmidt/Schmidt 2007a) deutlich wird.1 Es basiert auf dem Konzept der lieux de mémoires, das Pierre Nora ausgehend von Maurice Halbwachs’ Theorie des kollektiven Gedächtnisses entwickelte. Demnach handelt es sich bei Erinnerungsorten um Kristallisationskerne des kollektiven Gedächtnisses, die aus einem Netz aus materiellen und immateriellen Erinnerungsfäden


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