Fremdsprachendidaktische Professionsforschung: Brennpunkt Lehrerbildung. Группа авторов
Читать онлайн книгу.konkret sind und als solche auch im Verlauf der Ausbildung erworben werden bzw. erworben werden sollten. Darüber hinaus ist es aber eine Tatsache, dass im Lehrerberuf viel Professionswissen erst durch Erfahrung gefestigt und wirklich angeeignet wird und dass in Folge dieses spezifischen Lernprozesses von Seiten der Lehrenden Wissen aufgenommen wird, das sie später oft unbewusst (im Sinne von spontan, automatisch) anwenden und kaum zu verbalisieren, d.h. explizit zu machen, in der Lage sind.
Solche Formen des impliziten Wissens gehören nicht nur in den Bereich der pädagogischen Handlungskompetenz bzw. zu der für den Lehrenden erforderlichen Expertise in der Unterrichtsgestaltung und Klassenführung, sie betreffen auch in einem hohen Maße rein fachliche Wissensanteile, die in der unterrichtlichen Praxis von Seiten des Lehrenden eben als implizites Wissen zur Anwendung kommen. Wer beispielsweise sicher im normativen Gebrauch der Fremdsprache ist, kann als Fremdsprachenlehrender kommunikative Kompetenz vermitteln und besitzt zugleich diagnostische Fähigkeiten in Bezug auf den defizitären Sprachgebrauch seiner Schüler, ohne in jedem Fall sein Wissen explizit machen zu können oder auch zu müssen. Wir können uns dieses implizite Wissen des Lehrenden als Erweiterungsrahmen eines expliziten Wissens vorstellen, d.h. quasi als eine Form der Einbettung (embedding) des klar definierten Wissens, das in jedem Fall vorhanden sein muss und sich im engeren Sinne auf die Vermittlung der curricular vorgeschriebenen Bildungsinhalte bezieht.
Zugegebenermaßen kann über den impliziten Charakter dieses erweiterten Wissenshorizonts des Lehrenden gestritten werden. Wir wollen mit dieser Charakterisierung darauf hinweisen, dass die Lehrkraft mit zunehmender Professionalisierung ihres Handelns und der erforderlichen Konzentration auf die Vorgaben der Curricula die über deren Inhalte hinausgehenden Fachwissensdimensionen in der Regel nicht mehr explizit abrufbar hält, sondern sie nur noch als Form einer Verständnisvertiefung des Unterrichtsstoffs nutzt. Wir sind mit dieser Auffassung prinzipiell recht nah an Shulman, der jedoch ein Konzept von ‚understanding‘ hineinbringt, das dem Lehrenden eine eher noch größere Expertise im verständnisvollen Umgang mit fachlichen Inhalten abverlangt. Seine entsprechenden Hinweise finden sich vor allem im Zusammenhang mit dem ‚curricular knowledge‘. Hier verlangt Shulman von den Lehrenden eine extreme Kompetenz und Einsicht im Umgang mit curricularen Anforderungen, die in jedem Fall einen ebenso hohen Anteil an fachlicher wie an fachdidaktischer Expertise erforderlich machen (vgl. Shulman 1986: 10).
Wenn es also wahr ist, dass ein guter Lehrer auch fachinhaltlich über seine konkrete Vermittlungsaufgabe hinaus kompetent sein muss, dann ist dies in weiten Teilen als eine Form des impliziten Professionswissens aufzufassen. Denn aus großen Teilen des expliziten und umfangreichen Fachwissens, welches im Laufe des Fachstudiums erworben wurde, wird im beruflichen Alltag des Lehrenden ein implizites Professionswissen, das dessen professionelle Kompetenzstruktur maßgeblich mitprägt. Eine Diskussion darüber, inwieweit dieses implizit wirksame Fach-Professionswissen im Unterricht genutzt wird oder zur Anwendung gelangt, ist sicherlich noch nicht abschließend erfolgt, betrifft in ihrer Konsequenz aber in jedem Fall die inhaltliche Gestaltung von Ausbildungsgängen, so auch diejenigen für angehende Fremdsprachenlehrerinnen und -lehrer.
Ist es etwa, so könnte man fragen, für einen Spanischlehrer von Vorteil, Kenntnisse des klassischen Lateins zu haben, um lexikalische und grammatische Strukturen des Spanischen tiefer zu durchdringen und dadurch auch besser vermitteln zu können bzw. um ihn dazu in die Lage zu versetzen, Formen romanischer Mehrsprachigkeit für seinen Unterricht zu nutzen oder Strukturvergleiche zu der im Wortschatz stark romanisierten englischen Sprache herzustellen? Oder beispielsweise auch: Ist es besser möglich, den für Deutschsprecher schwierigen Gebrauch der Vergangenheitstempora des Spanischen oder den Subjuntivo-Gebrauch Schülerinnen und Schülern zu vermitteln, wenn sich der Lehrende in der sprachwissenschaftlichen Analyse dieser komplexen Phänomene auskennt? Wir würden diese Fragen grundsätzlich bejahen und ziehen daraus den Schluss, weiterhin einen fachwissenschaftlichen Ausbildungsanteil für den Lehrerberuf zu fordern, der deutlich über die curricularen Bildungsinhalte des jeweiligen Schulfachs hinausgeht. Das Besondere unserer Sichtweise liegt vielleicht darin, dass wir gerade diese oft diskutierten und in ihrer Relevanz hinterfragten Fachwissensanteile des Professionswissens sehr bewusst in den Bereich einer professionellen Kompetenz von Lehrkräften legen, die für einen gelungenen Unterricht durch eine rundum kompetente, überzeugte und motivierte Lehrerpersönlichkeit maßgeblich ist. Im Rahmen dieser Funktionalität gewinnt das erweiterte Fachwissen als notwendiges implizites Professionswissen somit einen wichtigen Status.
Kommen wir nun zu dem von uns eigens ausgewiesenen zweiten Kompetenzbereich im Lehrerberuf zurück: das spezifische Fachwissen und didaktische Wissen für den curricular basierten erfolgreichen Aufbau von fachbezogenen Kompetenzen bei den Schülerinnen und Schülern. Aus der Perspektive einer allgemein-öffentlichen Wahrnehmung der Institution Schule, die deren zentrale Aufgabe als Weitergabe von Bildungsinhalten bestimmt, würde dieser Bereich als ‚Wissen über den Unterrichtsstoff und seine Vermittlung‘ zu deklarieren sein. Dabei verbindet dieser Kompetenzbereich des Lehrenden in jedem Fall das Fachwissen und das fachdidaktische Wissen in einer untrennbaren Art und Weise. Wüssten wir nicht inzwischen so viel über die Bedeutung des ersten, zuvor kommentierten Kompetenzbereichs im Lehrerberuf, so könnte man dem Irrtum erliegen, den hier angesprochenen Professionswissensbereich als Kernkompetenz des Lehrenden – bzw. genauer: des Fachlehrers – anzusehen. Wir plädieren im Gegensatz dazu dafür, ihn als fachspezifische Kernkompetenz der Fachlehrkraft zu bestimmen und bei dieser Bestimmung die Begriffskomponenten ‚fachspezifisch‘ und ‚Kern‘ stringent zu interpretieren. Es ist also der Bereich, in dem Fach-Wissen und fach-didaktisches Wissen streng aufeinander bezogen sind und der sich an den fachbezogenen institutionellen Rahmenbedingungen des schulischen Bildungsauftrags orientiert. Genau genommen ist es aber auch aus der Perspektive des Fach-Unterrichts nur ein Kern-Bereich der professionellen Kompetenz des Lehrenden, da die Übergänge zu dem unter 1) dargestellten Kompetenzbereich nahtlos und zur Qualitätssicherung eines möglichst erfolgreichen Unterrichts unabdingbar sind.
2 Der fachspezifische Kernkompetenzbereich des Professionswissens
Zwei wesentliche Aspekte sollen nun zur weiteren Legitimation des von uns hervorgehobenen fachspezifischen Kernkompetenzbereichs des Professionswissens ausführlicher erläutert werden:
1) die Einbettung dieses professionellen Kompetenzbereichs in den Rahmen des aktuellen standard- und kompetenzbasierten Schulbildungskonzepts
2) seine besondere Relevanz im Hinblick auf die fachspezifische Ausbildung für den Lehrerberuf.
Da es uns in diesem Beitrag, wie bereits erläutert, um die fachspezifische Kernkompetenz von Lehrenden und damit um die Fokussierung auf einen abstrahierbaren Teilbereich ihrer Professionskompetenz geht, werden wir von nun an genauer – und in gewisser Weise exemplifizierend – das Schulfach Spanisch und seine spezifische Lehramtsausbildungssituation im Auge behalten. Wir konzentrieren uns dabei auf den Teilbereich Lehramts-Master Spanisch der universitären Fremdsprachenausbildung und seine Folgen für den angehenden Lehrer bzw. die angehende Lehrerin im Schulfach Spanisch.
Für die Schule gibt es bislang in der Tat noch keinen offiziellen Beschluss der Kultusministerkonferenz zu den Bildungsstandards im Fach Spanisch. Dieses Versäumnis ist gravierend, da sich das Fach Spanisch seit Jahren eines hohen Zulaufs an Schülern erfreut und mit seinen besonderen Bedingungen einer ‚zweiten Fremdsprache‘ und oft auch einer ‚spät einsetzenden Fremdsprache‘ (ab Kl. 10) dringend einer besonderen Berücksichtigung bedarf. Bis jetzt gibt es aber nur die im Rahmen von Bildungsplänen einzelner Schulen entwickelten Standard-Formulierungen zum Spanischen, die sich in der Regel an den verfügbaren KMK-Beschlüssen zum Englisch- und Französischunterricht orientieren. Die KMK hat Ende 2003 einen Beschluss zu den „Bildungsstandards für die erste Fremdsprache (Englisch/Französisch) für den Mittleren Schulabschluss“ verfasst und Ende 2012 die „Bildungsstandards für die fortgeführte Fremdsprache (Englisch/Französisch) für die Allgemeine Hochschulreife“ folgen lassen (siehe KMK 2003 und KMK 2012). In beiden Beschlüssen geht es um die Grundlagen eines kompetenzorientieren Ausbildungssystems, das Bildungsinhalte eben nicht mehr als fixen Lehr- und Lernstoff, sondern auf dem Wege einer Kompetenzerweiterung der Schülerinnen und Schüler zu vermitteln versucht. Die für die Fremdsprachen wesentlichen Kompetenzbereiche