Aus meinem Leben - 3. Teil. August Bebel
Читать онлайн книгу.Bamberger, die Vorlage einer Kommission von 21 Mitgliedern zu überweisen. Es wäre eine Anstandssache, ja eine Pflicht des Hauses gewesen, in diese Kommission auch ein Mitglied der angeklagten Partei, über die entschieden werden sollte, aufzunehmen, damit dieses Rede und Antwort stehe und die unzweifelhaft notwendig werdenden Richtigstellungen vornehmen konnte. Ein Teil des Hauses war auch geneigt dazu. Auf Anfrage an die Fraktion, wen sie in die Kommission gewählt sehen wollte, wurde ich vorgeschlagen. Aber sofort setzte die Intrige gegen mich ein, und so fiel ich bei der Wahl durch.
In der Kommission kam es zu lebhaften Auseinandersetzungen. Der linke Flügel der Nationalliberalen unter der Führung Laskers versuchte wieder einmal die Quadratur des Zirkels zu entdecken. Handelte es sich auch um ein Ausnahmegesetz, so suchten sie doch nach Möglichkeit die Willkür der Polizei einzuengen. Sie wollten daher verhüten, daß die sogenannten legitimen Forderungen der Sozialdemokratie, die man später den »berechtigten Kern« unserer Bestrebungen nannte, durch das Gesetz getroffen würden. Auch sollten andere den sozialistischen Reformbestrebungen verwandte Bestrebungen in bürgerlichen Kreisen nicht getroffen werden können. Dagegen war die rechte Seite der Kommission der Meinung, man müsse ganze Arbeit machen; man müsse der Sozialdemokratie jede Möglichkeit nehmen, ihre gefährlichen Bestrebungen unter harmlosen Formen zu verfolgen, und da müsse man zu den Verwaltungsbehörden Vertrauen haben und ihnen nicht durch unklare und zweideutige Gesetzesbestimmungen in die Arme fallen. Mit Hilfe der Gegner der Vorlage, die für alle Abschwächungsanträge stimmten, siegten Lasker und Genossen. Die Erfahrung lehrte allerdings, daß die beschlossenen Halbheiten nur Zwirnsfäden waren, durch die sich die Verwaltungsbehörden nicht einengen ließen; sie legten eben das Gesetz nach ihrem Gutdünken aus.
Die Hauptänderungen, die die Kommission und ihr folgend das Plenum annahm, waren nachfolgende: Im Gesetzentwurf hieß es, daß Vereine, Verbindungen jeder Art, auch genossenschaftliche Kassen, Versammlungen, Preßerzeugnisse, Geldsammlungen verboten, beziehungsweise unterdrückt werden sollten, sobald sich herausstellte, daß sie Bestrebungen dienten, die auf Untergrabung der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichtet waren. Nach den Beschlüssen der Kommission beziehungsweise des Plenums lautete der Satz dahin, daß das Verbot oder die Unterdrückung eintreten sollte, sobald sozialistische, sozialdemokratische oder kommunistische, auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen in einer den öffentlichen Frieden, insbesondere die Eintracht der Bevölkerungsklassen gefährdeten Weise zutage treten.
Ein Streit um Worte. Dem Aal kann es gleichgültig sein, ob er gebraten oder geschmort werden soll.
Weiter sollte nach dem Entwurf ein Ausschuß aus sieben Mitgliedern eingesetzt werden, den der Bundesrat aus seiner Mitte wählte, an den letztinstanzlich die Beschwerden über getroffene Maßregeln der unteren Behörde zu richten seien. Kommission und Reichstag beschlossen, eine Kommission von neun Mitgliedern niederzusetzen, von denen der Bundesrat vier aus seiner Mitte wählte. Die fünf anderen sollten aus der Zahl der Mitglieder der höchsten Gerichte des Reiches oder der einzelnen Bundesstaaten entnommen werden. Der Reichstag glaubte damit eine größere Garantie gegen allzu kühne Auslegung des Gesetzes zu schaffen. Die Praxis ergab, daß er sich auch hier irrte. Die Urteile dieser Beschwerdekommission waren so reaktionär, daß wir im Jahre 1880 in Leipzig in der Parteileitung beschlossen, weil zwecklos, keine Beschwerden mehr bei ihr einzureichen.
Im § 20 des Entwurfes, später § 28 des Gesetzes, betreffend den sogenannten kleinen Belagerungszustand, war vorgeschrieben, daß in Bezirken, in denen durch die sozialistischen Bestrebungen die öffentliche Sicherheit bedroht war, sämtliche Versammlungen der polizeilichen Genehmigung unterworfen werden könnten. Kommission und Reichstag beschlossen, daß eine Ausnahme von dieser Bestimmung für die Wahlen zum Reichstag oder zu einer Landesvertretung eintreten solle. Der Senat zu Hamburg umging aber diese Vorschrift dadurch, daß er, gestützt auf eine landesgesetzliche Bestimmung, auch solche Versammlungen verbot. So konnte während der ganzen Dauer des Sozialistengesetzes, ausgenommen für die Reichstagswahl im Februar 1890, als bereits feststand, daß das Gesetz Ende September fallen würde, die Sozialdemokratie dort keine einzige Wahlversammlung abhalten. Genützt hat diese Maßregel des Hamburger Senats nichts; denn unter der Herrschaft des Gesetzes fielen sämtliche drei Wahlkreise in die Hände der Sozialdemokratie und verblieben ihr.
Eine andere Änderung und auch Verbesserung des § 20 beziehungsweise 28 bestand darin, daß über jede auf Grund des erwähnten Paragraphen getroffene Anordnung dem Reichstag sofort beziehungsweise bei seinem nächsten Zusammentritt, Rechenschaft gegeben werden müsse über die Gründe, die zu ihrem Erlaß geführt. Durch diesen Beschluß wurde zwar nirgends die Verhängung des kleinen Belagerungszustandes verhindert, aber er gab uns die Möglichkeit, Jahr für Jahr bei Besprechung solcher Maßregeln die Handhabung des Gesetzes zu kritisieren. Die Sozialistengesetzdebatten wurden damit Regel.
Die zweite Beratung des Entwurfs begann im Plenum am 9. Oktober. Das Zentrum gab durch den Mund seines Vorsitzenden die Erklärung ab, es werde gegen den Gesetzentwurf stimmen. Obgleich entschiedener Gegner der Sozialdemokratie, hieß es in der Erklärung, könne es nicht einem Ausnahmegesetz zustimmen, das die Rechtssicherheit der Staatsbürger in Frage stelle, mit den verwerflichen auch berechtigte Bestrebungen treffe und das polizeiliche Ermessen an Stelle des richterlichen Urteils setze. Für ein allgemeines Rechtsgesetz, das gegenüber den immer stärker hervortretenden Gefahren im Reich eine Erweiterung des Strafgesetzes in bezug auf Ausschreitungen der Presse, der Vereine und Versammlungen herbeiführe, sei es zu haben. Auch erwarte es, daß nunmehr positive Maßregeln ergriffen würden, um den unleugbar vorhandenen und weit verbreiteten Mißständen im wirtschaftlichen und sozialen Leben, namentlich dem des Arbeiterstandes, abzuhelfen, »damit Gerechtigkeit, Gottesfurcht und Friede, insbesondere auch Friede auf dem staatlich-kirchlichen Gebiet im Reich zur vollen Herrschaft gelangen.«
Im Grunde genommen wollte also das Zentrum noch mehr, als das Sozialistengesetz ihm bot; es wollte die allgemeine Verschärfung der Gesetze, die allgemeine Reaktion.
Der erste Redner für die Vorlage war der Abgeordnete Freiherr Marschall v. Bieberstein, der spätere Staatssekretär des Auswärtigen Amtes und zuletzt Gesandter in Konstantinopel und London. Marschall, eine große, stattliche Persönlichkeit, war zu jener Zeit Staatsanwalt in Mannheim, wo er als öffentlicher Ankläger auch wiederholt gegen Parteigenossen auftrat, so unter anderem gegen Franz Joseph Ehrhart. Diese Anklage gab Veranlassung zu einer heiteren Episode. Ehrhart war angeklagt, ein Plakat verfaßt zu haben, auf dem ich als Kandidat der Mannheimer Parteigenossen den Wählern des Mannheimer Wahlkreises mit den Worten empfohlen wurde, ich sei ein tapferer Volksmann, der wegen seines Kampfes für Volksfreiheit und Volksrecht zu zwei Jahren Festung verurteilt worden sei. Es handelte sich um die Reichstagswahl im Januar 1877. Herr v. Marschall sah als Staatsanwalt in dieser Behauptung eine entstellte Tatsache, wodurch eine Anordnung der Obrigkeit wider besseres Wissen verächtlich gemacht werde. Er klagte Ehrhart auf Grund des § 131 des deutschen Reichsstrafgesetzbuchs an und beantragte gegen den blutjungen Sünder eine exemplarische Gefängnisstrafe. Denn ich sei nicht wegen meines Kampfes für politische Freiheit, sondern wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt worden. Schon wollte der Gerichtsvorsitzende die Verhandlung schließen, als Ehrhart sich mit der Bemerkung das Wort erbat, daß er als Angeklagter doch auch etwas zu sagen habe. Er erhielt es, worauf er seine kurze, im reinsten Pfälzer Dialekt gehaltene Verteidigungsrede mit den Worten schloß: »Meine Herren Richter, glauben Sie dem da oben (dem Staatsanwalt) nichts, der macht aus einem Läusle einen Elefanten«. Marschall griff rasch nach der Zeitung, die er vor das Gesicht hielt, um das Lachen zu verbergen. Der Gerichtshof aber glaubte dem Staatsanwalt und schickte Ehrhart auf drei Monate ins Gefängnis. Sein späteres Verhalten sprach dagegen, daß die Strafe eine erzieherische Wirkung auf ihn ausgeübt hatte.
Im Gegensatz zu seinen scharfmacherischen Parteigenossen war Herr v. Marschall ein Gemäßigter. Er sprach sich für ein Gesetz von kurzer Dauer aus, mit dem man den beabsichtigten Zweck wohl erreiche, Ihm folgte Sonnemann, der sich gegen das Gesetz erklärte. Bismarck, der noch aus der Zeit des Krieges von 1866 einen Span auf Sonnemann hatte, antwortete diesem.
Ich bin im Zweifel, wen Bismarck persönlich mehr haßte, ob Eugen Richter oder Sonnemann. Ich glaube den letzteren, denn Eugen Richter war trotz aller Opposition immer ein guter Preuße, aber in Sonnemann haßte er den süddeutschen Antipreußen,