Aus meinem Leben - 3. Teil. August Bebel
Читать онлайн книгу.Berlin übergesiedelt war, um in die Redaktion der »Freien Presse« einzutreten, war August Geib die einzige Person von Bedeutung in dem fünfgliedrigen Ausschuß. Geib fühlte sich infolgedessen isoliert und ohne eigentliche Stütze in einem Kampfe, wie er jetzt zu erwarten war. Auch war Geib, obgleich ein Mann von hoher Intelligenz, untadeliger Rechtschaffenheit und großer Sachkunde, der die Geschäfte mit Kaltblütigkeit und Ruhe erledigte, keine eigentliche Kampfnatur. Dem Feinde die Zähne zu zeigen und jedes Mittel anzuwenden, das ihm eine Niederlage beibringen konnte, das lag nicht in seinem Wesen. Dazu kamen noch zwei Umstände, die uns damals nicht bekannt waren, aber sein Verhalten erklärlich machten. Geib war herzkrank, wie sein baldiger Tod uns zeigte und ich gelegentlich einer Haussuchung bei ihm wahrnahm, der ich als unfreiwilliger Zeuge beiwohnte.
Dann aber stellte sich auch zu unserer aller Überraschung nach seinem Tode heraus, daß seine materielle Lage nicht so war, wie man sie einschätzte. Er schien mäßig wohlhabend zu sein und ein Geschäft (Leihbibliothek) zu besitzen, das seinen Mann gut nährte. Das gemütliche Heim, das er sich mit Hilfe seiner Frau zu schaffen wußte, und die Gastfreundschaft, die er übte, unterstützten diese Auffassungen. Das war aber ein Irrtum. Hätte er zum Beispiel noch die Zeit der Verhängung des kleinen Belagerungszustandes über Hamburg-Altona erlebt und wäre er dann als erster mit ausgewiesen worden, er wäre finanziell zusammengebrochen, und was dieses für den außerordentlich feinfühlenden Mann bedeutete, kann man sich vorstellen. Geib hätte also auch die Arbeitslast nicht leisten können, die ihm unter dem Gesetz, wenn auch nicht mehr als offiziellem Ausschußmitglied, erwuchs. An Gehalt war ebenfalls nicht zu denken.
Das alles mochte sich Geib sagen, und so erklärte er zu unserer unangenehmen Überraschung, daß er unter allen Umständen sein Amt niederlege und die Meinung habe, man solle die Partei auflösen, noch bevor das Gesetz in Kraft getreten sei, damit sie von der Polizei nicht aufgelöst werde. Mit Geibs Rücktritt war aber Hamburg als künftige Zentralstelle unmöglich.
Es gab zwischen uns und Geib eine lebhafte Auseinandersetzung. Es wurden die verschiedensten Vorschläge gemacht, wie man ihm seine Tätigkeit erleichtern könne. Er blieb aber bei seinem Vorsatz. Darauf erklärte ich, es sei doch ein Ding der Unmöglichkeit, daß die Partei keinen Zentralpunkt mehr habe, an den sich die Genossen in ihren Nöten um Rat und Hilfe wenden könnten. Lehne Hamburg ab, so schlüge ich Leipzig vor, und ich sei bereit, die Stelle Geibs als Kassierer von Mitteln, die zu schaffen angesichts der kommenden Opfer mir jetzt die wichtigste Tätigkeit zu sein schiene, zu übernehmen. Dementsprechend wurde beschlossen. Darauf händigte mir Geib die letzten 1000 Mark ein, die er noch in der Kasse hatte. Das war der Grundstock für meine künftige Tätigkeit als Finanzminister unter dem Sozialistengesetz.
Auch dem Drängen Geibs, sofort die Partei für aufgelöst zu erklären, da er nicht mehr sein Amt verwalten wolle, mußten wir nachgeben; denn es wäre eine Lächerlichkeit gewesen, für eine Galgenfrist von wenig Wochen noch einen provisorischen Ausschuß einzusetzen, bis die polizeiliche Auflösung erfolgte. So wurde denn beschlossen, mit einer Proklamation an die Partei heranzutreten und sie für aufgelöst zu erklären. Aber die Art, wie dies geschah, erregte Unzufriedenheit. Statt daß der Ausschuß oder das Zentralwahlkomitee, wie der Ausschuß genannt wurde, seitdem Tessendorf das Verbot der Parteiorganisation für Preußen durchgesetzt hatte, sich selbst in einer Proklamation an die Partei wendete, die Organisation für aufgelöst erklärte, ihre Ratschläge für ferneres Wirken machte und ihr Mut zusprach, erschien im »Vorwärts« eine Bekanntmachung des Sekretärs Derossi, die an Trockenheit des Tones und Schwächlichkeit des Inhalts kaum übertroffen werden konnte. Erst auf unsere Einsprache, daß die Bekanntmachung des Sekretärs nicht genüge und der Ausschuß mit der Namensunterschrift seiner Mitglieder die Parteiorganisation für aufgelöst erklären möge, erschien eine solche, datiert vom 15. Oktober, im »Vorwärts« vom 21. Oktober. Aber diese Proklamation verbesserte die Stimmung nicht. Das Komitee erklärte, daß es seine Auflösung der Polizeibehörde angezeigt habe, es also von jetzt ab eine zentralistische Organisation der Partei nicht mehr gebe, sonach auch keine planmäßige Organisation mehr. Damit sei es vorüber. Auch für Geldsendungen habe man keine Verwendung mehr. Man solle solche nicht mehr an Geib adressieren. Man ging noch weiter und forderte, daß, wenn noch irgendwo eine Parteimitgliedschaft bestehe, diese sich sofort auflösen sollte. Der Aufruf schloß: Einig in der Taktik, auch zur Zeit der Bedrängnis, sei die Gewähr für eine bessere Zukunft.
In der Hamburger Zusammenkunft war man einmütig der Ansicht, die Schläge abzuwarten, die nach Verkündung des Gesetzes gegen die Partei geführt würden, und danach seine Maßnahmen zu treffen. Unter keinen Umständen dürfe das Feld freiwillig geräumt werden. Es sei vorauszusehen, daß in erster Linie die Partei- und Gewerkschaftsorgane der Unterdrückung verfallen würden. Es bestanden zu jener Zeit 23 politische Organe, von denen 8 sechsmal wöchentlich, 8 dreimal, 4 zweimal und 3 einmal erschienen. Daneben bestand die »Neue Welt« als Unterhaltungsblatt. Weiter erschienen 14 Gewerkschaftsblätter. Die Mehrheit dieser Blätter wurde in 16 Genossenschaftsdruckereien hergestellt.
Mit der Unterdrückung dieser Preßorgane, erwartete man, würden sofort eine Menge Personen, als Redakteure, Expediteure, Kolporteure, Verwaltungsbeamte, Schriftsetzer, Hilfspersonen aller Art, brotlos. Um für alle diese brotlos gewordenen Personen nach Möglichkeit Hilfe zu schaffen, müßte man versuchen, an Stelle der unterdrückten neue Blätter zu gründen, die sich dem Gesetz anzubequemen versuchten. Hatten doch Lasker wie der Berichterstatter der Kommission bei der Beratung des Gesetzes erklärt, daß Blätter, die ihre Haltung änderten, nicht unterdrückt werden sollten. Aber respekiert wurden diese Zusagen nicht. Neben der Neugründung von Blättern solle man sich auf die Herstellung allgemein bildender Literatur werfen. Die Gründung von Blättern sei auch geboten, weil sie die bequemste und unverfänglichste Art bilde, die Verbindung unter den Parteigenossen aufrechtzuerhalten. Gelänge es nicht, in der einen oder anderen Form Hilfe zu schaffen, dann würde eine große Zahl der führenden Personen genötigt, ins Ausland zu wandern, was ein großer Verlust für die Partei sei. Als Sozialisten stigmatisiert, fänden sie angesichts der Stimmung in den Unternehmerkreisen keine Stellung, die überdies infolge der Krise Arbeitskräfte in Mengen zur Verfügung hätten.
Daß man sehr bald auch mit einer für die Parteiverhältnisse großen Zahl Ausgewiesener und deren dadurch in Not geratenen Familien werde rechnen müssen, daran dachten wir zunächst nicht. Auf Grund der Erklärungen, die während der Beratungen über den kleinen Belagerungszustand aus kompetentem Munde abgegeben wurden, hielten wir zunächst die Verhängung desselben für unwahrscheinlich. Wir täuschten uns. Noch ehe der Monat November zu Ende ging, wurde der kleine Belagerungszustand über Berlin verhängt. Ihm folgte im Jahre 1880 derjenige über Hamburg-AItona und Umgegend, dann über Harburg, Ende Juni 1881 über Stadt und Amtshauptmannschaft Leipzig usw. Wenn bei irgendeiner unter dem Sozialistengesetz getroffenen Maßregel, so erwies sich bei der Verhängung des kleinen Belagerungszustandes die »loyale« Behandlung des Gesetzes als Lüge.
Sobald das Gesetz verkündet und in Kraft getreten war, fielen die Schläge hageldicht. Binnen wenigen Tagen war die gesamte Parteipresse mit Ausnahme des »Offenbacher Tageblatts« und der »Fränkischen Tagespost« in Nürnberg unterdrückt. Das gleiche Schicksal teilte die Gewerkschaftspresse mit Ausnahme des Organs des Buchdruckerverbandes, des »Korrespondenten«. Auch war der Verband der Buchdrucker, abgesehen von den Hirsch-Dunckerschen Vereinen, die einzige Gewerkschaftsorganisation, die von der Auflösung verschont blieb. Alle übrigen fielen dem Gesetz zum Opfer. Ebenso verfielen der Auflösung die zahlreichen lokalen sozialdemokratischen Arbeitervereine, nicht minder die Bildungs-, Gesang- und Turnvereine, an deren Spitze Sozialdemokraten standen, und die deshalb für sozialdemokratische Vereine erklärt wurden, in denen, wie die Phrase im Gesetz lautete, »sozialdemokratische, auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen in einer den öffentlichen Frieden, insbesondere die Eintracht der Bevölkerungsklassen gefährdenden Weise« zutage getreten seien.
Wer heute diese Phrase liest, wird sich kaum des Kopfschüttelns und wohl auch eines Lächelns enthalten können. Aber damals war es bitterer Ernst mit dieser Phrase. Mit einem Federzug vernichtete die Polizei, was durch viele Jahre unter großer Mühe und Opfern aller Art aufgebaut worden war.
Das Trümmerfeld des Zerstörten wurde erweitert durch die Verbote der nicht periodisch erscheinenden