Aus meinem Leben - 3. Teil. August Bebel

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Aus meinem Leben - 3. Teil - August Bebel


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Anzahl Schriften zum Opfer, die mit Sozialismus nicht das geringste zu tun hatten. So zum Beispiel August Röckels »Sachsens Erhebung und das Zuchthaus zu Waldheim« und allerlei »Gereimtes und Ungereimtes« von William Spindler. Sogar die Schrift des ehemaligen österreichischen Ministers Professor Schäffle »Die Quintessenz des Sozialismus« wurde verboten, indes wurde das Verbot auf erhobene Beschwerde wieder aufgehoben.

      Die Versuche, an Stelle der unterdrückten Blätter neue zu gründen, die nach Lage der Dinge außerordentlich vorsichtig redigiert werden mußten, mißlangen in den ersten Jahren fast alle. So versuchte man in Berlin nach der Unterdrückung der »Freien Presse« unter dem Titel der »Berliner Tagespost« ein farbloses Blatt zu gründen, das als Fortsetzung der »Berliner freien Presse« angesehen und sofort verboten wurde. Seine Herausgeber wurden deshalb zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Mit dem »Vorwärts« in Leipzig fielen eine Reihe hier erscheinender Provinzblätter: »Volksblatt in Altenburg«, »Volksblatt für den 14. sächsischen Wahlkreis«, »Muldentaler Volksfreund«, »Groitzsch-Pegauer Volksblatt« und »Voigtländische freie Presse« dem Gesetz zum Opfer. Ebenso fielen die »Mitteldeutsche Zeitung«, die »Freie Presse« und die »Neue Leipziger Zeitung«, 1879 folgten der »Leipziger Beobachter«, das »Deutsche Wochenblatt« und der »Wanderer«, als letztes Blatt wurde 1881 der »Reichsbürger« unterdrückt, nachdem zuvor noch ein kleines Witzblatt »Das Lämplein« den Weg des Sozialistengesetzes gegangen war. Nunmehr stellten wir in Leipzig auf Jahre hinaus jeden Versuch einer Blattgründung ein. Wir machten die Erfahrung, daß die Blätter stets dann verboten wurden, sobald der Abonnentenstand soweit gediehen war, daß er ihre Kosten deckte. Dadurch und durch verschiedene andere Wahrnehmungen mißtrauisch gemacht, entdeckten wir, daß wir einen Polizeispion in der Person eines unserer Expedienten im Geschäft sitzen hatten, dem natürlich sofort mit dem nötigen moralischen Fußtritt die Tür gewiesen wurde. Wir machten alsdann noch den Versuch mit einem bürgerlichen Verleger, unter dessen Firma gemeinsam ein Blatt herauszugeben. Dieses führte aber in Kürze zu Mißhelligkeiten, und so traten wir von dem Versuch zurück. Und da die gleichen Maßnahmen wie in Berlin und Leipzig fast überall gegen uns getroffen wurden, hatten wir im Lauf von wenigen Monaten für Hunderte von Existenzen und deren Familien zu sorgen. Von allen Seiten kamen die Hilferufe an uns nach Leipzig, denen wir selbst mit Aufbietung aller Kräfte nur zum kleinsten Teile gerecht werden konnten.

      Parteigenossen, die damals den Ereignissen fern standen oder sich gar im Ausland in sicherer Hut befanden, haben später geglaubt, die »Untätigkeit« der leitenden Personen scharf kritisieren zu müssen. Die guten Leute, aber schlechten Musikanten hatten keine Ahnung von dem wirklichen Zustand der Dinge, die wir öffentlich nicht mit der großen Glocke bekannt machen durften. Als Entschuldigung mag für den einen und anderen dieser Kritiker dienen, daß er auf Grund des Protokolls über den Wydener Kongreß urteilte. Aber dieses Protokoll ist irreführend. Es war frisiert und mußte genau so wie später das Protokoll über den Kopenhagener Kongreß frisiert werden, wollten wir uns nicht selbst denunzieren und bezichtigen. So wurden in diesen Protokollen zwar die Angriffe gegen die Parteileitung veröffentlicht, aber was diese zu ihrer Rechtfertigung zu sagen und überhaupt Wichtiges zu berichten hatte, wurde möglichst verschwiegen oder nur abgetönt wiedergegeben. Dies diente auch zur Irreführung der Behörden.

      Im ersten Bande meiner Erinnerungen schrieb ich, die Jahre 1867 bis 1871 seien die arbeitsreichsten meines Lebens gewesen, von den drei Jahren Herbst 1878 bis Herbst 1881 darf ich sagen, es waren die unangenehmsten, weil sorgenvollsten meines Lebens. Und Arbeit gab es auch im Übermaß. Da ich zu jener Zeit durch meine geschäftliche Stellung vor materieller Sorge gesichert war, im Gegensatz zu Auer, Blos, Hasenclever, M. Kayser, Liebknecht, Motteler und vielen anderen, die mehr oder weniger zeitweilig dem Nichts gegenüberstanden, was war natürlicher, als daß in erster Linie die Last der Parteiarbeit und insbesondere auch die Sorge um die Beschaffung der materiellen Mittel auf mich fiel? Eine sechzehnstündige Arbeitszeit wurde für mich die Regel.

      Es galt zunächst im Hause Ordnung zu schaffen, ehe man sich auf auswärtige Unternehmungen einließ. So wiesen wir – Liebknecht und ich – ein bald nach Verhängung des Sozialistengesetzes gemachtes Angebot, uns die Mittel für ein im Ausland erscheinendes Blatt zur Verfügung zu stellen, vorläufig zurück. Ich bemerke, um keine falschen Kombinationen aufkommen zu lassen, es war nicht Karl Höchberg, der uns dieses Angebot machte. Höchberg und Otto Freytag in Leipzig und eine kleine Zahl bemittelter Personen, die damals der Partei nahestanden oder zu ihr gehörten, lieferten die Mittel, damit wir der dringendsten Not abhelfen konnten. Denn die Sammlungen durch die Partei kamen erst allmählich in Fluß und wurden auch durch die von Ort zu Ort wandernden Ausgewiesenen in Anspruch genommen. Und die Zahl der Hilfsbedürftigen war namentlich in den ersten Jahren groß und wuchs beständig.

      Unter solchen Verhältnissen war der Partei das Hemd näher als der Rock. Vor allem galt es zunächst, wieder festen Boden unter den Füßen zu bekommen, die im ersten Sturm des Sozialistengesetzes in Deroute geratenen Massen wieder zu sammeln und ihnen das Rückgrat zu steifen. Es ist ebenfalls eine falsche Darstellung, als seien damals die Führer die Kopflosen gewesen und als hätten die Massen die Partei retten müssen. Massen und Führer sind aufeinander angewiesen, die einen können ohne die anderen nicht wirken. Wohl gab es unter den Führern – das Wort im weitesten Sinne genommen – mehr Marodeure und Hasenfüße, als uns lieb war, doch die materielle Notlage der meisten entschuldigt vieles. Aber auch in den Massen, namentlich in den mittleren und kleinen Orten, herrschte vielfach Niedergeschlagenheit und Tatlosigkeit. Es bedurfte zahlreicher geheimer Zusammenkünfte und Versammlungen und energischer Agitation, um die mutlos Gewordenen aufzurichten und zu erneuter Tätigkeit anzuspornen. Und das gelang. Von dieser mühsamen, absolut notwendigen Tätigkeit konnte und durfte man außerhalb der Kreise der Beteiligten nichts sehen und hören lassen bei Strafe der Selbstdenunziation.

      Während wir so in voller Tätigkeit waren, aus den Trümmern, die das Sozialistengesetz uns bis dahin geschaffen hatte, zu retten, was zu retten möglich war, wurden wir am 29. November mit der Nachricht überrascht, daß am Abend zuvor der »Reichsanzeiger« eine Proklamation des Ministeriums veröffentlichte, wonach der kleine Belagerungszustand über Berlin verhängt wurde. Dieser Hiobspost folgte am nächsten Tage die Mitteilung, daß 67 unserer bekanntesten Parteigenossen, darunter J. Auer, Heinrich Rackow, F.–W. Fritzsche, bis auf einen sämtliche Familienväter, ausgewiesen worden seien. Einige mußten binnen 24 Stunden die Stadt verlassen, die meisten anderen binnen 48 Stunden, einigen wenigen räumte man eine Frist von drei Tagen ein. Die Nachricht von der Verkündigung des kleinen Belagerungszustandes über Berlin rief eine gewaltige Aufregung in Berlin und außerhalb hervor. Niemand konnte sich die Gründe einer solchen Gewaltmaßregel erklären, selbst die bürgerlichen Blätter bis weit nach rechts äußerten Bedenken.

      Als während der Beratung des Gesetzes bei § 28 (kleiner Belagerungszustand) der Abgeordnete Windthorst Bedenken äußerte, daß diese äußerste Maßregel leicht mißbräuchliche Anwendung finden könne, suchte ihn der Berichterstatter der Kommission, der Abgeordnete v. Schwarze-Dresden, durch die Erklärung zu beruhigen: »Es sind (für die Anwendung des § 28) ausdrücklich nur solche Fälle in Betracht genommen worden, wo ganze Bezirke oder Ortschaften durch die sozialdemokratischen Agitationen so unterwühlt sind, daß das allgemeine Bewußtsein von der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden der Bürger gestört ist; daß man erwarten kann, die öffentliche Sicherheit werde durch irgendwelche gewalttätige Ausbrüche gefährdet und gestört werden; daß mit einem Wort durch die gewöhnlichen, gegen einzelne Personen möglichen Maßregeln des Landesgesetzes die Rechtssicherheit und der Rechtsfrieden nicht aufrechterhalten werden könnten.« Ähnlich äußerte sich ein anderer konservativer Abgeordneter. Wären diese Erklärungen des Berichterstatters der Kommission, des Abgeordneten v. Schwarze, ehrlich von den Regierungen als Grundbedingung für die Verhängung des kleinen Belagerungszustandes angesehen worden, man hätte ihn weder über Berlin noch über die anderen Städte im Bezirk, die später davon betroffen wurden, verhängen können. Kein ehrlicher Mann konnte behaupten, daß in jenen Städten und Bezirken Zustände vorhanden waren, wie sie der Abgeordnete v. Schwarze als Voraussetzung für die Anwendung des § 28 des Sozialistengesetzes für notwendig hielt. Es erwiesen sich eben alle jene Interpretationen und Zusagen, die man während der Beratung des Gesetzes zur Beruhigung bedenklicher Gemüter gemacht, jetzt als leere Ausreden, die keinen Pfifferling Wert hatten.


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