PLATON - Gesammelte Werke. Platon
Читать онлайн книгу.Sokrates: Nun und die Zahl eines jeden, ist die etwas anderes als seine Teile?
Theaitetos: Nichts.
Sokrates: Und was Teile hat, besteht aus Teilen?
Theaitetos: Offenbar.
Sokrates: Eingestanden ist aber, daß die sämtlichen Teile das Gesamte sind, wenn die gesamte Zahl das gesamte Sein ist.
Theaitetos: So ist es.
Sokrates: Das Ganze besteht also nicht aus Teilen? Denn so wäre es ein Gesamtes, wenn es die sämtlichen Teile wäre.
Theaitetos: Es scheint nicht.
Sokrates: Kann aber ein Teil von irgend etwas Anderem sein was er ist, als von einem Ganzen?
Theaitetos: Von einem Gesamten.
Sokrates: Recht mannhaft, o Theaitetos, wehrst du dich. Das (205) Gesamte aber, ist das nicht eben dieses, ein Gesamtes, wenn ihm nichts abgeht?
Theaitetos: Allerdings.
Sokrates: Ist aber nicht eben dieses ein Ganzes, dem nirgends nichts abgeht? dem aber etwas abgeht, dieses ein weder Ganzes noch Gesamtes, in Bezug auf beides aus demselben dasselbe geworden?
Theaitetos: Jetzt scheint mir das Ganze und das Gesamte in Nichts mehr verschieden zu sein.
Sokrates: Sagten wir nun nicht, wo Teile seien, da sei das Ganze und Gesamte die sämtlichen Teile?
Theaitetos: Allerdings.
Sokrates: Wiederum, was ich eben wollte, muß nicht die Silbe, wenn sie nicht die Buchstaben ist, dann auch die Buchstaben nicht als ihre Teile haben; oder wenn sie dasselbe ist mit ihnen, dann auch auf gleiche Art wie jene erkennbar sein?
Theaitetos: So ist es.
Sokrates: Und damit dies nicht erfolgen möchte, setzten wir, sie sei etwas von ihnen verschiedenes?
Theaitetos: Ja.
Sokrates: Wie aber, wenn die Buchstaben nicht Teile der Silbe sind, kannst du etwas anderes anführen was Teil derselben wäre, jedoch nicht die Buchstaben derselben?
Theaitetos: Auf keine Weise, o Sokrates! Denn soll ich einmal Teile von ihr zugeben, dann wäre es lächerlich, die Buchstaben fahren zu lassen und andere aufzusuchen.
Sokrates: Nach dieser Rede also, Theaitetos, wäre die Silbe ganz und gar Ein ungeteiltes Wesen?
Theaitetos: So scheint es.
Sokrates: Erinnere dich nun, Freund, daß wir vor nicht gar langer Zeit zufrieden gewesen sind, und geglaubt haben es sei richtig gesagt, daß von dem Ersten, woraus das Andere bestände, sich keine Erklärung geben ließe, weil jedes nur für sich wäre unzusammengesetzt, und man nicht einmal das Sein hinzufügen und mit Recht davon aussagen könne, noch das Dieses, weil dies alles schon etwas anderes und fremdes wäre, und aus dieses Ursache nun war das erste unerkennbar und unerklärbar.
Theaitetos: Ich erinnere mich.
Sokrates: Gibt es nun wohl eine andere als diese Ursache dafür, daß es etwas einfaches und unteilbares ist? ich wenigstens sehe keine andere.
Theaitetos: Es zeigt sich auch wohl keine.
Sokrates: Also fällt die Silbe unter dieselbe Gattung mit jenem, wenn sie keine Teile hat und Ein bestimmtes Wesen ist.
Theaitetos: Auf jede Weise.
Sokrates: Ist nun also die Silbe einerlei mit den vielen Buchstaben und ein Ganzes, und diese ihre Teile: so müssen auf gleiche Art die Silben erkennbar und erklärbar sein wie die Buchstaben, da die sämtlichen Teile sich einerlei gezeigt haben mit dem Ganzen?
Theaitetos: Freilich wohl.
Sokrates: Ist sie aber Eins und unteilbar: so ist auch die Silbe eben so wohl als der Buchstabe unerklärbar und unerkennbar. Denn dieselbe Ursach wird beide zu demselben machen.
Theaitetos: Ich weiß nichts anderes zu sagen.
Sokrates: Mit dem also wollen wir es nicht halten, welcher sagt, die Verknüpfung sei erkennbar und erklärbar, der Bestandteil aber sei das Gegenteil.
Theaitetos: Freilich nicht, wenn wir unserer Rede folgen.
Sokrates: Wie aber? wenn einer das Gegenteil behauptete, (206) würdest du dem nicht lieber beistimmen nach allem, dessen du dir von Erlernung der Buchstaben her bewußt bist?
Theaitetos: Was meinst du?
Sokrates: Daß du beim Lernen nichts anderes tatest als dir Mühe geben, die Buchstaben dem Gesicht nach zu unterscheiden, und eben so auch durch das Gehör jeden einzeln für sich, damit nicht ihre Stellung verwirre, wenn sie gesprochen und geschrieben wurden.
Theaitetos: Vollkommen richtig.
Sokrates: Und bei den Kitharisten vollkommen gelernt zu haben, heißt das etwas anderes, als jedem Ton folgen zu können, welcher Saite er angehöre, wovon jeder zugeben wird, daß man es die Urbestandteile der Tonkunst nennen kann?
Theaitetos: Nichts anders.
Sokrates: Wenn man nun von den Urbestandteilen und Verknüpfungen, deren wir selbst erfahren sind, auch auf die andern schließen darf: so werden wir sagen müssen, daß die Erkenntnis der Urbestandteile viel deutlicher sei und viel wirksamer, als die der Verknüpfungen, um jegliche Sache vollkommen zu erlernen. Und wenn Jemand sagt, die Verknüpfung sei ihrer Natur nach erkennbar, der Urbestandteil aber nicht: so wollen wir dafür halten er treibe Scherz, es sei nun wissentlich oder unwissentlich.
Theaitetos: Offenbar.
Sokrates: Doch hievon ließen sich noch andere Beweise anführen, wie mich dünkt. Laß uns aber nicht vergessen unsern vorliegenden Gegenstand hernach zu betrachten, was es doch wohl sagen soll, daß die zu der richtigen Vorstellung hinzukommende Erklärung die vollkommenste Erkenntnis ist.
Theaitetos: So laß uns denn sehen.
Sokrates: Wohlan, in welchem Sinne will er wohl hier eigentlich die Erklärung gemeint haben. Eines von dreien nämlich muß er, wie es mir scheint, sagen wollen.
Theaitetos: Von welchen dreien?
Sokrates: Das erste wäre dieses, daß man überhaupt seine Gedanken durch die Stimme vermittelst der Haupt- und Zeitwörter deutlich macht, indem man seine Vorstellung wie im Spiegel oder im Wasser, so in dieser Ausströmung des Mundes ausdrückt. Oder scheint dir dies nicht Erklärung zu sein?
Theaitetos: Mir allerdings.
Sokrates: Und von dem, welcher dies tut, sagen wir, daß er sich über etwas erklärt.
Theaitetos: Das sagen wir.
Sokrates: Dieses ist nun aber jeder zu tun im Stande schneller oder langsamer, zu äußern, was er von jeder Sache meint, wer nur nicht ganz und gar taub oder stumm ist. Und auf diese Art werden Alle, so viele nur etwas richtig vorstellen, auch damit Erklärung verbinden, und es wird also nirgends mehr eine richtige Vorstellung sein ohne Erkenntnis.
Theaitetos: Richtig.
Sokrates: Laß uns aber deshalb nicht leichtsinniger Weise den verurteilen, daß