Handbuch zu Marcel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«. Bernd-Jürgen Fischer

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Handbuch zu Marcel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« - Bernd-Jürgen Fischer


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das gebildete italienische Bürgertum eine zu große Selbstverständlichkeit war, als dass Bedürfnis nach einer Übersetzung bestanden hätte. – Besondere Beachtung verdient aber die Ausgabe von 1983–93 bei Mondadori mit der Übersetzung durch den Schriftsteller und Journalisten Giovanni Raboni unter dem Titel Alla ricerca del tempo perduto, die mit ihrem umfangreichen und tief auf das Textverständnis eingehenden Anmerkungsapparat von Alberto Beretta-Anguissola und Da­rio Galateria neue Maßstäbe der Proust-Edition setzte; eine erweiterte und auf der Grundlage des Tadié-Textes überarbeitete Aus­gabe erschien 1993–98. – Der Romanist Paolo Pinto initiierte zusammen mit dem Journalisten und Autor historischer Romane Giuseppe Grasso eine Neuübersetzung für Newton Compton durch bandweise verschiedene Übersetzer, die 1990 erschien; er selbst übersetzte in dieser Ausgabe den ersten Band. Eine weitere Neuübersetzung, diese jedoch wieder aus einer Hand, von der Romanautorin Maria Teresa Nessi-Somaini, gab der Verlag Rizzoli in den Jahren 1985–2006 heraus. – Im gleichen Jahr, in dem der erste Band der Einaudi-Gesamtübersetzung neu herausgegeben wurde, 1946, gab auch Sassoni in Florenz eine Übersetzung des ersten Bandes durch den Theaterkritiker und Widerstandskämpfer Bruno Schacherl (1920–2015) unter dem Titel Casa Swann heraus. Ebenfalls 1946 erschien bei Jandi Sapi in Rom und Mailand eine Übersetzung des zweiten Teils des ersten Bandes durch Armando Landini unter dem Titel Un amore di Swann (»Eine Liebe von Swann«). Dieser beliebte Textauszug wurde 1948 erneut von Giacomo Debenedetti, 1965 von Oreste del Buono, 1988 von Gianna Tornabuoni und 1990 von Eurialo De Michelis für jeweils einen anderen Verlag (s. Liste unten) übersetzt.

      Die erste Übersetzung ins Portugiesische wurde von einem Team von fünf brasilianischen Autoren unter dem Titel Em Busca do Tempo Perdido vorgelegt, wobei der »Dichter der einfachen Dinge«, Mário de Miranda Quintana (1906–94), mit den Bänden I bis IV die Hauptlast trug. Diese Ausgabe erschien im Verlag Globo in Porto Alegre in den Jahren 1948–57 und löste in Brasilien eine lebhafte Proust-Diskussion aus: Während zuvor nur vereinzelte Stimmen zu hören waren (Mario de Andrade wies bereits 1927 auf Proust hin, Manuel Bandeira äußerte sich 1930 ausführlich zu Proust), erschienen von den ca. 250 Titeln, die der »Bibliografia Proustiana«54 zufolge bis 1997 in Brasilien zu Prousts Werk oder zu Werken über Proust veröffentlicht wurden, allein 132 in den Jahren 1948–50. Dabei handelt es sich ganz überwiegend um Zeitungsartikel; eine universitäre Auseinandersetzung mit Proust hat erst in den 1960er Jahren eingesetzt.55 Naturgemäß beruhte die Übersetzung von 1948–57 auf der Erstausgabe; mit der Revision des französischen Textes durch Cla­rac/Ferré wurde eine Neuübersetzung wünschenswert, die nun von der Portugiesin Maria Gabriela de Bragança erstellt wurde und 1984–86 im portugiesischen Verlag Publicacões Europa-América in Mem Martins erschien. Die erneute Überarbeitung des französischen Textes durch Tadié führte zu zwei Neuübersetzungen, die eine durch den brasilianischen Lyriker Fernando Py (d. i. Fernando Antônio Py de Mello e Silva, geb. 1935), die 1992–95 von Ediouro in Bonsucesso (Brasilien) herausgegeben wurde, die andere durch den bekannten portugiesischen Lyriker Pedro Tamen (geb. 1934), die 2003–05 bei Relogio d’Água in Lissabon erschien. Eine weitere brasilianische Übersetzung durch den Journalisten Mario Sergio Conti (geb. 1954; »Proust ist nicht heilig. Er lebt.«) publizierte die Companhia das Letras in São Paulo in den Jahren 2003–12.56

      Im Katalanischen liegt seit 1991 eine Gesamtübersetzung auf der Grundlage von Clarac/Ferré vor, und seit 2009 konkurrieren die beiden Verlage El cercle de Viena und Labutxaca mit Neuübersetzungen auf der Grundlage von Tadié, die allerdings noch nicht abgeschlossen sind; eine Übersetzung des Mauriac-Typoskripts erschien bereits 1989.

      In Polen lag bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs eine Übersetzung der Bände I–V vor. Der Übersetzer, Tadeusz Żeleński, gen. »Boy«, wurde im Sommer 1941 in Lemberg (Lwiw) zusammen mit den anderen Professoren der dortigen Universität von der Wehrmacht ermordet. Die Übersetzung der verbliebenen Bände VI und VII erfolgte erst 1960 durch den bedeutenden Romanisten Maciej Żurowski in Zusammenarbeit mit der Schriftstellerin Magdalena Tulli (Bd. VI) bzw. mit dem erfahrenen Übersetzer französischer Literatur Julian Rogoziński. – Der polnische Kriegsgefangene Joseph Czapski (1896–1993), der die ersten Teile der Suche eingehend und auch auf Französisch studiert hatte (»Ich bin unzählige Male zu ihm [Prousts Werk] zurückgekehrt und habe immer wieder neue Akzente und neue Perspektiven darin entdeckt«), hielt 1940/41 im russischen Lager Grjasowez aus dem Gedächtnis Vorträge über Proust und Prousts Werk für seine polnischen Mitgefangenen. 1944 diktierte er, abermals aus dem Gedächtnis, diese Vorträge auf Französisch, die dann schließlich 1987 bei den Éditions Noir sur Blanc in Lausanne und 2006 in der Übersetzung von Barbara Heber-Schärer bei der Friedenauer Presse Berlin erschienen. Das obige Zitat stammt aus diesem Buch, S. 11.

      Eine rumänische Übersetzung lag Proust sehr am Herzen, da er mit mehreren rumänischen Familien befreundet war, insbes. den Soutzos und den Brancovan/Bibescus. Im Februar 1924 war zwar ein kurzer Auszug aus dem zweiten Band in Năzuinţa (Nr. 8, S. 44 f.) in einer Übersetzung von Felix Aderca erschienen, doch diese Anregung verhallte ungehört. Erst nach dem Waffenstillstand 1944 begann die Fundaţia Regală pentru Literatură şi Artă (Königliche Gesellschaft für Literatur und Kunst), sich für ein Übersetzungsprojekt zu interessieren. Der ursprünglich zum Chemiker ausgebildete, später als Musiker erfolgreiche Direktor des Radio-Sinfonieorchesters Bukarest und nebenher als Übersetzer anerkannte Radu Cioculescu (1901–61) hatte bereits an der Front mit einer Übertragung der Recherche ins Rumänische begonnen, deren erster Band 1945, für den Anton Bibescu ein Vorwort schrieb, von der Fundaţia regală in zwei Teilbänden herausgegeben wurde. Die Installierung eines kommunistischen Regimes in Rumänien setzte dem Projekt jedoch ein rasches Ende. 1947 wurde Cioculescu, der versucht hatte, die Abschaffung der Bauernpartei zu verhindern, nach einer politisch missliebigen Radioansprache verhaftet und wegen »Verrats« zu zwölf Jahren Zwangsarbeit verurteilt; dieses Urteil wurde in einem Revisionsprozess 1955 auf zehn Jahre »ermäßigt« – ab 1955. Er starb 1961 im Hochsicherheitsgefängnis von Dej an Lungenentzündung. Die noch von ihm angefertigten Übersetzungen der Bände II–IV wurden 1968 aus seinem Nachlass bei Editura pentru Literatură her­ausgegeben, wie auch 1971 der von ihm noch begonnene und von seiner Frau, der moldawischen Opernsängerin Eugenia Babad-Cioculescu, fertiggestellte fünfte Band, dem 1974 bzw. 1977 die verbleibenden Bände VI und VII in der Übersetzung von Eugenia Babad Cioculescu folgten. Der Verlag hatte zuerst den Journalisten und Literaturkritiker Vladimir Streinu mit der Übersetzung beauftragt, war dann jedoch mit dessen Swann so unzufrieden, dass er den ersten Band noch im selben Jahr erneut herausgab, jetzt in der bewährten Übersetzung von Cioculescu.57

      Die erste ungarische Übersetzung stammte von dem Schriftsteller, Romanistik-Professor und rührigen Übersetzer aus dem Französischen Gyergyai Albert, der die ersten drei Bände der Recherche in ungarischer Übersetzung 1937/38 veröffentlichte. Es ist unbekannt, warum er nach Bd. III abbrach – man kann nur spekulieren, dass er oder der Verlag die gleichen Gründe hatten, die auch Chatto & Windus in England und CALPE in Spanien nach dem dritten Band haben abbrechen lassen – die Angst vor dem Homosexualitätsthema bzw. vor der Angst der Zensur vor ebendiesem Thema. Die Fertigstellung des Projekts wurde erst 1995 von Jancsó Júlia in Angriff genommen und 2009 abgeschlossen; zu ihrer Übersetzungsarbeit bemerkte sie in einem Interview mit dem Literaturmagazin Litera (12. 2. 2006) lakonisch und treffend: »Es ist leichter, mit Proust zu leben, als ohne.«

      Der Hiatus zwischen Band III und Band IV findet sich dann auch zu niemandes Überraschung in der arabischen Übersetzung, deren Bände I–III von Elias Badiwi in Syrien 1977, 1978 und 1980 erschienen, bis völlige Ruhe einkehrte. Erst 1997 machte sich das Institut Français d’Égypte in Kairo für eine Fortsetzung stark, die mit dem postumen Erscheinen, jetzt in einem Kairener Verlag, der Übersetzungen der Bände IV und V im Jahr 1998 bzw. 2000 des allerdings 1997 verstorbenen Badiwi erfolgte. Der am Institut Français au Caire für Übersetzungen zuständige Autor und syrische Literaturwissenschaftler Jamal Chehayed brachte schließlich mit der Übersetzung der Bände VI und VII, die 2003 bzw. 2006 erschienen, das Projekt zum Abschluss.

      Die griechische Übersetzung wurde von dem rührigen Kulturmanager und Filmexperten (Jurymitglied der Internationalen Berliner Filmfestspiele) Paulos Zannas (1929–89) im Gefängnis begonnen, nachdem er 1968 wegen der Teilnahme an der Widerstandsorganisation »Demokratische Verteidigung« verhaftet worden war (Anfang 1972 wegen unheilbarer


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