Kleine politische Schriften. Walter Brendel
Читать онлайн книгу.sehenden Auges das Verderben sich vollziehen, oder wir rotten das Übel mit der Wurzel aus und entfernen die Ursache, indem wir das Privateigentum am Land aufheben, das Privateigentum durch Gemeineigentum ersetzen.
Das klingt dem ungewohnten Ohr gar gräßlich, verliert aber bei Licht betrachtet seine Schrecknisse und erscheint als die einfache Forderung der Gerechtigkeit und Notwendigkeit: der Gerechtigkeit, die es verbietet, daß die Mehrheit, daß die Allgemeinheit dem Sonderinteresse einiger wenigen geopfert werde – der Notwendigkeit, welche den Bruch mit den heutigen Eigentumsverhältnissen zum eisernen Gebot der Selbsterhaltung macht.
»Aber Aufhebung des Privateigentums, das ist ja Kommunismus!« Gut, doch wer wird sich vor einem Wort fürchten? Wortfurcht ist noch schlimmer und lächerlicher als Gespensterfurcht. Auf die Sache kommt's an; und daß der Kommunismus nicht bloß bei vielen Völkern in verschiedenen Kulturepochen bestanden und für etwas Selbstverständliches gegolten hat, sondern auch vom Christentum und von vielen der bedeutendsten Denker gefordert wird, das habe ich schon zu Anfang nachgewiesen. Also wozu dieser Schrecken vor einem System, dessen Durchführbarkeit und Nützlichkeit durch die Praxis und dessen »Sittlichkeit« durch den Charakter der Autoritäten, die es befürwortet haben, genügend festgestellt ist?
Doch ich will hier noch einen Gegner des Kommunismus und Sozialismus reden lassen.
»Wenn«, so schreibt der berühmte bürgerliche Ökonom John Stuart Mill in seinen »Prinzipien der politischen Ökonomie«, »wenn die Wahl wäre zwischen dem Kommunismus mit all seinen Chancen (Ungewißheiten) und dem gegenwärtigen Zustand mit all seinen Leiden und Ungerechtigkeiten; wenn die Institution des Privateigentums es als notwendige Folge mit sich brächte, daß das Produkt der Arbeit, wie wir jetzt sehen, in beinahe umgekehrtem Verhältnis zur Arbeit verteilt wird – die größten Anteile an die, welche nie gearbeitet haben, die zweitgrößten an die, deren Arbeit beinahe nur nominell (dem Namen nach, zum Schein) ist, und so in absteigender Linie die Remuneration (Belohnung) immer mehr abnehmend, je härter und unangenehmer die Arbeit wird, bis die ermüdendste und erschöpfendste körperliche Arbeit nicht mit Sicherheit darauf rechnen kann, auch nur des Lebens Notdurft zu verdienen –, wenn zwischen diesem Zustand und dem Kommunismus die Wahl wäre, würden sämtliche großen und kleinen Schwierigkeiten des Kommunismus nur wie Staub in der Waagschale sein.«
Die Wahl ist aber zwischen diesem Zustand und dem Kommunismus; die furchtbaren Ungerechtigkeiten des Privateigentums, gegen welche sich Stuart Mill in diesem berühmt gewordenen Ausspruch wendet, sind nicht bloße Zufälligkeiten, wie Mill vermeint, sondern naturgemäße, notwendige Wirkungen des Grundeigentums selbst, Wirkungen, die nur mit ihrer Ursache, d. i. mit dem Privateigentum selbst verschwinden können. Das Privateigentum, insoweit es nicht rein persönliches Eigentum ist, das heißt: was wir persönlich brauchen und verbrauchen – läßt sich nur denken entweder als tot daliegender wertloser Schatz oder als Mittel zur Ausbeutung der Arbeitskraft anderer. Hätte jeder als Privateigentum gerade so viel, daß er bei vernünftiger Arbeit davon leben könnte, so würde allerdings von einer Ausbeutung der Arbeit anderer nicht die Rede sein können, allein ein solcher Zustand hat niemals existiert, und obgleich die Poeten ihn als das Ideal menschlicher Glückseligkeit empfehlen, so wäre er auch keineswegs wünschenswert; denn die gesonderte Einzelarbeit oder höchstens Familienarbeit kann nur eine sehr niedrige Stufe der Produktion erreichen. Der Traum Jean-Jacques Rousseaus, der aus Ekel vor unserer Afterkultur und vor der Korruption der herrschenden Klassen sich in die Wälder flüchten und die Gesellschaft der wilden Tiere aufsuchen wollte, würde bittere Wahrheit werden. Es ist eigentümlich, freilich auch leicht erklärlich, daß die Menschen, wenn sie die Unerträglichkeit der Gegenwart zu begreifen anfangen, den Blick nicht gleich vorwärts lenken, sondern erst rückwärts in die Vergangenheit, welche sich ihnen in dem rosigen Licht der Überlieferung und der Phantasie zeigt.
Weit mehr als durch ihre vererbten Einrichtungen hemmt uns die Vergangenheit durch die Mythen, in welche sie sich hüllt. Eine so treffliche, untrügliche Lehrerin die Geschichte ist, das heißt die wahrheitsgemäße Schilderung und Erklärung des Geschehens, ein so gefährliches Irrlicht ist die Mythe, jener blendende Nebelschleier, den menschliche Einbildungskraft und Unwissenheit, zum Teil auch absichtlicher Betrug, um die Ereignisse und Zustände der Vergangenheit gewoben haben.
Von allen Irrtümern ist aber wohl der gefährlichste der: daß das Menschengeschlecht früher einmal, sei es im biblischen oder einem sonstigen Paradies, ein glückseliges Dasein geführt habe, das auf die eine oder andere Weise ihm später geraubt worden. Diese Umkehrung der geschichtlichen Entwicklung, dieses Auf-den-Kopf-Stellen der Wirklichkeit macht jeden menschlichen Fortschritt zu einem Rückschritt, beklagt jede Neuerung als eine Verschlechterung und sucht aus der Gegenwart das Heil in der Vergangenheit. Vor uns liegt das Paradies, nicht hinter uns. Die Fata Morgana eines vermeintlich hinter uns liegenden Paradieses verlockt nur in unfruchtbare, dem Wanderer oft den Tod bringende Wüsteneien. Die griechische Mythologie drückt dies schön aus durch die Sage von Epimetheus und Prometheus: Dem rückwärts schauenden Epimetheus verdankt das Menschengeschlecht die Öffnung der Pandorabüchse, aus der alle Übel sich über die Welt ergossen – dem vorwärts schauenden Prometheus verdankt es das himmlische Feuer, das er den Göttern ablistete, um den Menschen Licht und den Hebel der Kultur zu geben. Für dieses Verbrechen gegen die olympischen Götter wurde Prometheus von Jupiter an einen Felsen geschmiedet und den grausamsten Martern überliefert – bekanntlich lieben es die irdischen Götter noch heute, in ähnlicher Weise sich an denen zu rächen, die im Dienst der Menschheit das göttliche Feuer verbreiten.
Doch weiter. Liebig, auf dessen Zeugnis ich mich vorhin berief, zeigt uns in seinen Schriften den richtigen Weg, allerdings ohne sich der Tragweite seines Rates vollkommen bewußt zu sein, denn leider, wie bereits angedeutet ward, zählt er zu jenen Männern der Wissenschaft, die nicht den Mut der Konsequenz haben, weil sie, aus persönlichem Interesse oder aus Furcht vor Kollisionen, den herrschenden Gewalten, den bestehenden Zuständen Rechnung tragen. In den schon zitierten »Chemischen Briefen« schreibt Liebig: »Die regellose Beraubung unserer Wälder führte mit dem Herannahen ihrer Gefahren für den Staat und die Gesellschaft zu einer bewunderungswürdig geordneten Forstwirtschaft. Wäre der Wald in ebensoviel Parzellen geteilt und in ebensoviel törichten Händen wie das Ackerfeld, so würden wir längst kein Holz mehr haben; täglich rückt uns die Gefahr näher, durch die Ausrottung der Chinabäume eines der unschätzbarsten Arzneimittel für die menschliche Gesellschaft zu verlieren, und es bleibt uns nur der Trost, daß mit dem allerletzten Baum die rationelle Kultur derselben beginnen wird, die uns nach einer Reihe von Jahren für immer damit versorgt.«
Wohlan, sollen wir warten, bis wir zum »allerletzten Baum« gelangt sind? Sollen wir die »Not« an uns herankommen lassen und an eine rationelle Kultur erst denken, wenn uns das Feuer auf den Nägeln brennt und infolge des herrschenden Raubbaus eine vollständige Erschöpfung des Bodens mit allgemeiner Hungersnot über die Menschheit hereinbricht? Oder sollen wir die Landwirtschaft ebenso behandeln wie die Forstwirtschaft? In allen halbwegs geordneten Staaten ist man durch die »Not« dazu gedrängt worden, die Forstwirtschaft zur Staatssache zu machen. Entweder sind die Forste direkt Staatseigentum, oder sie werden unter staatlicher Aufsicht bewirtschaftet. Dieselben Gründe, welche zur staatlichen Bewirtschaftung der Forste geführt haben, erheischen nun aber auch die staatliche Bewirtschaftung des Grund und Bodens, ich meine des Agrikulturlandes, und zwar noch mit weit zwingenderer Gewalt, weil die Ernährung des Volks denn doch von weit dringenderer und unmittelbarer Wichtigkeit ist als die Lieferung von Brenn- und Bauholz.
Das Beispiel der Forstwirtschaft ist für das Prinzip entscheidend: Der Staat hat damit anerkannt, daß, wo das Privateigentum und der Privatbetrieb gemeinschädlich ist, das Staatseigentum und der Staatsbetrieb an die Stelle des Privatbetriebs treten muß. Daß diese Notwendigkeit aber für den Grund und Boden vorliegt, kann kein Unbefangener leugnen.
Mit Bezug auf den Grund und Boden hat sich der Staat aber auch schon in positivster Form das oberste Eigentumsrecht gesichert in dem sogenannten Expropriationsrecht. Jedes Stück Land, welches zu öffentlichen Zwecken geheischt wird, muß an den Staat oder die Gemeinde abgelassen werden. Allerdings gegen Entschädigung; was jedoch an der Tatsache nichts ändert, daß der Staat das oberste Verfügungs- und Eigentumsrecht für sich in Anspruch nimmt. Und das von Rechts wegen. Was aber gegen den einen Recht ist, ist auch