Jesse James. Michael Franzen
Читать онлайн книгу.ganzen Besitz auf seinen Namen überschreiben zu lassen, war das Fass des Erträglichen für sie am Überlaufen gewesen. Sie reichte sofort die Scheidung ein, doch bevor diese vor dem Gesetz rechtsgültig geworden war, schlug das Schicksal ein weiteres Mal zu, denn Simms stürzte am 02. Januar 1854 von seinem Pferd und brach sich dabei den Hals. Mit Ehemann Nummer drei, den aus Kentucky stammenden Dr. Reuben Samuel, kam die Familie hingegen weitaus besser klar. Er war sanft, voller Zuneigung und den Kindern gegenüber ein guter Vater und Freund gewesen. Sie genossen unter ihm und ihrer Mutter ein gutes Zuhause und eine gute Kindheit und es lag daher sicher nicht an dem oftmals berühmten zitierten „schlechten Elternhaus“, dass Frank und Jesse später auf die schiefe Bahn geraten sollten. Die Ehe wurde am 25. September 1855 vollzogen und gemeinsam hatten sie vier Kindern, nämlich Sarah „Sallie“ Louisa (26. Dezember 1858), John Thomas (25. Dezember 1861), Fanny Quantrill (18. Oktober 1863) sowie Archie Peyton (26. Juli 1866).
Laut den damaligen zeitgenössischen Berichten, schlossen Frank und Jesse fast spielend Freundschaften zu den anderen Jugendlichen aus ihrer Nachbarschaft und übernahmen dabei oftmals auch deren Anführerschaft. Sie erlernten den Umgang mit Schusswaffen und gingen auch auf die Jagd. Zerelda vergötterte ihre Kinder, vor allem Frank, den sie „Mister Frank“ nannte, während Jesse ihn einfach Frank oder „Buck“ nannte. Von Frank selber erhielt Jesse den Spitznamen „Dingus“, womöglich deshalb, weil er durch seinen unfreiwilligen Humor oder sein Verhalten, andere aus der Gruppe spontan zum Lachen gebracht hatte. Darüber hinaus galt er dem weiblichen Geschlecht gegenüber als ein charmanter Kavalier.
Die harmonische Ruhe in Missouri sollte sich jedoch zur Mitte der 1850er Jahre ins Gegenteil verkehren. Durch den Kansas-Nebraska-Act von 1854, bei dem sich die Bürger des zukünftigen Staates Kansas selber entscheiden sollten, ob sie dort die Sklaverei einführen wollten oder nicht, kam es mehr und mehr zu Gewaltakten in dem neuen Territorium. Bewaffnete Männer aus Missouri, die sogenannten „Border Ruffians“ zogen in das Kansas-Territorium, um dort mit Waffengewalt zu versuchen, die Sklaverei wie schon zuvor in Missouri zu etablieren. Gegenwehr bildete sich und Gruppen von Abolitionisten, die „Jayhawkers“, lieferten sich blutige Scharmützel mit den Sklavereibefürwortern. Namen wie James Henry „The Grim Chieftain of Kansas“ Lane oder John Brown wurden zum Pseudonym eines dunklen, sich anbahnenden Gewittergrollens, das weit über die Grenzen von Missouri und Kansas hinweg die ganze amerikanische Nation 1861 in einen großen Bruderkrieg stürzen sollte - dem Amerikanischen Bürgerkrieg, in dessen Wirren am Ende auch Frank und Jesse James hineingezogen werden sollten.
Guerillakrieg
Bereits vor dem offiziellen Beginn des Amerikanischen Bürgerkrieges durch den Beschuss von Fort Sumter im Hafen von Charleston, South Carolina am 12. April 1861, hatten sich im Grenzgebiet von Missouri und Kansas bereits Guerillagruppen etabliert. Auf Seiten der Antisklavereibewegung standen dabei die Redlegs und die Jayhawkers, letztere unter der Führung von James H. Lane, der sich die Sklavenbefreiung und die Unterdrückung der Sezession auf die Fahne geschrieben hatte. Mit selbig wehender ritten er und seine Kansas Brigade am 23. September 1861 in den 2.000-Seelen-Ort Osceola in Missouri ein, wobei 200 Sklaven befreit, 17 Sezessionisten getötet sowie acht weitere verwundet wurden. Anschließend wurde die Stadt geplündert und niedergebrannt. Die Antwort der Südstaatler folgte am 21. August 1863. William Clarke Quantrill führte seine Guerillatruppe nach Lawrence, Kansas. Die Stadt wurde geplündert und gebrandschatzt, nachdem 185 Männer und Jungen massakriert und zahlreiche Frauen vergewaltigt worden waren. 154 Gebäude wurden zerstört und - Frank James war, anders als sein jüngerer Bruder Jesse, mit Sicherheit an diesem Überfall beteiligt gewesen:
„Quantrill steht für den häufigen Fall eines jungen Mannes, dessen Ambitionen größer waren als das, was er erreicht hatte, der sich Reichtum und Erfolg wünschte, der jedoch zu ungeduldig und zu unfähig war, beides zu erlangen; und der begann, sein Versagen und die Welt, die daran schuld war, abzulehnen. Er hielt sich selber für einen besonderen Menschen, der über den Gesetzen stand, die nur für andere galten (…) Fehlschläge verbitterten und frustrierten ihn. Sie ließen ihn verzweifelt darum ringen, sich selbst und anderen seine Überlegenheit zu beweisen. Wir haben es mit einem Paranoiden zu tun. Und Paranoide schreiben Geschichte - und das ist ein Unglück für die Menschheit.“
Albert Castel, „WILLIAM CLARKE QUANTRILL, HIS LIFE AND TIMES“, Norman 1999
Quantrill wurde als erstes von acht Kindern seiner Eltern Thomas und Caroline Quantrill am 31. Juli 1837 in Canal Dover, Ohio geboren und wuchs in einer Familie auf, die der Union nahegestanden hatte. So war er nach dem Tod seines Vaters zeitweilig Mitglied in der Free-Soilers-Partei gewesen. Bereits mit 16 Jahren war Quantrill als Lehrer tätig gewesen, bevor er sich 1858 der US-Armee anschloss und dabei als Unteroffizier zeitweilig in Utah seinen Dienst versehen hatte. Doch schon bald verließ er die Armee wieder, schlug sich als Glücksspieler durch und ging 1859 nach Lawrence, wo er sich abermals als Lehrer betätigte. Jedoch musste er die Stadt und den Staat schon bald wieder verlassen, weil er wegen Viehdiebstahl und Mordes angeklagt wurde. Er floh hinüber nach Missouri, wo er 1861 seine Guerillatruppe „Quantrills Raiders“ gründete, die später von der Regierung der Konföderierten Staaten als offizielle Hilfstruppe der regulären Armee anerkannt wurde. Als in Kansas City, Missouri das örtliche Gefängnis einstürzte, wobei einige Familienmitglieder, Freunde und Sympathisanten der Quantrill Raiders getötet wurden, gab Quantrill den Jayhawkers die unmittelbare Schuld dafür und übte in Lawrence blutige Vergeltung. Vier Tage nach dem Massaker von Lawrence, am 25. August 1863, revanchierte sich Unionsgeneral Thomas Ewing Jr. gegen die Konföderierten, indem er den Generalbefehl No. 11 erließ, einen Evakuierungsbefehl, der fast 20.000 Menschen aus vier Countys im Westen von Missouri vertrieb und viele ihrer Farmen und Häuser in Schutt und Asche verwandelte, was den Hass der Südstaatler auf die Union in Missouri noch zusätzlich anheizte.
Bereits seit dem dem 04. Mai 1861 hatte Frank an mehreren Kämpfen teilgenommen, bevor er im Juli 1862 schließlich zu Quantrills Truppe stoßen sollte. Bis dahin schien der Krieg einen großen Bogen um die Familie James gemacht zu haben, was sich dann jedoch ändern sollte, als 1863 ein Trupp Jayhawkers zur James-Farm ritt und Auskunft darüber verlangte, wo sich Frank James bzw. Quantrill aufhielten. Die Antwort auf diese Frage war eher unbefriedigend gewesen, wahrscheinlich wusste Reuben Samuel selber nicht einmal, wo sich sein Sohn, geschweige denn Quantrill zu diesem Zeitpunkt genau aufgehalten hatten. Wütend über diese Aussage, begannen die Jayhawkers Jesse mit Stricken zu verprügeln, danach hängten sie Dr. Samuel an den nächsten Baum auf, bevor sie die Farm wieder verließen. Er sollte diese Prozedur jedoch wie durch ein Wunder überleben und seiner Familie gelang es, ihn wieder ins Leben zurückzurufen. Jesse hingegen wurde bald darauf ins Gefängnis von Liberty geworfen, um sein Schweigen, was seinen Bruder anbelangte, zu brechen, jedoch vergeblich, denn kein Sterbenswörtchen kam über seine Lippen. Nachdem man ihn wieder auf freien Fuß gesetzt hatte, wurde mit seiner Mutter und seiner Schwester Susan genauso verfahren. Sie wurden in Gewahrsam genommen und nach St. Joseph gebracht. Erst nach einem Monat wurden beide wieder aus der Haft entlassen, nachdem sich Susan dort mit der Tuberkulose infiziert hatte. Den Zorn Jesses über diese ungerechtfertigte Behandlung mag man nur erahnen und als Folge verließ er, genauso wie zuvor schon sein Bruder, das elterliche Zuhause, um sich 1864 Quantrills Männern anzuschließen. Quantrill selber hielt Jesse mit seinen 16 Jahren zwar für zu jung, doch einer seiner Unteranführer, William „Bloody Bill“ Anderson, schien Jesses Potenzial erkannt zu haben und fand sich schließlich bereit dazu, ihn unter seine persönlichen Fittiche zu nehmen. Seine Feuertaufe erlebte er bei dem Überfall auf die Stadt Richmond im nordwestlichen Missouri. Die Unionsgarnison wurde bezwungen, wobei der Kommandant und US-Captain Sessions ums Leben kam. Diese Niederlage brachte die Union dazu, von Plattsburg aus auszuschwärmen, um die Guerillas zu jagen und sie zur Strecke zu bringen. Als Jesse von seiner Mutter davon erfahren hatte, drehten die Guerillas den Spieß um und stürmten ihrerseits das nunmehr schwach verteidigte Plattsburg und eroberten in einem verwegenen Handstreich, Waffen, Munition sowie rund 12.000 Dollar. Und in gleicher Manier sollte es während des Krieges in Missouri weitergehen. Mal waren es die Anhänger der Nordstaaten, die Terrorakte