Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Zweiter Teil. Gustav Schwab

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Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Zweiter Teil - Gustav  Schwab


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Arm, doch ohne über das Geschick seiner Tochter beruhigt

       zu sein. »Ich danke dir«, sprach er, »lieber Bruder, daß uns gegen Verhoffen dein edler Sinn wieder

       zusammengeführt hat. Über mich aber hat das Schicksal entschieden. Der blutige Tod der Tochter

       muß vollzogen sein: das ganze Griechenland verlangt ihn; Kalchas und der schlaue Odysseus sind

       einverstanden; sie werden das Volk auf ihrer Seite haben, dich und mich ermorden und mein

       Töchterlein abschlachten lassen. Und flöhen wir gen Argos, glaube mir, sie kämen und rissen uns aus

       den Mauern hervor und schleiften die alte Zyklopenstadt! Deswegen beschränke dich darauf, Bruder,

       wenn du in das Lager kommst, darüber zu wachen, daß meine Gemahlin Klytämnestra nichts erfahre,

       bis daß mein und ihr Kind dem Orakelspruch erlegen ist!«

       Die herannahenden Frauen unterbrachen das Gespräch der Brüder, und Menelaos entfernte sich in

       trüben Gedanken.

       Die Begrüßung der beiden Gatten war kurz und von Agamemnons Seite frostig und verlegen; die

       Tochter aber umschlang den Vater mit kindlicher Zuversicht und rief. »O Vater, wie entzückt mich

       dein lang entbehrtes Angesicht!« Als sie ihm hierauf näher in sein sorgenvolles Auge sah, fragte sie

       zutraulich: »Warum ist dein Blick so unruhig, Vater, wenn du mich doch gerne siehst?« »Laß das,

       Töchterchen«, erwiderte der Fürst mit beklommenem Herzen; »den König und den Fürsten kümmert

       gar vielerlei!« »So verbanne doch diese Furchen«, sprach Iphigenia, »und schlage ein liebendes Auge

       zu deiner Tochter auf! Warum ist es denn so von Tränen angefeuchtet?« »Weil uns eine lange

       Trennung bevorsteht«, erwiderte der Vater. »O wie glücklich wäre ich«, rief das Mädchen, »wenn ich

       deine Schiffsgefährtin sein dürfte!« »Nun, auch du wirst eine Fahrt anzutreten haben«, sagte

       Agamemnon ernst, »zuvor aber opfern wir noch ein Opfer, bei dem du nicht fehlen wirst, liebe

       Tochter!« Die letzten Worte erstickten unter Tränen, und er schickte das ahnungslose Kind in das für

       sie bereitgehaltene Zelt zu den Jungfrauen, die in ihrem Gefolge gekommen waren. Mit der Mutter

       mußte der Atride seine Unwahrheit fortsetzen und die fragende, neugierige Fürstin über Geschlecht

       und Verhältnisse des ihr zugedachten Bräutigams unterhalten. Nachdem sich Agamemnon von der

       Gemahlin losgemacht, begab er sich zu dem Seher Kalchas, um mit diesem das Nähere wegen des

       unvermeidlichen Opfers zu verabreden.

       Derweilen mußte der tückische Zufall Klytämnestra im Lager mit dem jungen Fürsten Achill, der den

       Heerführer Agamemnon aufsuchte, weil seine Myrmidonen den längern Verzug nicht ertragen

       wollten, zusammenführen, und sie nahm keinen Anstand, ihn als den künftigen Eidam mit

       freundlichen Worten zu begrüßen. Aber Achill trat verwundert zurück. »Von welcher Hochzeit redest

       du, Fürstin?« sprach er. »Niemals habe ich um dein Kind gefreit, nie ist ein Einladungswort zur

       Vermählung von deinem Gemahl Agamemnon an mich gelangt!« So begann das Truggewebe vor

       Klytämnestras Augen aufgedeckt zu werden, und sie stand unentschlossen und voll Beschämung vor

       Achill. Dieser aber sagte mit jugendlicher Gutmütigkeit: »Laß dich's nicht kümmern, Königin; wenn

       auch jemand seinen Scherz mit dir getrieben hätte, nimm es leicht, und verzeih mir, wenn mein

       Erstaunen dir wehe getan hat.« Und so wollte er mit ehrerbietigem Gruße davoneilen, den Feldherrn

       aufzusuchen: da öffnete eben ein Diener das Zelt Agamemnons und rief mit verstörter Miene den

       beiden Sprechenden entgegen; es war der vertraute Sklave Agamemnons und Klytämnestras, den

       Menelaos mit dem Briefe ergriffen hatte. »Höre«, sprach er leise, doch atemlos, »was dir dein treuer

       Diener zu vertrauen hat: deine Tochter will der Vater eigenhändig töten!« Und nun erfuhr die

       zitternde Mutter das ganze Geheimnis aus dem Munde des getreuen Sklaven. Klytämnestra warf sich

       dem jungen Sohne des Peleus zu Füßen, und seine Knie wie eine Schutzflehende umfassend, rief sie:

       »Ich erröte nicht, so vor dir im Staube zu liegen, ich, die Sterbliche, vor dem Göttersprößling. Weiche,

       Stolz, vor der Mutterpflicht! Du aber, o Sohn der Göttin, rette mich und mein Kind von der

       Verzweiflung! Dir, als ihrem Gatten, habe ich sie bekränzt hierhergeführt; zwar eitlerweise, dennoch

       heißest du mir meines Mädchens Bräutigam! Bei allem, was dir teuer ist, bei deiner göttlichen

       Mutter beschwöre ich dich, hilf sie mir jetzt retten. Sieh, ich habe keinen Altar, zu dem ich flüchten

       könnte, als deine Knie! Du hast Agamemnons grausames Unterfangen gehört; du siehest, wie ich, ein

       wehrloses Weib, in die Mitte eines gewalttätigen Heeres eingetreten bin! Breite über uns deinen Arm

       aus, so ist uns geholfen!«

       Achill hob die vor ihm liegende Königin voll Ehrfurcht vom Boden und sprach: »Sei getrost, Fürstin!

       Ich bin in eines frommen, hilfreichen Mannes Haus aufgezogen worden; am Herde Chirons habe ich

       schlichte, redliche Sinnesart gelernt. Ich gehorche den Söhnen des Atreus gerne, wenn sie mich zum

       Ruhme führen; aber schnödem Befehle gehorche ich nicht. Darum will ich dich schützen, soweit es

       den Armen eines Jünglings möglich ist, und nimmermehr soll deine Tochter, die einmal mein genannt

       wurde, von ihrem Vater hingewürgt werden. Ich selbst erschiene mir nicht unbefleckt, wenn meine

       erlogene Brautschaft dieses Kind verdürbe, ich käme mir wie der feigste Wicht im Heere und wie der

       Sohn eines Missetäters vor, wenn mein Name deinem Gemahl zum Vorwand eines Kindesmordes

       dienen könnte.« »Ist das wirklich dein Wille, edler, mitleidiger Fürst«, rief Klytämnestra, außer sich

       vor Freude, »oder erwartest du vielleicht noch, daß auch meine Tochter deine Knie als

       Schutzflehende umschlingen soll? Zwar ist es nicht jungfräulich; aber wenn es dir gefällt, so wird sie

       züchtiglich nahen, wie es einer Freigebornen ziemt.« »Nein«, entgegnete ihr Achill, »führe dein

       Mädchen nicht vor mein Angesicht, damit wir nicht in Verdacht und üble Nachrede kommen, denn

       ein so großes Heer, das keine Heimatsorgen hat, liebt faules Geschwätz; aber vertraue mir, ich habe

       nie gelogen. Möge ich selbst sterben, wenn ich dein Kind nicht rette.« Mit dieser Versicherung

       verließ der Sohn des Peleus Iphigenias Mutter, die jetzt mit unverhehltem Abscheu vor ihren Gatten

       Agamemnon trat. Dieser, der nicht wußte, daß der Gemahlin das Geheimnis verraten war, rief ihr die

       zweideutigen Worte entgegen: »Entlaß jetzt dein Kind aus dem Zelte und übergib es dem Vater, denn

       Mehl und Wasser und das Opfer, das unter dem Stahle vor dem Hochzeitsfest fallen soll, alles ist

       schon bereit.« »Vortrefflich«, rief Klytämnestra, und ihr Auge funkelte, »tritt selbst aus unserem

       Zelte hervor, o Tochter, du kennst ja gründlich deines Vaters


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