Zwei Städte. Charles Dickens

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Zwei Städte - Charles Dickens


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des Tages gehabt; Niemand hatte darauf Acht gegeben. Er hatte den Advocatentalar abgelegt, ohne daß sein Aussehen dadurch besser geworden wäre.

      „Wenn Sie wüßten, welche Kämpfe der Geschäftsmann zu bestehen hat, wenn sein Inneres getheilt ist zwischen gutmüthigem Wollen und Geschäftsrücksichten, so würden Sie lachen, Mr. Darnay.“

      Mr. Lorry wurde roth und sagte mit Wärme: „Sie haben das schon einmal gesagt, Sir. Wir Geschäftsleute, die einem Hause dienen, sind nicht unsere eigenen Herren. Wir müssen an das Haus mehr als an uns selbst denken.“

      „Das weiß ich, das weiß ich,“ warf Mr. Carton gleichgültig ein. „Seien Sie nicht ärgerlich, Mr. Lorry. Sie sind so gut wie die Andern, das bezweifle ich nicht; besser, wage ich zu sagen.“

      „Und ich muß wahrhaftig sagen, Sir,“ fuhr Mr. Lorry fort, ohne auf ihn zu hören, „ich weiß eigentlich nicht, was Sie die Sache angeht. Wenn Sie mir, der ich so viel älter bin als Sie, erlauben wollen, es auszusprechen, so glaube ich kaum, daß dies Sache Ihres Geschäfts ist.“

      „Meines Geschäfts! Mein Gott, ich habe kein Geschäft,“ sagte Mr. Carton.

      „Es ist schade, daß Sie keins haben, Sir.“

      „Das glaube ich auch.“

      „Wenn Sie ein Geschäft hätten,“ fuhr Mr. Lorry fort, „so würden Sie vielleicht sich demselben widmen.“

      „Du meine Güte, nein! — Ich gewiß nicht,“ sagte Mr. Carton.

      „Ich sage Ihnen, Sir,“ sagte Mr. Lorry, ganz ärgerlich über seine Gleichgültigkeit, „ein Geschäft ist eine sehr gute Sache und eine sehr respectable Sache. Und ich sage Ihnen, Sir, wenn das Geschäft seine Rücksichten fordert und manchen Zwang auflegt, so weiß Mr. Darnay, als junger Mann von Herz, diesen Umstand zu berücksichtigen. Mr. Darnay, gute Nacht. Gott segne Sie, Sir! Ich hoffe, Sie sind heute für ein gedeihliches und glückliches Leben aufbewahrt worden. — Heda, Sänfte!“

      Vielleicht ein wenig ärgerlich über sich selbst, wie über den Sachwalter, stieg Mr. Lorry hastig in die Sänfte und ließ sich nach Tellsons Bank tragen. Carton, der nach Portwein roch und nicht ganz nüchtern zu sein schien, lachte dann und sagte zu Darnay:

      „Ein seltsamer Zufall ist’s, der Sie und mich zusammenführte. Es muß eine seltsame Nacht für Sie sein, hier auf der Straße allein mit Ihrem Doppelgänger zu stehen?“

      „Es kommt mir noch gar nicht recht vor, als ob ich dieser Welt angehörte,“ entgegnete Charles Darnay.

      „Das wundert mich nicht; es ist nicht lange her, daß Sie ziemlich weit auf Ihrem Wege nach einer andern waren. Nach Ihrer Sprache sind Sie angegriffen.“

      „Mir kommt es vor, als wäre ich sehr angegriffen.“

      „Warum, zum Kukuk, gehen Sie dann nicht zu Tisch? Ich für meinen Theil habe gegessen, während diese Strohköpfe mit einander zu Rathe gingen, welcher Welt Sie angehören sollten — dieser oder einer andern. Ich will Ihnen aber wenigstens das nächste Gasthaus zeigen, wo man gut ißt.“

      Er nahm ohne Umstände den Arm Darnay’s, führte ihn Ludgate-Hill hinab nach Fleet-Street und dort durch einen langen, überbauten Gang in ein Wirthshaus. Dort wies man sie in ein kleines Zimmer, wo Charles Darnay sich bald bei einem guten, einfachen Diner und gutem Weine stärkte, während Carton ihm gegenüber an demselben Tisch saß, seine besondere Flasche Portwein vor sich hatte und ihm mit seiner halb insolenten Manier zusah.

      „Nun, fühlen Sie jetzt, daß Sie wieder diesem irdischen Schauplatz angehören, Mr. Darnay?“

      „Ich bin schrecklich verwirrt über Zeit und Ort; aber soweit bin ich hergestellt, um das zu fühlen.“

      „Es muß Ihnen zur unendlichen Befriedigung gereichen.“

      Er sagte das mit Bitterkeit und schenkte sich sein Glas wieder voll, das ziemlich groß war.

      „Was mich betrifft, so ist mein größter Wunsch, zu vergessen, daß ich zu dieser Welt gehöre! Sie hat nichts Gutes für mich — außer Wein, gleich diesem — und ich habe nichts Gutes für sie. So gleichen wir uns in diesem Punkte nicht sehr. In der That fange ich an zu glauben, daß wir uns in keiner Einzelheit sehr ähnlich sind.“

      Von der Aufregung des Tages noch verwirrt und von der Anwesenheit seines Doppelgängers mit dem gemeinen Betragen wie von einem Traum befangen, wußte Charles Darnay nicht, was er antworten sollte und antwortete zuletzt gar nicht.

      „Da Sie jetzt mit dem Essen fertig sind,“ fuhr Carton gleich darauf fort, „so sollten Sie doch eine Gesundheit ausbringen, Mr. Darnay; warum thun Sie es nicht?“

      „Auf wen soll ich eine Gesundheit ausbringen?“

      „Mein Gott, der Name schwebt Ihnen auf der Zunge. Es sollte wenigstens und es muß der Fall sein, ich schwöre darauf.“

      „Miß Manette also!“

      „Gut, Miß Manette!“

      Carton sah seinen Begleiter fest an, während er den Toast trank und warf dann das Glas über die Schulter an die Wand, wo es in tausend Stücke zerbrach; dann klingelte er und bestellte ein neues Glas.

      „Eine schöne junge Dame, um sie im Dunkeln nach der Kutsche zu geleiten, Mr. Darnay!“ sagte er und schenkte sich sein neues Glas voll.

      Ein kaum merkbares Runzeln der Stirn und ein kurzes Ja war die Antwort.

      „Und von einer so schönen jungen Dame bedauert und beweint zu werden! Wie mag das wohl thun? Ich glaube, es ist werth, sich einen Proceß um sein Leben machen zu lassen, wenn man dafür Gegenstand solchen Erbarmens und Mitleids wird. Nicht wahr, Mr. Darnay?“

      Abermals zog Darnay vor, keine Antwort zu geben.

      „Ihre Botschaft machte ihr schreckliche Freude, als ich sie ihr überbrachte. Nicht, daß sie dieselbe besonders an den Tag legte, aber meiner Meinung nach war es entschieden der Fall.“

      Die Anspielung erinnerte Darnay noch zur rechten Zeit, daß dieser unangenehme Gesell ihm aus eigenem Antrieb im Laufe des Tages aus einer Verlegenheit geholfen hatte. Er brachte das Gespräch darauf und dankte ihm für seine Vermittelung.

      „Ich verlange weder Ihren Dank, noch verdiene ich ihn,“ sagte der Andere gleichgültig. „Erstens war keine Mühe dabei, und zweitens weiß ich gar nicht, weshalb ich es eigentlich gethan habe. Mr. Darnay, erlauben Sie mir eine Frage?“

      „Mit Vergnügen, und die Antwort ist nur ein geringfügiger Dank für Ihre freundlichen Dienste.“

      „Glauben Sie, daß ich Sie besonders gern habe?“

      „Wahrhaftig, Mr. Carton, ich habe mir diese Frage selbst noch nicht vorgelegt,“ entgegnete der Andere, einigermaßen von der Anrede in Verwirrung gebracht.

      „Nun, so legen Sie sich jetzt einmal die Frage vor.“

      „Sie haben gehandelt, als ob Sie mich gern hätten; aber ich glaube nicht, daß es der Fall ist.“

      „Ich glaube es auch nicht,“ sagte Carton. „Ich fange an, von Ihrem Urtheil eine sehr gute Meinung zu bekommen.“

      „Nichtsdestoweniger,“ fuhr Darnay fort, indem er aufstand, um zu klingeln: „zürnen Sie nicht, hoffe ich, daß ich die Rechnung bestelle und daß wir ohne böses Blut zwischen uns von einander scheiden.“

      Carton erwiderte: „Durchaus nicht!“ Darnay klingelte. „Bezahlen Sie die ganze Rechnung?“ sagte Carton. Auf seine bejahende Antwort fuhr er fort: „Dann bringen Sie mir noch eine halbe Flasche von diesem Wein, Kellner, und wecken Sie mich dann um 10 Uhr.“

      Charles Darnay stand auf, nachdem er die Rechnung bezahlt hatte und wünschte dem Andern gute Nacht. Ohne den Wunsch zu erwidern, stand auch Carton auf und sagte mit fast drohender oder herausfordernder Miene: „Noch ein Wort, Mr. Darnay: Sie glauben, ich bin betrunken?“

      „Ich glaube, Sie


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