Zwei Städte. Charles Dickens

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Zwei Städte - Charles Dickens


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sein Auge sofort haften blieb, so auffällig und mit einer solchen Veränderung seines Gesichts, daß alle Augen, die sich auf ihn gewendet hatten, sich auf diese Beiden wendeten.

      Die Zuschauer sahen in den beiden Gestalten eine junge Dame von kaum mehr als zwanzig Jahren und einen Herrn, der offenbar ihr Vater war; einen Herrn von sehr merkwürdigem Aussehen, wegen seines schlohweißen Haares und einer gewissen unbeschreiblichen Intensivität des Gesichtsausdrucks; nicht der Außenwelt zugewendet, sondern grübelnd und mit sich selbst beschäftigt. Wenn dieser Ausdruck auf seinem Gesicht lag, sah er aus, als wäre er alt; verschwand er aber manchmal vorübergehend, — wie z. B. jetzt, wie er mit seiner Tochter sprach, so wurde er ein schöner Mann, der noch nicht über das kräftige Mannesalter hinaus ist.

      Seine Tochter hatte die eine ihrer Hände durch seinen Arm gezogen, wie sie neben ihm saß und die andere darauf gelegt. Eingeschüchtert von dem Schauspiel, das sie vor sich sah, und voller Mitleid für den Angeklagten, hatte sie sich dicht an den Vater herangedrängt. Auf ihrer Stirn las man deutlich eine Alles vergessende Angst und ein Mitleid, die für Nichts Sinn hatten, als für die Gefahr des Angeklagten. Dies war so deutlich zu lesen, so natürlich und lebendig ausgedrückt, daß Neugierige, die kein Mitleid mit ihm gehabt hatten, sich von ihrem Anblick rühren ließen; und durch den Saal ging ein Geflüster, wer sind sie?

      Jerry, der Ausläufer, der seine Beobachtungen für sich in seiner Weise gemacht hatte und der in seinem tiefen Nachdenken den Rost von seinen Fingern gesogen hatte, machte den Hals lang, um zu hören, wer sie wären. Das Gedränge um ihn hatte sich noch dichter zusammengedrängt und die Anfrage an den nächsten Gerichtsdiener befördert und von diesem kam die Antwort langsam zurück; endlich kam sie auch an Jerry:

      „Zeugen.“

      „Auf welcher Seite?“

      „Gegen.“

      „Gegen welche Seite?“

      „Gegen den Angeklagten.“

      Der Richter, dessen Auge der allgemeinen Richtung gefolgt war, sammelte sich wieder, lehnte sich in seinem Sitz zurück und hielt sein Auge auf den Mann geheftet, dessen Leben in seiner Hand lag, wie der Herr Generalanwalt aufstand, um den Strick zu drehen, die Axt zu schärfen und die Nägel in das Schaffot zu schlagen.

       Eine Enttäuschung.

      Der Herr Generalanwalt hatte den Geschwornen mitzutheilen, daß der Angeklagte vor ihnen, obgleich jung an Jahren, doch alt sei in den hochverrätherischen Praktiken, wegen deren jetzt das Gesetz seinen Kopf fordere. Daß sein Verkehr mit dem Landesfeinde nicht ein Verkehr von heute oder von gestern oder nur vom vorigen oder vorvorigen Jahre sei. Daß es unzweifelhaft sei, daß der Angeklagte schon seit längerer Zeit als dieser zwischen Frankreich und England in geheimen Geschäften, über die er keine ehrliche Auskunft geben könne, hin- und hergereist sei. Daß, wenn es in der Natur hochverrätherischer Umtriebe liege, zum Ziele zu führen (was glücklicher Weise nie der Fall sei), die wirkliche Boshaftigkeit und Strafbarkeit dieses Unterfangens noch unentdeckt sein könnte. Daß jedoch die Vorsehung es einer Person ohne Furcht und ohne Tadel eingegeben habe, den verbrecherischen Plänen des Angeklagten nachzuspüren und sie, erfüllt von Entsetzen, Sr. Majestät oberstem Staatssecretär und höchst ehrenwerthem Geheimen Rath zu enthüllen. Daß er diesen Patrioten ihnen vorführen werde. Daß seine Stellung und Haltung in der That und im Ganzen erhaben sei. Daß er des Angeklagten Freund gewesen, aber nachdem er in einer glücklichen und einer bösen Stunde seine Niederträchtigkeit entdeckt, beschlossen habe, den Verräther, den er nicht länger an seinem Busen wärmen konnte, auf dem geheiligten Altar des Vaterlandes zu opfern. Daß, wenn in Großbritannien wie im alten Griechenland und Rom Wohlthätern des Gemeinwesens Bildsäulen errichtet würden, dieser ausgezeichnete Bürger sicherlich durch eine geehrt werden würde. Daß dies aber wahrscheinlich nicht der Fall sein würde, da es hier nicht Sitte sei. Daß die Tugend, wie die Dichter sagten (in vielen Stellen, von denen er wüßte, daß die Geschwornen sie Wort für Wort auswendig kännten; worauf die Gesichter der Geschwornen ein Schuldbewußtsein, daß sie kein Wort von den Stellen wüßten, verriethen), gewissermaßen ansteckend sei, vor Allem aber die herrliche Tugend, welche man Patriotismus oder Vaterlandsliebe nenne. Daß das erhabene Beispiel dieses fleckenreinen und untadelhaften Zeugen für die Krone, von dem zu sprechen für Jeden eine Ehre sei, nicht ohne Eindruck auf den Bedienten des Angeklagten geblieben sei und in diesem einen heiligen Entschluß erzeugt habe, die Kästen und Taschen seines Herrn zu durchsuchen und seine Papiere bei Seite zu schaffen. Daß er (der Herr Generalanwalt) auf einen Versuch gefaßt sei, über diesen bewundernswürdigen Bedienten tadelnde und geringschätzende Bemerkungen zu machen; aber daß im Allgemeinen er ihn seinen (des Herrn Generalanwalts) Brüdern und Schwestern vorziehe und ihn mehr als seinen (des Herrn Generalanwalts) Vater und seiner Mutter ehre. Daß er mit Zuversicht die Geschwornen auffordere, dasselbe zu thun. Daß die Aussage dieser beiden Zeugen, verbunden mit den von ihnen entdeckten, schriftlichen Beweisen, die ihnen vorgelegt werden würden, beweisen könnten, daß der Angeklagte im Besitz von Standeslisten der Streitkräfte Sr. Majestät und Nachweisen über ihre Standquartiere und Ausrüstung, sowohl zu Wasser wie zu Lande gewesen, die keinen Zweifel übrig lassen würden, daß er regelmäßig diese Nachweise einer feindlichen Macht mitgetheilt habe. Daß nicht nachgewiesen werden könne, daß diese Schriften von der Hand des Angeklagten seien; daß dies aber ganz gleichgültig sei, oder vielmehr um so besser für die Anklage, da daraus hervorgehe, wie schlau der Angeklagte in seinen Vorsichtsmaßregeln sei. Daß die Beweise fünf Jahre zurückgehen und den Angeklagten mit seinen strafbaren Plänen bereits wenige Wochen vor dem allerersten Gefecht zwischen den englischen Truppen und den Amerikanern beschäftigt zeigen würden. Daß aus diesen Gründen die Geschwornen, als loyale Geschworne (als welche er sie kenne) und als verantwortliche Geschworne (wie sie selbst wüßten) unbedingt den Unglücklichen schuldig finden und mit ihm ein Ende machen müßten, ob sie wollten oder nicht. Daß sie niemals ihr Haupt ruhig auf ihr Kissen legen könnten; daß sie nie den Gedanken ertragen könnten, daß ihre Weiber den Kopf ruhig auf ihre Kissen legten; daß es ihnen niemals in den Sinn kommen könnte, daß ihre Kinder ruhig den Kopf auf das Kissen legten; mit Einem Worte, daß sie und die Ihrigen in Zukunft nie auch nur eine Stunde ruhigen Schlafs genießen würden, wenn dem Angeklagten nicht das Haupt abgeschlagen würde. Diesen Kopf verlangte der Herr Generalanwalt schließlich von ihnen im Namen von Allem mit einem vollen Klange was ihm einfiel, und auf seine feierliche Versicherung hin, daß er den Angeklagten bereits als einen todten Mann betrachte.

      Als der Generalanwalt schwieg, ging ein Gesurre durch den Hof, als ob den Angeklagten, in Vorausahnung dessen, was er bald sein werde, eine Wolke von großen Schmeißfliegen umschwärme. Als es sich wieder legte, erschien der fleckenreine Patriot auf der Zeugenbank.

      Der Generalfiscal verhörte nun nach der Einleitung seines Vorgängers den Patrioten. Name: John Barsad, Gentleman. Die Geschichte seiner reinen Seele war genau so, wie der Herr Generalanwalt sie beschrieben hatte — vielleicht ein Wenig zu umständlich, wenn sie einen Fehler hatte. Nachdem er seinen edlen Busen dieser Bürde entledigt, hätte er sich gern bescheiden zurückgezogen, aber der Herr in der Perrücke mit den Papieren vor sich, der nicht weit von Mr. Lorry saß, wünschte ihm einige Fragen vorzulegen. Der Herr in der Perrücke gegenüber sah immer noch die Decke des Saales an.

      War er vielleicht selbst früher Spion gewesen! Nein, er wies diese niedrige Verleumdung mit Entrüstung zurück. Wovon lebte er? Von seiner Besitzung. Wo seine Besitzung liege? Das könne er so genau nicht sagen. Worin sie bestehe? Das ginge Niemanden Etwas an. Ob er sie geerbt habe? Ja. Von wem? Von einem entfernten Verwandten. Von einem sehr entfernten? Von einem ziemlich entfernten. Jemals im Gefängniß gewesen? Gewiß nicht. Nie im Schuldgefängniß gesessen? Wüßte nicht, daß das hierher gehöre. Nie im Schuldgefängniß gesessen? Sprechen Sie. Niemals? Ja. Wie viele Mal? Zwei oder drei Mal. Nicht fünf oder sechs Mal? Vielleicht. Welchen Standes? Gentleman. Jemals mit Fußtritten regalirt? Wäre vielleicht möglich. Häufig? Nein. Jemals einen Fußtritt bekommen und die Treppe hinuntergeworfen worden? Ganz gewiß nicht; bekam einmal einen Fußtritt oben an der Treppe und fiel aus eigenem Antrieb hinunter. Damals hinuntergeworfen worden, weil er mit falschen Würfeln gespielt? Etwas der Art habe der betrunkene


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