Zwei Städte. Charles Dickens

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Zwei Städte - Charles Dickens


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von dem Schrecken erlöst waren, durch die Fenster von den mit einer Abyssiniens oder Ashanties würdigen sinnlosen Brutalität auf dem Tempelthor aufgesteckten Köpfen beliebäugelt zu werden.

      Aber freilich war damals vom Leben zum Tode bringen ein in allen Gewerben und Ständen, und nicht am Mindesten bei Tellsons, sehr beliebtes Recept. Der Tod ist das Heilmittel der Natur für alle Dinge, und warum nicht auch das der Gesetzgebung? Demnach ward der Fälscher hingerichtet; wer eine falsche Banknote ausgab, wurde hingerichtet; wer einen Brief unrechtmäßig aufbrach, wurde hingerichtet; wer vierzig Schilling und sechs Pence entwendete, wurde hingerichtet; der, dem ein Pferd vor Tellsons Thür zum Halten übergeben worden und der sich damit aus dem Staube machte, wurde hingerichtet; der Falschmünzer, und hatte er nur einen falschen Schilling geprägt, wurde hingerichtet; drei Viertheile von denen, welche die Töne in der ganzen Scala des Verbrechens anschlugen, wurden hingerichtet. Nicht etwa, daß damit im Mindesten dem Verbrechen vorgebeugt wurde — man hätte fast behaupten können, daß das Gegentheil der Fall war — aber man wurde dadurch wenigstens für diese Welt die Mühe und Beschwerde jedes einzelnen Falles los und schnitt jede weitere damit verbundene Sorge ab. So hatten Tellsons in ihrer Zeit, wie andere größere Geschäfte unter ihren Zeitgenossen, so oft dem Halsabschneiden obgelegen, daß, wenn die davon betroffenen Köpfe, anstatt im Stillen beseitigt zu werden, auf dem Tempelthore aufgesteckt worden wären, sie wahrscheinlich das wenige Licht, welches das Erdgeschoß hatte, in einer ziemlich bedeutsamen Weise abgesperrt hätten.

      In allerlei Ställe und unbegreifliche Winkel eingepfercht, besorgten bei Tellsons die ältesten aller Männer das Geschäft mit ernster Würde. Bekam ein junger Mann eine Stelle in Tellsons Londoner Geschäft, so versteckten sie ihn irgendwo, bis er alt wurde. Sie hoben ihn an einem finstern Orte auf, gleich einem Käse, bis er den echten Tellsonduft und -Schimmel bekommen hatte. Erst dann durfte er sich sehen lassen, mit großer Brille über großen Büchern brütend und mit seinen Kniehosen und Gamaschen die allgemeine Würde der Firma erhöhend.

      Vor Tellsons — nie, um keinen Preis darin, außer wenn er gerufen — hatte ein Mann seinen Posten, der als gelegentlicher Ausläufer und zugleich als das lebendige Schild des Hauses diente. Während der Geschäftsstunden war er nie abwesend, außer wenn er ausgeschickt worden, und dann war er durch seinen Sohn vertreten, einen unheimlichen Gnomen von zwölf Jahren, der sein Ebenbild war. Die Leute erzählten sich, daß Tellsons von ihrer Höhe herab den Ausläufer duldeten. Das Haus hatte immer Jemanden dieses Berufs geduldet und der Verlauf der Zeit hatte diesen Mann an die Stelle gebracht. Sein Geburtsname war Cruncher, und als er in kindlicher Unschuld durch Stellvertreter in der ostwärts gelegenen Pfarrkirche von Houndsditch den Werken des Teufels entsagt hatte, hatte man diesem Namen noch den Taufnamen Jerry beigefügt.

      Der Schauplatz war Mr. Crunchers Privatwohnung in Hanging-Sword-alley, Whitefriars; die Zeit halb acht Uhr an einem windigen Maimorgen anno Domini 1780. (Mr. Cruncher nannte das Jahr unseres Herrn immer Anna Domino, offenbar in der Meinung, daß die christliche Zeitrechnung von der Erfindung eines beliebten Spieles durch eine Dame, welche demselben ihren Namen gegeben, beginne.)

      Mr. Crunchers Zimmer lagen in keiner saubern Nachbarschaft und waren blos zwei der Zahl nach, selbst wenn man eine Kammer mit einer einzigen Glasscheibe als eins zählte. Aber sie waren sehr reinlich gehalten. So früh es noch am windigen Maimorgen war, war doch das Zimmer, in welchem er im Bett lag, ganz sauber gefegt; und der schwerfällige, hölzerne Tisch, auf dem die zum Frühstück geordneten Tassen standen, war mit einem sehr reinen, weißen Tuch überbreitet.

      Mr. Cruncher ruhte unter einer Decke von bunten Musterflecken wie ein Harlekin im Schooße seiner Familie. Anfangs schlief er fest, aber allmälig fing er an, sich im Bette herumzuwälzen, bis er sich, das starre Haar so spitz in die Höhe stehend, als ob es die Bettlaken in lauter Streifen zerreißen müßte, langsam erhob. Als er das gethan, rief er im Tone äußerster Entrüstung aus:

      „Verdammt will ich sein, wenn sie’s nicht schon wieder thut!“

      Eine Frau von ordentlichem und sauberm Aussehen stand mit Hast und Aufregung genug, um zu zeigen, daß sie die Gemeinte war, vom Knien in einer Ecke auf.

      „Was!“ sagte Mr. Cruncher, und sah sich nach seinem Stiefel um. „Du thust es schon wieder. — Du?“

      Nachdem er dem Morgen diesen zweiten Gruß geweiht hatte, warf er als dritten einen Stiefel nach der Frau. Es war ein sehr schmutziger Stiefel, der zugleich den Leser mit der merkwürdigen Thatsache aus Mr. Crunchers häuslicher Einrichtung bekannt machen mag, daß er sehr oft nach dem Schluß des Contors mit reinen Stiefeln nach Hause kam und doch, wenn er nächsten Morgen aufstand, dieselben Stiefeln sehr schmutzig vorfand.

      „Na!“ sagte Mr. Cruncher, nachdem er das Ziel verfehlt hatte — „was treibst Du denn eigentlich, Du Teufelscreatur?“

      „Ich sagte nur mein Morgengebet her.“

      „Sagt ihr Morgengebet her. Du bist mir eine Schöne! Was willst Du damit sagen, daß Du Dich hinwirfst und gegen mich betest?“

      „Ich bete nicht gegen Dich, ich bete für Dich.“

      „Das ist nicht wahr. Und wenn es wahr wäre, so ließ ich mir es nicht gefallen. Sieh, Jerry! Deine Mutter ist eine schöne Creatur, wirft sich auf die Knie hin und betet gegen Deines Vaters Glück. Du hast eine gute Mutter, mein Sohn. Du hast eine fromme Mutter, mein Sohn; rutscht auf ihren Knien herum und betet, daß der liebe Gott dem eigenen, einzigen Kinde Brod und Butter aus dem Munde nehmen möge!“

      Der kleine Cruncher, der noch im Hemd war, nahm dies sehr übel und verbat sich sehr ernstlich bei seiner Mutter, daß sie ihm Etwas von seiner Leibesnahrung wegbete.

      „Und was denkst Du denn, Du eingebildetes Geschöpf,“ sagte Mr. Cruncher mit unbewußter Inconsequenz, „was Deine Gebete werth sind? Sag’ mir einmal, wie hoch Du Deine Gebete anschlägst!“

      „Sie kommen nur aus dem Herzen, Jerry. Mehr sind sie nicht werth.“

      „Mehr sind sie nicht werth,“ wiederholte Mr. Cruncher. „Dann sind sie nicht viel werth. Aber mag dem sein, wie ihm wolle, ich sage Dir, ich lasse nicht gegen mich beten. Meine Mittel erlauben mir das nicht. Ich will mich nicht durch Dein Winseln unglücklich machen lassen; wenn Du auf den Knien herumrutschen willst, so thue es für Deinen Mann und Dein Kind, und nicht gegen sie. Hätte ich nur nicht eine unnatürliche Frau und dieser Junge nur nicht eine unnatürliche Mutter, so hätte ich vorige Woche was verdient, anstatt daß mir Dein frommer Firlefanz nur Unglück gebracht hat. Verdammt will ich sein!“ sagte Mr. Cruncher, der sich während dieser ganzen Zeit angezogen hatte, „ob mich nicht theils das Beten, theils das oder jenes verwünschte Ding für die ganze vorige Woche in das ärgste Pech gebracht hat, das jemals ein armer Teufel von einem ehrlichen Gewerbsmann gehabt hat. Jerry, zieh Dich an, Junge, und während ich mir die Stiefeln putze, hab’ ein Auge auf die Mutter und rufe mich, wenn sie wieder Lust zeigt, auf den Knien herumzurutschen. Denn ich sage Dir,“ sprach er weiter zu der Frau gewendet, „ich lasse mir’s in dieser Weise nicht gefallen. Ich bin so zusammengeschüttelt, wie ein Fiakerwagen, ich bin so schläfrig, wie Laudanum, und meine Gliedmaßen sind so überarbeitet, daß ich ohne die Schmerzen darin gar nicht wüßte, welche mir und welche einem Andern gehörten, und doch habe ich deshalb keinen Dreier mehr in der Tasche; und ich will wetten, Du hast vom frühesten Morgen bis zum spätesten Abend Alles gethan, um zu verhindern, daß Etwas in meine Tasche kommt, und ich lasse es mir nicht gefallen, Du Höllenbraten! Und was sagst Du jetzt?“

      Weiter machte sich nun sein Zorn mit halblautem Vorsichhinbrummen Luft. „Ja, ja, jawohl! Und fromm bist Du auch. Du willst Dich dem Wohlergehen Deines Mannes und Kindes widersetzen, Du? Wirklich?“ und mit ähnlichen sarkastischen Aeußerungen widmete sich Mr. Cruncher wieder dem Stiefelputzen und den allgemeinen Vorbereitungen für das Tagesgeschäft. Unterdeß hatte sein Sohn, dessen Haupt mit etwas kleineren eisernen Spitzen besetzt war und dessen junge Augen dicht bei einander standen, wie die seines Vaters, seine Mutter, wie befohlen, wachsam im Auge behalten. Er erschreckte diese arme Frau von Zeit zu Zeit höchlichst dadurch, daß er aus einer Schlafkammer, wo er seine Toilette machte, mit einem unterdrückten Ausruf. „Du willst schon wieder ’rumrutschen, Mutter — heda, Vater!“ herausgeschossen kam


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