Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein

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Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen - Ludwig Bechstein


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was kein Wasser abwusch. Reginald beichtete

       dem Einsiedel seine schwere Schuld, und der hieß ihn

       mit ihm gehen, und führte ihn in die Kapelle, und

       kniete mit ihm am Altare, und betete mit ihm die

       ganze Nacht. Am andern Morgen gebot der Einsiedel

       dem Grafen Reginald von Falkenberg: Wandelt als

       büßender Pilger gen Norden und immer gen Norden,

       bis Ihr keine Erde mehr unter den Füßen habt, dann

       wird Gott Euch durch ein Zeichen offenbaren, was Ihr

       weiter beginnen sollt. Da sprach Reginald kein anderes

       Wort als Amen und verbrannte an der ewigen

       Ampel des Altars Alixens Locke und ging von dannen,

       gen Norden und immer gen Norden, und büßte

       und betete. Und da sind zwei Gestalten mit ihm gegangen,

       eine weiße zu seiner Rechten und eine

       schwarze zu seiner Linken; die zur Rechten bestärkte

       ihn im Büßen und Beten, die zur Linken aber flüsterte

       ihm zu, davon abzulassen und den Freuden der Welt

       zu leben, und so kämpften sie um seine Seele, und

       dieser Kampf, den er im Herzen fühlte und mitkämpfte,

       war seine Buße. So ging er Tage lang, und Wochen

       lang, und Monden lang, bis er am Meere stand

       und kein Erdreich mehr vor sich sah, darauf er seinen

       Fuß hätte setzen können. Aber da fuhr ein Nachen

       heran, da saß einer drin, der winkte Reginald und

       sprach: Exspectamus te! Und das war das Zeichen,

       und Reginald stieg in den Kahn, und die zwei Gestalten

       mit ihm. Und der Mann im Nachen stieß ab und

       fuhr nach einem großen Schiffe hin, das im Meere lag

       und alle Segel aufgespannt hatte und alle Flaggen aufgezogen.

       Da stiegen die drei an Bord, und der Mann

       samt dem Nachen verschwand, und das Schiff segelte

       durch das Meer. Reginald aber ging unter das Verdeck

       des Schiffes, das ganz menschenleer war und

       ohne alle Bemannung; da stand eine Tafel und Stühle,

       und die drei setzten sich, und die schwarze Gestalt

       legte drei beinerne Würfel auf den Tisch und sprach:

       Jetzt wollen wir um deine Seele würfeln bis zum

       Jüngsten Tag.

       Und das tun sie noch heute, ohne Ruder und ohne

       Steuer fährt das Schiff durch den Ozean im Norden,

       zur Nacht webern Flammen auf seinen Masten und

       tanzen auf den Rahen. Seine Segel sind grau wie

       Erde, und seine Flaggen sind fahl wie abgebleichte

       Bänder an Totenkränzen. Sein Bord ist leer, und am

       Steuer steht kein Steuermann. Sein Gang ist Flug, und

       sein Begegnen ist Fluch, Unheil verheißend dem

       Fahrzeug, dem es begegnet. Mancher Schiffer hat es

       schon gesehen, und es hat ihm Grausen erregt. Selbst

       bei Windstille fliegt es wie ein Pfeil über die Meeresglätte.

       Und sie nennen es den fliegenden Holländer.

       131. Sankt Remaclus Fuß zu Spa

       In dem quellenreichen Spa, darinnen mehr denn hundert

       Gesundbrunnen ihre Heilwasser ausströmen, ist

       eine Quelle, die heißt Groesbeeck, die ist ein Jungbrunnen

       und Frauenbad, absonderlich heilsam und

       kräftigend. Nahe dabei ist das Zeichen eines Fußes

       tief in den Boden eingetreten. Einstens kam der heilige

       Remaclus, welcher im Lütticher Lande wohnte, zu

       dieser Quelle und verrichtete allda seine Andacht. Der

       heilige Mann mochte aber ermüdet sein oder sich

       allzu tief in sein Gebet versenken, er schlief ein über

       dem Gebet. Solches hat den lieben Gott in etwas verdrossen,

       und er schuf, daß einer der Füße des heiligen

       Mannes tief in die Erde sank und das Wahrzeichen

       also blieb, daß es nimmermehr wieder ausgefüllt werden

       konnte. Der heilige Remaclus aber fühlte tiefe

       Reue über sein Vergehen und legte sich die strengste

       Buße auf, dies sahe Gott mit Wohlgefallen an und

       schuf der Fußtapfe eine wunderwirkende Kraft. Frauen,

       welche Nachkommenschaft entbehren und Nachkommenschaft

       wünschen, halten in der Kirche des

       heiligen Remaclus zu Spa eine neuntägige Andacht

       und trinken an jedem dieser Tage aus dem Brunnen

       Groesbeeck ein Glas Wasser, indem sie den einen

       Fuß in die Fußtapfe des heiligen Remaclus setzen.

       Vielen hat dort ihr Glaube geholfen.

       132. Die schlafenden Kinder

       Im Lütticher Lande, zu Stockum, lebte ein armes

       Weiblein, eine Wittib mit drei Kindern, kümmerlich,

       denn es war teure Zeit, und sie mußte betteln gehen

       und konnte doch nichts erbitten und erbeten. Da kam

       sie voll Jammer zu ihren drei Kindlein daheim und

       sagte: Weh uns Armen! Die Herzen der Menschen

       sind hart, und Gott hat ihr Ohr verschlossen. Lasset

       uns mitsammen sterben, das ist das Beste für uns

       viere, da hungern wir nicht mehr! – Da die Kinder

       diese Worte vernahmen, begannen sie zu weinen, und

       eines derselben sprach: Ach, liebe Mutter, du wirst

       doch dich und uns nicht schlachten wollen – denn die

       Alte hielt schon das scharfe Messer in der Hand – laß

       uns doch lieber schlafen bis zum Herbst, da gibt es

       wieder Korn und Obst, da lesen wir wieder Ähren mit

       dir und können leben. Da fiel der Mutter das Messer

       aus der Hand, und den Kindern allen dreien fielen die

       Augen zu, und entschliefen, und schliefen und

       schlummerten in einem fort, durch den Winter und

       Frühling und Sommer, und wachten nie nicht auf.

       Viele Menschen kamen herbei aus Lüttich und aus

       Brabant und sahen mit Verwunderung die immer

       schlafenden Kinder, und alle schenkten der armen

       Frau etwas, und davon wurde die arme Frau sehr

       reich. Und als der Monat August kam, da die Sicheln

       der Ährenschnitter im Felde klangen, da wachten die

       Kinder allzumal auf und hatten einmal recht ausgeschlafen,

       lobten Gott und den frommen Heiland mit

       ihrer Mutter und litten nie wieder Mangel.

      


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