Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein
Читать онлайн книгу.Kampf und schwerer Streich. Der Riese war ein starker
Wigand, und wohin er schlug, wuchs kein Gras
mehr. Endlich aber obsiegte ihm dennoch der mannhafte
Held Brabon und schlug ihm erst die rechte
Hand, hernach auch den Kopf ab, und nahm die Hand
und warf sie über den breiten Strom und rief: So weit
ich diese Hand werfe, so weit soll auch dieser Strom
zu dem Lande gehören, das ich mir jetzt erkämpft! –
Und ging, und dankte für seinen Sieg dem Kriegsgotte
Mars, und brachte ihm Opfer in seinem Tempel. Und
die Hand fiel in des Stromes Mitte, und das Land
ward nach dem Helden Brabant geheißen, und die
Hälfte der Schelde gehörte fortan zu Brabant.
Da nun Julius Cäsar aus Britannien zurückkehrte,
kam Brabon zu ihm und erzählte ihm sein Abenteuer
mit dem Riesen Antigonus, den er im Ried an der
Schelde erschlagen. Da lobte ihn der große Feldherr,
und zog mit ihm nach dem Ort, und ließ dort eine
Burg erbauen, und weihte sie und gab ihr und dem
Lande große Rechte und Freiheiten, und machte Brabon
zu einem Markgrafen des römischen Reiches. Der
Ort aber ward von dem Handwerfen Handwerpen genannt
und wuchs und ward groß und mächtig und ist
jetzt die Stadt Antwerpen.
Damals hat Julius Cäsar Turnhout gegründet und
mit großen Freiheiten begabt, und nahe bei Löwen
das Kaiserschloß gebaut. Da er mit dem Helden Brabon
dort auf die Jagd ging, schoß er einen mächtig
großen Adler und nahm das für ein
glückverkündendes Orakel der Götter an. Darum
gründete er an jenem Ort eine neue Kolonie und nann-
te sie Aarschuß, das heutige Aerschot.
138. Herr Lem
Überhaupt gab es in frühen Zeiten in den niedern
Landen gegen das Meer hin gar viele und gewaltige
Riesen und Heunen, die waren aus Britannien gekommen,
von der großen weißen Kreideinsel Albionien,
das nach dem Trojaner Britus seinen spätern Namen
Britannien empfing. Solch ein Riese saß da, wo jetzt
Leiden liegt, der hieß Lem, und bekam einen Sohn,
der hieß auch Lem, und später gründete er eine Stadt,
da wurde er Herr Lem genannt, weil er darinnen als
ein Herr gebot, und die wurde nach ihm genannt, das
ist Harlem. Im Harlemer Walde stand ein Bacchustempel,
und der ganze Wald war diesem Gotte heilig.
Von ihm wird noch ein Kanalgraben bei Harlem
Bakenessergracht genannt, und wo der alte Bacchustempel
stand, steht jetzt die Bakenesserkerk. Des
Riesen Herr Lem Frau hieß Walberech und soll ein
abscheulich großes und starkes Mensch gewesen sein.
Wenn sie von Holland nach England wollte, tat sie
nur einen Schritt. Sie hatte große Pferde und Rinderherden,
die weideten am Ufer der Nordsee, da kam ein
Schiff mit Räubern gefahren, die landeten an und nahmen
das Vieh von der Weide und beluden ihr Schiff
damit, das nicht klein war. Als Walberech kam, nach
ihren Herden zu sehen, waren diese fort, und fern auf
der See schwamm das Schiff, wo die Herden darin
waren. Da trat Walberech in das Wasser, langte hin,
nahm ihre Herde wieder, hing die Ochsen und Kühe
auf die eine Seite, die Pferde auf die andere, und die
Schafe setzte sie auf ihren Kopf, die krochen darauf
herum wie die Schafläuse auf einem Schafkopf. Das
Schiff aber nahm Walberech, hob es hoch und schleuderte
es dann mit Gewalt in das Wasser bis zum
Grunde. Die Räuber fraß Walberech und trank ihr
warmes Blut und ging dann wieder nach Hause.
139. Gangolfs Brunnen
Im Lande Languedoc war ein Graf, Gangolf mit
Namen, der zog gegen die Sarazenen und Vandalen
und kam in Welschland auf ein Blachfeld, wo ein klarer
Brunnen sprang. Dort ließ er sich nieder, und ließ
Gezelte schlagen, und trank mit all seinen Wappnern
aus dem Brunnen, und ließ auch die Tiere tränken. Da
kam des Feldes Eigentümer daher und schalt und
sagte, das sei nicht des Landes Gewohnheit und Sitte,
den Leuten das Gras zu vertreten, und sich ungefragt
niederzulassen, und Menschen und Vieh aus fremden
Brunnen zu tränken. Darauf sprach Gangolf sanftmütig
und freundlich also: Es tut mir leid, mein guter
Herr, daß es geschehen, doch zürnet nicht allzusehr,
wenn es Euch genehm, so kaufe ich Euch den Brunnen
ab. – Das, meinte jener Mann, sei ein Wort, das
sich hören ließe, und lachte in seinem Herzen als ein
Schalk, indem er meinte, den Brunnen möge der
Fremde immerhin kaufen, wenn nur der Platz sein
bliebe, auf dem er quelle. Und heischte des Geldes
nicht allzuviel, und Gangolf zahlte es und hob sich
hinweg mit den Seinen, nachdem er seinen Stab in
den Quell eine Weile gestellt hatte.
Da nun Gangolf wieder in seine Heimat nach der
Grafschaft Burgund kam, stieß er seinen Stab in sei-
nem Hof in den eignen Grund und Boden, da sprang
alsbald ein heller, wasserreicher Quell, und jener
Brunnen, den Gangolf im welschen Lande gekauft,
versiegte auf immerdar.
Diese burgundische Sage würde nicht unter den
deutschen Sagen dieses Buches stehen, wenn sich
nicht von ihr ein auffallender Widerhall, sogar bis auf
den Namen, im östlichen Frankenlande fände.
Am Felsenberge Milseburg im Rhöngebirge
springt der von allem Volke wertgehaltene Gangolfsbrunnen.
Da war ein Heiliger, Gangolf geheißen, der
liebte diesen Berggipfel wegen seiner Einsamkeit und
kam hinab nach Fulda, die uralte Bischofstadt, und
fand bei einem Bürger einen klaren Brunnen, kaufte
den dem Bürger ab, und derselbe meinte wunders, wie
er den frommen