Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein

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Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen - Ludwig Bechstein


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welche letztere sich noch bei der Mutter Leben, mit

       dem Markgrafen Otto dem Langen zu Brandenburg,

       vermählte. Auch die Mutter hatte sehr jung geheiratet

       und reiste in ihrem zweiundvierzigsten Jahre nach

       dem Haag, ihrem Heimatlande. Da habe nun diese

       Gräfin ein armes Frauchen erblickt, das auf jedem

       Arm ein Kindlein trug und sie anbettelte, und die Kin-

       der wären Zwillinge gewesen. Habe die Gräfin gezweifelt,

       daß eine Frau von einem Manne mehr denn

       ein Kind auf einmal empfangen könne, der Armen die

       Gabe geweigert, ja sie verhöhnt und geschmäht. Darüber

       ward die arme Frau kläglich weinend, hob ihre

       Augen gen Himmel und rief: O Herr und Gott, der du

       bist aller Dinge im Himmel und auf Erden mächtig,

       ich bitte dich demütiglich, daß du wollest dieser Gräfin

       so viele Kinder auf einmal in ihren Schoß bescheren,

       als Tage im Jahre sind. Und sei weinend hinweggegangen.

       Und am selben Tage fühlte die Gräfin sich gesegneten

       Leibes und nahm von Stund an zu und wurde so

       stark und so schwer, daß kein Mensch alle sein Lebtage

       dergleichen gesehen hatte. Nun hatte ihr Vater

       ein Haus in Losduinen, da blieb sie wohnen, denn sie

       vermochte nicht nach ihrer neuen Heimat in das Land

       Henneberg zu reisen, und am Charfreitag, als man

       schrieb eintausendzweihundertundsechsundsiebenzig,

       da gebar sie dreihundertundfünfundsechzig Kinder,

       Knäblein und Mägdlein durcheinander, alle ganz ausgebildet

       an allen Gliedern. Die taufte am andern Tage

       der Bischof Otto von Utrecht, ein Ohm der Frau, in

       den zwei Becken (nicht in einem, wie viele sagten und

       schrieben), die noch heute in Losduinen zu sehen

       sind, und nannte die Knäblein Johannes und die

       Mägdlein Elisabeth. Sie starben aber alle bald darauf

       an ihrem Tauftage, am Vorabend des heiligen Osterfestes,

       und die Mutter desgleichen, und wurden miteinander

       in der Klosterkirche begraben. Hernachmals ist

       diese Geschichte in mancherlei Denkversen in deutscher,

       lateinischer und holländischer Sprache auf eine

       Holztafel innerhalb der Kirche zu Losduinen verewigt

       worden, welche vormals links neben der Kanzel hing,

       ein Grabstein aber, dessen in vielen Schriften gedacht

       wird, welche diese Sage mitteilen, ist allda nicht vorhanden.

       Zum Andenken an jene Wundergeburt wurde

       an das Ufer der Maas eine Burg gebaut, welche so

       viele Fenster zählte, als das Jahr Tage hat, und es

       steht auch noch am Eingange des Dorfes Losduinen,

       wenn man vom Haag herkommt, fast vereinzelt ein

       großes Haus, das trägt über der Türe die Inschrift: IN

       DEN HENNENBERG. – Den beiden Taufbecken legt

       das Volk eine wunderbare Kraft noch heute bei und

       hält sie in hohen Ehren. Unfruchtbare Frauen werfen

       stillschweigend nach und nach eine Handvoll Sand an

       die Becken, damit entlocken sie der Mutter Natur den

       erwünschten Segen. –

       Zu Delft in der schönen Hippolytikirche ist auf

       einer Tafel diese Geschichte geschildert, und in der

       Abtei zu Egmont soll ein Grabmal der Gräfin Margaretha

       befindlich sein.

       146. Der ewige Jäger

       Die alten Grafen von Flandern hatten ein Schloß, des

       Namens Wynendael, in dessen Nähe wohnte ein frommer

       Bauersmann, der hatte nur einen einzigen Sohn,

       aber der war nicht fromm und fleißig wie sein alter

       Vater, sondern mit Leib und Seele der Jagd ergeben,

       so daß er gar wenig daheim blieb oder seines Ackers

       wartete, sondern immer nur in den Wäldern herumstreifte,

       und da half kein Bitten und kein Drohen bei

       dem schlimmen Buben. Nun kam der Alte zum Sterben

       und fühlte sein nahes Ende und wollte vom Sohne

       Abschied nehmen und ihm noch eine Ermahnung zurücklassen,

       ließ daher denselben bitten, zu ihm zu

       kommen, aber der Sohn blieb draußen, obgleich er

       des Vaters nach ihm verlangende Worte vernahm,

       nahm sein Jagdgewehr, pfiff seinen Hunden und ging

       hinweg in den Wald. Darüber ergrimmte der sterbende

       Alte und hob die Hände empor in Verzweiflung

       und verfluchte den Sohn mit den Worten: So jage,

       jage, jage in alle Ewigkeit – in alle Ewigkeit – und

       sank zurück und war tot. Und seit dem Tage kam der

       Verfluchte nie mehr nach Hause, in den Wäldern

       hörte man ihn schreien: Jakko! Jakko! Jakko!, als

       Raubvogel hörte man ihn kreischen, als Hund bellen,

       und so muß er es forttreiben bis zum Jüngsten Tage,

       wo nicht noch länger. Erst als um Wynendael allmählich

       die Wälder ausgerottet wurden, verlor sich aus

       dortiger Gegend der Spuk des ewigen Jägers und zog

       sich höher hinauf, wo es noch Wälder gab.

       147. Tückebold Kludde

       In ganz Flandern und Brabant glaubt das Volk an das

       Dasein eines bösen Geistes und nennt ihn Kludde,

       aber auch Kleure. Er spukt überall und in allen Gestalten,

       häufig zeigt er sich dem Mahr verwandt, erscheint

       als altes mageres Pferd mit durchscheinenden

       Rippen und struppiger Mähne, mischt sich unter die

       des Nachts im Freien weidenden Rosse, und wenn

       einer der Hüter meint, er besteige einen der besten

       Hengste, um einen Ritt zu machen, so ist's der Geist

       Kludde in Pferdegestalt, der mit ihm wild davonrennt,

       als jage ihn der helle Teufel, bis er an ein Wasser

       kommt, wo er den verzagenden Reiter hineinwirft.

       Dann fängt der Geist Kludde an zu lachen, daß sich

       entsetzt, wer dies Gelächter hört, und legt sich auf den

       Bauch und wälzt sich vor Lachen, während sein Reiter

       aus dem Wasser- oder Schlammbade sich angstvoll

       herausarbeitet.

       Manchesmal flackern vor dem Kludde zwei blaue

       Flämmchen her, die nennen die Bauern


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