Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein
Читать онлайн книгу.geht die Sage: auf der dürren Linde wird eine Elster
ihr Nest bauen und wird darinnen ausbrüten fünf
weiße Junge. Das wird das Zeichen sein von der Freiheit
Wiederkehr, und dann wird die Linde wieder ausschlagen
und grünen, wie der dürre Birnbaum auf
dem Walserfeld, wann der Kaiser Friedrich hervortritt
und die große Freiheitsiegesschlacht schlägt. Und
dann wird das Dithmarschenland auch wieder zu seiner
Freiheit kommen. – Ein verheißungenreicher Holunder
ist aus der Nortorfer Kirchhofmauer herausgewachsen
und ein anderer in Schenefeld, an welche
Bäume ganz ähnliche Prophezeiungen sich knüpfen.
176. Der wilde Jäger in Dithmarschen
Auch in Dithmarschen kennt man den wilden Jäger,
wie am Rheine, auf dem Harz, in Thüringen, im
Vogtlande und sonst. Also wird vom Freischützen zu
Marne erzählt, daß er ein ziemlich wilder Bauernbursch
gewesen, der die Jagd über alles geliebt, aber,
nachdem er sich verheiratet und ein kleines Gütchen
bewirtschaftete, dieses über der Jägerei vernachlässigt,
mit dem Weidwerk aber gar wenig aufgesteckt
habe. Da ging er einstmals ganz mißmutig durch den
Wald nach Hause, denn er hatte den ganzen Tag noch
keine Krähe und keine Klaue geschossen, siehe, da
ging ein fremder Jagdgesell vor ihm her, der trug ein
schönes Gewehr und eine bauschende Jagdtasche, und
der Bauer mochte ihn gern einholen. Jener aber führte
einen tüchtigen Schritt. Endlich tat der Bauer einen
hellen grellen Jagdpfiff, jener jedoch kehrte sich gar
nicht daran und stand nicht, bis er an einen Kreuzweg
kam, da stand er endlich und erwartete den Bauer, und
war ein ganz feiner, gutgekleideter Gesell. – Ihr habt
wohl besser Glück gehabt als ich, sprach der Bauer
zu ihm. Ich seh's Euerm Jagdranzen an, der ist gut gefüllt.
– Ja, sprach der Fremde, kannst's auch so haben,
kannst Kugeln schießen, die immer treffen, mit deinen
Kugeln triffst du freilich nichts. Guten Weg! – Und
wollte damit weitergehen, aber der Bauer-Jäger hielt
ihn zurück und bat, ihm sein Geheimnis des
Stetstreffens und Niefehlens zu lehren, und versprach
ihm hohen Lohn. Jener aber sprach: Ich will es dir
wohl lehren, du mußt mir aber schwören, keiner lebenden
Seele mein Geheimnis zu verraten, denn tätest
du das, so würde es dir übel ergehen. – Jener schwur
und hob die Hand gen Himmel, da flogen zwei Raben
auf und krächzten und schwirrten um die beiden Männer,
und der fremde Jäger sagte jenem sein Geheimnis.
Sotanes Geheimnis war aber gar entsetzlich, und
der Bauer trug schwer daran, und lastete ihm auf dem
Gemüte, und probierte es nicht, ging lieber gar nicht
mehr hinaus in den Wald, sondern blieb zu Hause,
aber auch da still und träumerisch. Die Frau sah ihres
Mannes Veränderung, und hatte ihr sein Jagdgehen
nicht gefallen, so gefiel ihr sein in sich gekehrtes
Wesen noch viel weniger, und sie drang in ihn, ihr zu
sagen, was ihm denn fehle. Er aber schwieg, sie aber
ließ nicht nach mit Forschen und Fragen, Bitten und
Betteln, bis er endlich ihr vertraute und sprach: Ich
soll, wenn ich will, daß jede meiner Kugeln treffe,
mein Gewehr mit einer geweihten Hostie laden statt
mit einer Kugel, dann im Walde auf einen freien Platz
gehen zur Mittagsstunde, da ein weißes Tuch ausbreiten,
darauf treten und gerade in die Sonne schießen.
Von da an soll jeder meiner Schüsse treffen und des
Wildes nimmer fehlen.
Wohl war das der Frau graulich zu hören, doch allmählich
stillte sich ihr Grauen, und da sie mehr und
mehr in Not, ihr Hauswesen aber in Verfall kam, so
meinte sie, probieren könne er das Kunststück ja doch
einmal, so sehr viel könne es doch nicht auf sich
haben, es sei ein Jägerstücklein wie viele andere, und
wenn es probat sei, wie sie gar nicht glaube, so hülfe
es ihnen aus aller Not, und was ihres Zuredens Worte
mehr waren. Und da dachte er es endlich zu wagen. Er
hatte aber ganz und gar vergessen, daß er seinen
Schwur schon gebrochen und das Geheimnis verplaudert
hatte und daher schon jenem Argen verfallen war.
Nun ging der Jäger zum Abendmahl, empfing die heilige
Hostie, behielt sie im Munde und lud sie dann
heimlich in seine Büchse. Dann tat er alles übrige
nach der Vorschrift, ging noch denselben Sonntag zur
Mittagszeit in den nahen Wald. Die Sonne schien
hell. Der Jäger zielte, er schoß nach der Sonne. Da
verfinsterte sich die Sonne, schwarzes Gewölk fuhr
auf, Blitze flammten, Donner krachten, die zwei
Raben waren da und krächzten und schlugen mit den
Flügeln. Der Entsetzte sprang von seinem Tuche,
bückte sich, wollt' es aufraffen, da waren die Fußtapfen,
wo er gestanden hatte, voll Blut. Er stürzte aus
dem Walde, die Angst brachte ihn fast um – dort
stand sein Haus, das brannte lichterloh – das Wetter
hatte hineingeschlagen, schreiend und heulend stürzten
Weib und Kinder ihm entgegen. Und da war auch
der fremde Jäger wieder da, der höhnte ihn, daß er ein
schlechter Freischütz sei, der das Geheimnis nicht bewahrt
habe. Und nun müsse er bis zum Jüngsten Tage
jagen, Weib und Kinder müßten als Hunde ihn begleiten
– am Tage müsse er bei den zwei Raben im
Walde wohnen und nachts durch die Lüfte hetzen.
Dieses geschah und geschieht noch immer, und die
Leute nennen das den wilden Jäger. Wer ihn hört und
das Wauwau der Hunde nachmacht, dem wirft er
Knochen herab oder Stücke von verfaultem Wild und
Pferden. Einem Mann aus Bornhövede ist das geschehen,
auch einem aus Meinsdorf, die