Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein

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179. Die Unterirdischen

       Das Volk der Unterirdischen und der Glaube an dasselbe

       ist im deutschen Norden und weiter nordwärts

       verbreiteter als irgendwo; es wohnt unter der Erde,

       häufig in den alten Grabhügeln und Hünenbetten; im

       dänischen Schleswig heißt es Biergfolk, Ellefolk,

       Unnervaestöi, Unnerborstöi, auf Sylt Önnererske, auf

       Föhr und Amrum Önnerkänkissen, in Holstein Unnererske,

       Dwarge. Seit undenklichen Zeiten wohnen sie

       im Lande. Die Sage von ihrer Entstehung lautet: Christus

       der Herr wandelte einmal auf Erden und nahte

       einem Hause, darinnen eine Frau wohnte, die hatte

       fünf schöne Kinder und fünf häßliche. Der Häßlichen

       schämte sie sich vor dem hohen Gast und verschloß

       sie schnell im Keller. Wie nun der Herr in das Haus

       kam, sprach er: Frau, lasset Eure Kindlein zu mir

       kommen. Und da brachte die Frau ihre fünf hübschen

       Kinder, daß der Herr sie segne. – Und wo sind Eure

       andern Kinder? fragte der Herr. Andere Kinder hab'

       ich keine, log das Weib. So, sagte der Herr, und legte

       die Hände auf die fünf Kinder und segnete sie und

       sprach: Was drunten ist, soll drunten bleiben, was

       oben ist, soll oben bleiben. – Als der Herr hinweg

       war, lief die Frau in den Keller, ihre häßlichen Kinder

       herauszulassen, aber da waren sie verschwunden. Aus

       ihnen ist das Geschlecht der Unterirdischen entstanden.

       Zahllos sind die Orte, welche das Volk in Schleswig,

       Holstein, Lauenburg, in Jütland und auf den Inseln

       nennt und kennt, wo Unterirdische sich aufhalten

       sollen, und noch viel zahlloser die mannigfaltigen

       Sagen von denselben. Die Önnerkänkissen auf

       Amrum haben ihr Wesen hauptsächlich im

       Fögedshoog bei den Dänen, da laufen sie auf dem

       Wasser Merum Schlittschuhe. Ein Mann ließ sich einfallen,

       ihnen nachzugraben, wie man einem Fuchs

       oder Dachs nachgräbt; da schrie es hinter ihm: Feuer!,

       und wie er umschaute, sah er sein Haus in hellen

       Flammen stehen. Eilends ließ er ab von seiner Gräberei

       und stürzte seinem brennenden Hause zu; als er

       hinkam, war keine Spur einer Flamme. Er war klug

       genug, sich die Lehre zu merken, er grub nicht wieder.

       Die Unterirdischen sollen auch an Gott glauben,

       aber vom Christentum wissen sie nichts, daher gehen

       sie auch nicht zur Seligkeit ein.

       Viele sonderliche Kunst wird den Unterirdischen

       zugeschrieben, besonders sollen sie die Verfertiger

       der so mannigfach geformten Grabtöpfe sein, die in

       Hünengräbern stehen, und von alle dem schönen

       Schmuck und den bronzenen Waffen, die in der Erde

       und häufig selbst in solchen Töpfen gefunden werden.

       Einen solchen Topf zu zerschlagen, bringt kein

       Glück, zeugt auch von geringem Verstand. Mancher

       ist über solchen nutzlosen Frevel ganz von Sinnen gekommen.

       Same, aus solchen Gefäßen gesäet, gedeiht

       besser als anderer, Hühner, aus denselben getränkt,

       werden nicht krank, Milch, in ihnen hingestellt, rahmt

       besser und gibt mehr Butter.

       Wie in Deutschland vom Zwergenvolk die Sagen

       gehen, daß es Kessel und sonstige Geräte leihe, besonders

       zu seinen Hochzeiten und Festen – so findet

       im Norden der umgekehrte Brauch statt, die Bauern

       leihen dergleichen bei den Unterirdischen und geben

       es nach gemachtem Gebrauch mit Speiseresten zurück.

       Was sich die Leute zu Zittau in der Lausitz von

       den in dortiger Gegend hausenden Bergzwergen erzählen,

       daß sie unsichtbar an Hochzeiten der Menschen

       teilnehmen, zwischen den Leuten sitzen und mit

       ihnen essen, das wird auch im Pinnebergischen erzählt

       und im nördlichen Schleswig. Wer den Unterirdischen

       etwas, das ihnen gehört, wegnimmt, erzürnt

       und vertreibt sie. Lärmenden Instrumentenschall können

       die Unterirdischen nicht vertragen, am wenigsten

       aber den Klang der Glocken, der hat sie fast überall

       hinweggetrieben, und dieser Glaube ist übereinstimmend

       in allen Landen.

       Die Unterirdischen holen auch oft irdische Weh-

       frauen hinab zu ihren Wöchnerinnen, belohnen sie

       scheinbar gering, aber wenn sie das Geringfügige,

       Hobelspäne, Sand Asche, Kohlen, Erbsen, Laub und

       dgl., nicht unklug wegwerfen, so verwandelt sich's in

       Gold. Meist werfen sie es aber weg, und bleibt nur ein

       kleines Restchen an der Schürze hängen oder fällt in

       den Schuh, und jene entdecken dann zu spät ihre Torheit,

       und welchen Reichtum sie verworfen.

       Unter dem Landvolke, so weit es noch an die Unterirdischen

       glaubt, herrscht mehr Furcht und Abneigung

       gegen sie als Neigung und Liebe; sie nennen sie

       Untüeg, Unzeug (Gezügk sagen die Thüringer).

       Vom Verkehr der Menschen mit den Unterirdischen,

       von Krieg und Frieden, Gunst und Tücke,

       Raub und Wiederbringung, Gaben, die Glück, Gaben,

       die Unheil bringen, und dergleichen mehr wären allein

       ganze Sagenbücher zu füllen.

       Auch die Wechselbälge sind der Unnereerdschen

       unliebliche Früchte. Letztere stehlen neugeborene

       Menschenkinder vor der Taufe und legen ihre verschrumpfelten

       Hutzelmännchen in die Wiegen. Mancher

       geht umher, und wenn er in den Spiegel guckt,

       weiß er nicht, ob er nicht vielleicht auch ausgetauscht

       worden.

       180. Die Kielkröpfe

       Es gab auch noch andere geisterhafte Wesen von dämonischer

       Art, deren Natur im Guten und Schlimmen,

       doch mehr im letztern, mit der der Unterirdischen verwandt

       ist. Wechselbalg und Kielkropf ist so ziemlich

       Maus wie Mutter. Beide Sorten sind ausgetauschte

       Kinder ohne Gedeihen, von häßlichem Aussehen, die

      


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