Rasante Zeiten - 1985 etc.. Stefan Koenig
Читать онлайн книгу.was sie tatsächlich taten, während ich in ihren Manteltaschen versteckte Aufnahmegeräte vermutet hatte, und ich stellte sie Emma mit den Worten vor, es gehe wahrscheinlich um ein politisches Interview.
Emma entschuldigte sich, die Kinder müssten ins Bett. Eigentlich sei dies mein Part, denn üblicher Weise würde ich ihnen Gute-Nacht-Geschichten erzählen.
Ich hatte nicht den Eindruck, dass diese Botschaft die beiden Beamten erreichte, aber sie machten dennoch ein bemüht-freundliches Gesicht zu unserem abendlichen Familienleben. Dann waren wir alleine.
„Ich weiß nicht, welches Anliegen Sie haben, aber ist es in einer halben Stunde zu erledigen?“, fragte ich, „denn dann strömen hier die Nachbarn ein. Wir haben jeden Mittwoch eine gemütliche Nachbarschaftsrunde.“
„Wir hätten unsere Garderobe nicht ablegen müssen, denn es handelt sich lediglich um zwei Fragen zu Ihrem Mercedes“, sagte Herr Hase, dessen Namen ich natürlich äußerst lustig fand.
Innerlich stöhnte ich erleichtert auf. Daran hätte ich eigentlich als Erstes denken können. Aber die Sache, so relativ frisch sie noch war, war doch bereits abgehakt als eine bürokratische Verwechslung des Kraftfahrtbundesamtes. Ein letzter Zweifel war allerdings geblieben, ob nicht irgendwelche kriminellen Elemente sich zufällig ein gleiches Modell auserwählt hatten, um irgendein krummes Ding zu drehen.
„Die erste Frage wäre, wo Ihr Wagen in den Monaten nach ihrem Umzug von Berlin nach Frankfurt war?“, fragte Herrlinger. Ich war davon überzeugt, dass beide Namen reine Tarnnamen waren.
„Hatten Sie das Auto an jemanden verliehen?“, schob sein Häschen-Kollege eine Frage nach.
Ich musste mir den Standardwitz verkneifen: Konnten Sie das nicht mit Hilfe Ihrer allmächtigen Behörde ermitteln? Oder ist Ihr Name wirklich Hase, und Sie wissen von nichts?
„Weder meine Frau, noch ich haben jemals das Auto verliehen“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Und wo es war?“ Ich grübelte.
„War es immer bei Ihnen oder war es in dieser Zeit vielleicht einmal in einer Werkstatt?“, fragte der kleine Dicke.
Na klar, es war erst vor etwas mehr als einem halben Jahr für eine Woche bei meinem ehemaligen Grundschulkameraden Alois zur Reparatur gewesen. „Ja, der Mercedes hatte eine Inspektion, es musste allerhand repariert werden“, sagte ich.
„Können Sie uns bitte sagen, um welche Werkstatt es sich handelt?“
Ich sagte es ihnen, und dann erzählte ich noch einmal das, was ich bereits der harmlosen Bußgeldstelle mitgeteilt hatte: Meine Frau hatte eine Problemschwangerschaft gehabt. Sie war für vier Wochen im Krankenhaus gewesen. Während dieser Zeit war ich von der Uni freigestellt worden, hatte unsere kleine Karola und meine Eltern versorgt und nur das Fahrrad benutzt. Unser Mercedes stand während der gesamten vier Wochen, die meine Frau im Krankenhaus war, in der Garage. In dieser Zeit kaufte ich gegenüber, in der Seckbacher Landstraße, beim Tante Emma Laden, den die Familie Wagenbach liebevoll führte, ein. Ich brauchte kein Auto in diesen vier Wochen. Ganz einfach.
Doch genau in dieser Zeit war eine Dublette unseres alten Mercedes aufgetaucht und mit einer Frau am Steuer geblitzt worden.
„Wir wissen ja, dass nicht Ihr Wagen geblitzt wurde“, sagte Herr Hase. „Es war eine fast perfekte Dublette.“
„Wer hat denn Interesse, unseren Wagen als Dublette zu fahren?“, fragte ich die beiden Beamten.
Beide sahen sich an, dann antwortete der dickere: „Wissen Sie, es gibt tausend Gründe, weshalb, warum, wieso. Wenn wir das wüssten, dann wären wir nicht hier.“
„Sie sind aber doch kein übliches Kriminalkommissariat. Sie haben es doch mit politisch motivierten Straftaten zu tun, oder täusche ich mich?“
„Sie täuschen sich nicht. Aber wir ermitteln natürlich in alle Richtungen. Im Frankfurter Nordend und in Bornheim gibt es viele Unterstützer der sogenannten Roten Zellen“, sagte der Dicke. Beschwichtigend fügte er hinzu: „Wir wissen, dass Sie nicht dazu gehören.“
„Woher wollen Sie das wissen?“ scherzte ich, obwohl mir nicht zum Scherzen zumute war. Schließlich hatte man mich Jahre zuvor ganz offensichtlich postalisch und telefonisch überwacht – vielleicht sogar persönlich über Bekannte oder Freunde bespitzeln lassen. Und der Grund hierzu? Allein deshalb, weil ich der Bundeswehr entflohen war. Hinzu kam wohl auch der schon erwähnte Versuch, meine Vietnam-Sammlungen zur Beendigung des mörderischen US-Krieges zu kriminalisieren.
Der Staatsschützer ging nicht auf meine Frage ein. „Vielleicht brauchen diese RAF-Nachfolger unauffällige Familienautos in der Hoffnung, nicht aufzufallen. Aber der Zufall deckt dann doch immer wieder einmal etwas auf. Die Dame, die am Steuer der Dublette saß, fuhr einfach zehn Stundenkilometer zu schnell – und schon ist die aufwendig hergerichtete Dublette aufgeflogen. Jetzt ist unser Part herauszufinden, wie die gerade auf Ihren Mercedes gestoßen sind. Deshalb unsere Fragen.“
Der Beamte stand auf, auch Herr Hase erhob sich.
„Sie haben keine Idee dazu?“, fragte mich Herr Hase.
„Keine Spur, meine Herren. Ich bin politisch weit entfernt von diesen sogenannten Feierabend-Terroris-ten.“
»Feierabend-Terroristen« hatten die Behörden und Zeitungen jene Politgangster genannt, die meinen Fast-Schwiegervater, den hessischen Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry, und andere hohe Bundesbeamte ermordet hatten – aber es waren allesamt sehr merkwürdige Morde. Ohne echte Bekennerschreiben. Ohne politisch übliche Pamphlete, ohne theoretisches, bombastisches Rechtfertigungsgebrabbel – außer bei Karry, wo in einer sehr ungewöhnlichen und unglaubwürdigen Weise einige Klugscheißereien zum Besten gegeben worden waren. Merkwürdige Umstände. Merkwürdig mangelhafte Ermittlungen. Merkwürdige Morde mit merkwürdigen Hintergründen. Und dann dieser offiziell benutzte Begriff von „Feierabend-Terroristen“ – das klang so mysteriös verschleiernd wie die immer wieder aus der Klamottenkiste gezogene Einzeltäter-These bei rechtsradikalen Anschlägen und Morden.
Ich nahm die Mäntel der beiden vom Kleiderhaken und reichte sie ihnen.
„Danke, Sie sind der perfekte Gastgeber, aber Sie brauchen uns nicht in den Mantel zu helfen“, sagte der kleine Dicke lachend.
„Das hätte ich allein deshalb nicht gemacht, weil sie sportlich ausschauen“, antwortete ich. Tatsächlich sahen sie wie zwei unsportliche, bürokratische Sesselfurzer aus. Dann fügte ich hinzu, weil es mir tatsächlich erst jetzt einfiel: „Und entschuldigen Sie bitte, dass ich vergessen habe, Ihnen etwas zu trinken anzubieten. Aber Ihr Besuch kam so überraschend, dass ich …“
„Keine Sorge“, sagte der Dicke, „das holen wir jetzt nach.“ Und weg waren sie.
Irgendwie hinterließ der Besuch etwas Menschlich-Normales und doch auch etwas Unheimliches. Natürlich musste ich wieder an meinen aktuellen Lesestoff von George Orwell denken: »1984«. Dazu diese trübe Novemberstimmung. Da war jetzt die Sauna genau der richtige Ort.
*
Die ersten Besucher der Saunarunde kamen einfach herein. Die Tür war wie an jedem Saunaabend nur angelehnt. Ich hatte die Klingel abgestellt, damit die Kinder nicht geweckt wurden. Trotz Großstadt-Trallala hatten wir dieses grenzenlose urbane Vertrauen. Es wurde acht Jahre später heftig erschüttert.
Moni brachte ihren traditionellen Nudel-Salat mit, den ich nicht ausstehen konnte, weil sie ihn regelmäßig mit Mayonnaise überfrachtete. Ihr Mann, Logistiker bei REWE, brachte gebratene Hähnchenteile mit. Gunnar war früher ein Liebhaber knuspriger Hähnchenschenkel gewesen. Wenn er sich daran hörbar erinnerte, tätschelte er – Sigmund Freud ließ grüßen – die Oberschenkel seiner Liebsten. Er beschaffte die Hähnchen bei einem Bauernhof im Vogelsberg, wie er immer aufs Neue zu betonen pflegte. Auch unsere ewig gackernde Moni stammte aus dem Vogelsberg, jenem herrlichen Naturfleck zwischen Gießen und Fulda. Was die Hähnchenbeschaffung betraf, glaubte ich ihm auf‘s Wort. Emma glaubte ihm kein Wort. Dennoch wurde Gunnar sechs Jahre später Prokurist unserer Unternehmen, was wir jetzt