Folter inklusive!. Heike Rau
Читать онлайн книгу.standen wir in der Halle an der Rezeption und hörten, wie Frau Lossenbrink uns erklärte, dass wir das Abendessen verpassen würden, wenn wir nicht gleich im Speisesaal auftauchen würden. Ihr Ton verbat jeden Widerspruch. Und so blieb mir im Halse stecken, was ich auf dem Herzen hatte. Ich hatte nämlich richtige Wut, wegen der lebensgefährlichen Überfahrt und wegen der Kofferschlepperei, ganz zu schweigen von dem blöden alten Tor.
„Ich bringe dann Ihr Gepäck aufs Zimmer“, sagte Herr Lossenbrink und seine liebe Frau hielt uns die Zimmerschlüssel mit spitzen Fingern hin und wies auf die Tür zum Speisesaal.
„Jetzt haben wir endlich mal Glück.“ Ich hielt Stefan den Zimmerschlüssel hin. Auf kleinen Messinganhänger waren die Nummern 13x und 13y eingraviert.
3. Kapitel
Der Speisesaal war sehr altmodisch gestaltet. Wir hatten nichts anderes erwartet. Stefan bestaunte die wunderschöne Holzvertäfelung der Wände. Etwas zu dunkel für meinen Geschmack. Eine kleine nette Gesellschaft hatte an den Tischen Platz genommen und aß bereits. Der Kellner, ein furchtbar dürrer junger Mann mit einer Adlernase, nickte uns im Vorbeilaufen kurz zu. Wir folgten ihm. Ich beugte mich zu Josefine hinunter, um an ihr Ohr zu kommen. „Pass mal auf, der spielt hier bestimmt das Knochengerippe“, flüsterte ich. Sie lächelte. Die Adlernase führte uns in die dunkelste Ecke hinten rechts und wir setzten uns. Da ich gerne Leute beobachte, setzte ich mich so, dass ich alles gut im Blick hatte. Der Kellner stand immer noch an unserem Tisch. Stefan verlangte die Karte, aber die Adlernase rührte sich nicht.
„Viermal das Tagesgericht“, sagte ich, um zu überprüfen, ob er überhaupt etwas hören konnte, aber er warf mir nur einen kurzen Blick zu und zog ab.
Annika starrte ihm nach. „Was bringt der uns denn jetzt? Ob er uns überhaupt was bringt?“
„Wenn er mit Sülze und Sauerkraut kommt, ziehe ich ihm seine Nase lang und ...“
„Stefan! Meine Güte, er wird schon etwas Vernünftiges bringen!“
Josefine sah schon ganz müde aus. „Ob mal jemand Licht machen kann? Ich sehe bald nichts mehr“, sagte sie.
Der Kellner kam mit Spiegelei, Bratkartoffeln und Salat. Ich bat ihn gleich, mal auf den Lichtschalter zu drücken. Während wir uns mit Begeisterung auf das Essen stürzten, ging die Adlernase zur Fensterseite und lockerte ein Seil, das dort befestigt war und ließ mit diesem Seil einen Lüster von der Decke herab. Herr Lossenbrink kam mit einem Feuerzeug und zündete die Kerzen an. „Ist das romantisch“, flüsterte ich mit einem verliebten Blick meinem Mann zu.
„Nur solange du das Ding nicht auf den Kopf kriegst!“
Soviel zum Thema Romantik.
Das Essen war wirklich ganz und gar nicht gruselig. Ich sah mich um. Über mir war ein alter Elchkopf an der Wand angebracht. Ich hoffte, er war gut befestigt, rutschte aber doch mit dem Stuhl ein wenig beiseite, damit er mich wenigstens nicht mit voller Wucht erwischen würde, falls er doch nicht so gut befestigt war.
Ich konzentrierte mich auf die anderen Gäste. Zwei Tische waren noch besetzt. An dem einen saß Mr Bean. Ich stutzte. „Sieh mal Annika, der sieht aus wie Mr Bean!“
Annika verschluckte sich fast. „Der sieht nicht nur so aus, der benimmt sich auch so.“
„Wo ist Mr Bean?“
„Psst, Josefine, nicht so laut. Ich sag das doch nur so“, erklärte ich. Josefine zuckte mit den Schultern und hackte mit ihrer Gabel weiter auf die Bratkartoffeln ein.
An dem anderen Tisch saß eine dicke, weniger gut aussehende, etwas aus der Form geratene Frau mit fettigen Haaren, die vorhin mit Frau Gutbier angesprochen worden war. Sehr hübsch, wirklich! Neben ihr saß ihr Sohn, der etwa 12 Jahre alt sein musste. Sie nannte ihn Ken.
Stefan hatte aufgegessen und strahlte. „Ob wir heute noch ein echtes Gespenst sehen?“
Ich musste ein Gähnen unterdrücken. „Heute nicht mehr, wir suchen unsere Zimmer und gehen schlafen.“
Wir gingen hinaus in die Halle. Auch hier brannten jetzt Kerzenständer und wir hatte Mühe uns an das Licht zu gewöhnen. „Stromspartick“, sagte Stefan.
„Wird uns auch bald so gehen“, sagte ich, „wenn die weiter die Strompreise so in die Höhe jagen.“
Am Empfang war niemand und so mussten wir unsere Zimmer selber suchen.
„Die Treppe rauf!“, sagte Stefan. „Das ist in allen Hotels so.“
„Oh, hier ist es schon, Zimmer 13“, stellte ich fest.
Annika war schon weiter. „Hier ist auch Zimmer 13!“
„Ach so, hier ist 13a und bei dir?“
„13c.“
„Die Zimmer haben alle die Nummer 13. Wir müssen nach den Buchstaben gehen“, stellte ich in einem plötzlichen Anfall von Geistesblitzen fest.
Stefan winkte uns heran. „Wusstet ihr, dass es in vielen Hotels kein Zimmer mit der Nummer 13 gibt, weil da keiner übernachten will?“
„Echt?“, fragte Josefine.
„Ja, keiner will in so ein Zimmer, weil er denkt, es würde Unglück bringen.“
„Wirklich?“ Josefine war noch nicht überzeugt.
Ich schüttelte den Kopf. „Uns macht das nichts aus, für uns ist die 13 eine Glückszahl.“
Da wir Zimmer 13x und 13y hatten, mussten wir also ganz nach oben, fast ganz nach hinten.
Hier stand im Gang nur ein einziger Kerzenständer. Leider hatte ich dummerweise vergessen, mein Nachtsichtgerät einzupacken. Ich machte mir auch Sorgen über die Brandgefahr, wollte aber nichts sagen. Hätte ich doch nur einen Feuerlöscher mitgenommen!
*
Ich schloss die Tür auf und tastete nach dem Lichtschalter. „Ich kann den Lichtschalter nicht finden“, schimpfte ich.
„Vielleicht hinter der Tür“, versorgte mich Stefan mit einem Ratschlag.
Ich wollte hinter die Tür tasten, da spürte ich an den Füßen einen Widerstand. Aber es war zu spät. Ich fuchtelte wild mit den Armen, konnte mich aber nicht halten und klatschte der Länge nach auf die Koffer. „Au! Mist verdammter!!“
Stefan machte sein Feuerzeug an. Er kam und zog mich vom Boden hoch. Hach, diese stahlharten Muskeln. Dann entdeckte er neben der Tür einen Leuchter und zündete ihn an. Nein, er zündete die Kerzen an. Endlich konnte man halbwegs etwas erkennen. Das Gepäck stand mitten im Weg. Stefan half den Kindern darüber zu klettern und schloss die Tür. Musste ja nicht jeder mein wehleidiges Geschrei mitkriegen. Dabei wollte ich nur einen Wasserhahn, um mein Auge zu kühlen. Nicht mit dem Wasserhahn, sondern mit dem Wasser aus dem Wasserhahn.
Zwei Türen waren an der rechten Wand. Eine führte in unser zweites Doppelzimmer, wo Stefan gleich die Tür zum Flur abschloss, damit die Kinder nachts nicht geklaut werden konnten. Die andere ging ins Bad. Stockdunkel. Ich fischte eine Taschenlampe aus meinem Rucksack und leuchtete im Bad vor dem Spiegel herum. „Ach du Schande!“ Mein linkes Auge war blutunterlaufen. Ich machte ein Taschentuch nass und drückte es auf den Bluterguss.
Mittlerweile hatte Stefan die Öllampen auf den Nachttischen angezündet und es sah recht wohnlich aus. Den meisten Raum nahm ein großes Doppelbett ein, dann gab es einen mächtigen uralten Kleiderschrank, in den man keine Kleider tun konnte, da er total nach Mottenkugeln stank. Dann gab es noch ein Bücherregal und einen Kamin, in den man aber auch keine Kleidung legen konnte. Das Zimmer der Kinder war genauso eingerichtet.
„Wo ist denn der Fernseher?“, fragte Annika.
„Mit was soll der gehen? Mit Benzin?“, gab Stefan zur Antwort. „Mama hat keinen Lichtschalter gefunden, also gibt es keinen. Was heißt, dass es keinen Strom gibt.“