Folter inklusive!. Heike Rau

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Folter inklusive! - Heike Rau


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er jetzt?“, Josefine war ganz aufgeregt.

      „Psst“, machten wir anderen.

      Herr Kownazki stellte den Zylinder mit der Öffnung nach oben auf den Tisch und murmelte weiter mit geschlossenen Augen. Dann griff er in den Hut und zog einen Hasen an den Ohren heraus. Begeistert klatschten wir mit dem älteren Ehepaar und der Frau mit dem Kind Beifall.

      Aber Herr Kownazki war noch nicht fertig. Er beendete unsern Applaus mit einer deutlichen Handbewegung. Erneut zog er einen Hasen heraus und noch einen. Jetzt schien er fertig und verneigte sich vor uns. Als ordentlich erzogenes Publikum klatschten wir wieder.

      „Da ist noch einer“, schrie Josefine. Herr Kownazki drehte sich erstaunt um. Tatsächlich, da schauten die Ohren aus dem Hut und zack – war der Hase aus dem Hut herausgesprungen. Und jetzt entwickelte das Ganze eine Eigendynamik. Ein Hase nach dem anderen sprang aus dem Hut auf den Tisch, vom Tisch auf den Stuhl, dann auf den Boden. Herr Kownazki wedelte unbeholfen mit den Händen herum. So war sein Zaubertrick offensichtlich nicht geplant gewesen. Er sprang hin und her und auf und nieder und versuchte dann, den Hut zuzuhalten. Aber immer mehr Hasen drängten hervor. Schnell waren sie überall. Sie rissen die überlange Tischdecke vom Büfett und das schöne Essen fiel auf den Boden. Schon knabberte ein Hase an meinem Schuh und ich fühlte mich veranlasst, auf einen Stuhl zu steigen, um Schlimmeres zu vermeiden. Schließlich kannte ich keinen Schuhmacher. Josefine machte sich solche Gedanken nicht. Sie kniete sich zwischen die Hasen auf den Boden, um sie zu streicheln. Annika machte es mir nach und stieg ebenfalls auf ihren Stuhl. Und Stefan? Der aß einfach weiter.

      Der Kellner mit der Adlernase kam herbeigestürzt. Er warf ein Tuch über den Hut und beförderte ihn in die Küche. Keine Ahnung, was er dort mit dem Hut machte, vielleicht hat er ihn eingemauert. Als er zurückkam, war er jedenfalls total verschwitzt. Seine Adlernase sah aus, als wäre sie gebrochen. Oder zumindest verbogen, sie neigte sich nach rechts. Dennoch baute er einen Weg aus Stühlen bis zur Tür und wir mussten alle darüber balancieren. Ich musste Josefine zwingen mitzugehen. Sie fand die Hasen toll und wollte weiter spielen. Ich packte sie einfach am Arm und zog sie mit. Stefan schimpfte, er hatte seinen Kaffee noch nicht ausgetrunken und ein niedriger Koffeinspiegel im Blut bedeutet schlechte Laune.

      *

      Das Mittagessen fiel dann wegen technischer Schwierigkeiten aus, aber wir hatten alle einen Picknickkorb vor dem Zimmer vorgefunden. Das sollte zur Gewohnheit werden, der Koch entdeckte offenbar, dass er so viel weniger Arbeit hatte.

      Am frühen Nachmittag beschlossen wir, die Gegend zu erkunden. Josefine, die sonst immer so bewegungssüchtig war, wollte nicht mit. Sie benahm sich seltsam seit dem Frühstück. Keine Ahnung, warum sie sich die ganze Zeit in ihrem Bett unter der Decke verkrochen hatte.

      „Es kommt nicht infrage, dass du hier bleibst!“, sagte ich.

      „Ich bin aber müde, ich will wieder in mein Bett!“

      „Du gehst mit! Frische Luft schadet nicht!“

      „Ich will hier bleiben, unbedingt!“

      „Und wenn ein Gespenst kommt?“

      „Gut, ich gehe mit.“

      Na prima. Angst machen als Erziehungsmethode. Ich will nicht in meinem Psychoratgeber nachlesen, was das für die Zukunft meines Kindes bedeutet.

      Das Schloss war von einem riesigen Park umgeben. Wir standen auf dem Hof und überlegten, welche Richtung wir einschlagen wollten, als ein junges Pärchen knutschend die Straße hochkam.

      „Die haben auch kein Geld für normalen Urlaub“, meinte Annika.

      Der junge Mann sah etwas merkwürdig aus, mit Grubenhelm auf dem Kopf und Seil um den Körper, als wollte er den Mount Everest besteigen. Sie war schlank und hübsch und wohl eben einem Modejournal entstiegen. Vielleicht hatte der Typ sie auch aus dem Internet runtergeladen, ausgedruckt und wiederbelebt, konnte man nicht wissen. Allerdings wunderte ich mich etwas über den kleinen Käfig, den sie bei sich trug, weil er leer war.

      Da wir die beiden so anstarrten, kamen sie auf uns zu, um zu verkünden, dass sie Paul und Sabine seien und hofften, hier Fledermäuse fangen zu können.

      „Fledermäuse, hm.“ Ich sah zweifelnd zu den Schlosstürmchen hoch. „Könnte sein.“

      Stefan hatte ganz andere Sorgen. „Seid ihr drüben vom Festland?“, wollte er wissen. „Habt ihr mein Auto gesehen?“

      Sie hatten. Ich machte in Gedanken drei Kreuze in meinen Kalender. Stefan hatte nämlich schon so viel rumgeheult, dass ich Sorge hatte, er würde in einem Anfall von Panik rüber schwimmen und nachsehen.

      So schön beruhigt machten wir uns nun voller Elan auf den Weg, die Insel zu erkunden. Ein kleiner Pfad schlängelte sich vom Schloss weg und wir folgten ihm. Josefine knickte immer mal mit ihrem Oberkörper nach vorne ein. Das sah merkwürdig aus.

      „Hast du was, Josefine?“, fragte ich.

      „Nö.“

      „Hast du Bauchschmerzen?“

      „Mir geht’s gut.“

      Ich drehte mich zu Stefan und flüsterte: „Sie wird doch nicht krank werden?“

      „Ach was, die kaspert nur.“ Er verrenkte sich und zog ein Gesicht, um seine Ansicht zu untermauern.

      Vor uns tauchte jetzt eine Hecke auf: mannshoch und kerzengerade geschnitten. Wir gingen durch die einzige offene Stelle.

      „Das sieht aus, wie der Irrgarten in unserem Freizeitpark“, stellte Annika fest.

      „Das ist toll“, sagte ich, „wollen wir durch?“

      „Ist das weit?“, nörgelte Josefine und kasperte wieder.

      „Wir haben ja wohl Zeit“, behauptete Stefan. „Bis zum Abendbrot dauert es noch.“

      Los ging’s. Vielleicht hatten sie ja hinter jeder Biegung ein Gespenst versteckt. Ich war vorbereitet. Zwischen den Hecken waren breite kiesbestreute Wege. Zuerst gingen wir ziellos rüber und nüber, wieder zurück und hin und her. Wir lachten und redeten und neckten uns. Schließlich waren wir noch nie in einem Irrgarten gewesen, aus dem man nicht wieder herausgefunden hätte.

      Als der Spaß langweilig wurde, fragte Stefan: „Wer weiß, wo es wieder rausgeht?“

      „Ich“, Annika meldete sich.

      „Na, dann geh mal voraus!“

      Wir folgten Annika. Hin und her, zurück und vor, links herum, rechts herum und um die nächste Ecke.

      „Waren wir hier schon?“, fragte sie plötzlich und schaute sich um. Aber hier gab es nichts zu sehen. Die Hecke war zu hoch und viel zu dicht. Da wäre keine Maus durchgekommen, ohne sich an den Dornen aufzuspießen.

      „Ich kann nicht mehr“, meckerte Josefine.

      „Dann kommt mal mit“, sagte Stefan großspurig. „Ich weiß, wo wir sind. Ich habe mir den Himmel genau angesehen.“

      „Was soll das nützen“, zweifelte ich. „Es sind keine Sterne zu sehen.“

      „Ich habe auf die Sonne und die Wolken geachtet.“

      Wir sahen alle nach oben.

      „Es ist keine Sonne mehr da“, stellte Annika fest.

      „Geht mir nicht auf die Nerven“, sagte Stefan in einem Ton, als redete er mit drei Kamelen. Mit drei doofen Kamelen. „Aber was wundere ich mich überhaupt“, fuhr er fort. „Ihr würdet ja nicht mal unser Auto auf dem Supermarktparkplatz finden, wenn ihr mich nicht hättet. Weiber haben einfach keinen Orientierungssinn.“

      „Wir sagen jetzt nichts mehr“, steckte ich zurück. „Wir folgen dir einfach, großer Meister.“ Innerlich kochte ich natürlich. Musste er immer alles besser wissen?

      Wir trotteten eine halbe Stunde hinter Stefan her. Langsam, ganz langsam, kam mir der leise


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