Alles in Blut. Ole R. Börgdahl
Читать онлайн книгу.sich das Telefon. Ich wollte schon über die Freisprechanlage abnehmen, doch es war nur ein kurzes Signal, eine E-Mail oder SMS, also nicht so wichtig, dachte ich sofort. Dann fiel mir Bruckner wieder ein. Ich zügelte meine Neugier, fuhr erst einmal weiter. Ich hatte das ganze Wochenende nicht an ihn und an den unbekannten Toten gedacht. Es ist einfach nicht gut, seine Fälle mit nach Hause zu nehmen, die Familie und überhaupt das Privatleben damit zu belasten. Es ist eine Überlebensstrategie, die ich mir aus meinem früheren Beruf bewahrt habe. Am Wochenende oder nach Feierabend gibt es kein Büro mehr und auch keine Kunden, keine Immobilien, kein Geschäft. Ich überlegte. In New York hatte ich die letzten Jahre zumeist in zweiter Reihe gearbeitet. Die Tatorte wurden von den Spezialisten der Spurensicherung aufgenommen. Wir haben dann das Material, die Ergebnisse, bekommen und alles ausgewertet, die Schlussfolgerungen gezogen, dem Verbrechen ein Profil gegeben. Bruckner suchte auch ein Profil und ich war dabei, ihm zu helfen.
Ich kam an eine Tankstelle, blinkte, fuhr auf den Hof und parkte neben der Staubsaugerstation. Das Display meines Smartphones blinkte. Ich dachte zwei Sekunden nach, dann öffnete ich Bruckners SMS. Ich las den Text. Er ging gar nicht auf das ein, was ich ihm am Freitag geschickt hatte. Er wollte mich einfach nur treffen. Ich rief meinen Terminkalender auf, klickte wieder auf Bruckners SMS und schrieb ihm eine Antwort.
Als ich schon wieder auf der Straße fuhr, wählte ich über die Telefontasten des Lenkrades meine Büronummer. Es klingelte zweimal, bis Frau Sievers abnahm.
»Hallo, Tillman hier, guten Morgen! Habe ich am Vormittag irgendwelche Termine, von denen ich noch nichts weiß?«
»Guten Morgen Herr Halls! Ich müsste nachsehen. Was verstehen Sie unter Vormittag?«
»Ich schaffe es erst um zehn ins Büro«, erklärte ich.
»Warten Sie!« Es vergingen nur ein paar Sekunden, bis sie sich wieder meldete. »Bis zehn könnten Sie im Büro sein?«
»Ja!«
»So weit ich sehen kann«, sagte sie in ihrer ruhigen Art, »steht heute Morgen gar nichts für Sie an.«
»Um so besser«, sagte ich, bedankte mich und legte sofort wieder auf.
An der nächsten Ampel fuhr ich links und machte mich auf den Weg Richtung Altona. Bruckner kannte unseren Treffpunkt ja bereits, die Studentenbude. Ich hatte ihn für halb neun bestellt. Ich schaltete mein Telefon aus. Es würde jetzt an ihm liegen, pünktlich zu sein, oder überhaupt zu erscheinen. Ich wollte meine Zeit nicht verschwenden, wenn er kein richtiges Interesse an einer Zusammenarbeit hatte, oder wenn er mir nicht vertraute.
Ich parkte um fünf Minuten nach halb vor dem Mietshaus, stieg aus dem Wagen, ging gleich hinein und fuhr mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock. Als sich die Türen öffneten, war es wie ein Déjà-vu. Bruckner wartete bereits auf mich.
*
Das Notebook war mit einem UMTS-Stick ausgerüstet. Bruckner hatte alle Unterlagen digitalisiert, die Fotos, die Berichte, die gesamte Akte. Wir hatten darüber hinaus Zugriff auf die polizeilichen Datenbanken und sogar auf das Informationssystem von Europol.
»Und so eine Leitung ist sicher?«, fragte ich ihn.
»Auf jeden Fall sicherer als über Ihre LAN-Verbindung.« Er deutete auf die Buchse in der Wand hinter uns. »Anfragen sind immer möglich«, erklärte er, »wenn die Antwort irgendwie kritisch ist, wird sie vom Polizeiserver entweder gar nicht verschickt oder auf meinem Büroaccount abgelegt.« Er überlegte. »Ich denke wir werden hier schon alles bekommen, es sei denn, wir stoßen auf den Staatsfeind Nummer eins. Bei Ihnen drüben ist die Vernetzung doch wohl noch viel weiter als bei uns, man sieht im Fernsehen immer wie die Officers im Polizeiwagen ein Notebook benutzen?«
»Das ist ja Standard«, antwortete ich. »Da werden aber nur Zulassungskennzeichen abgefragt oder ob eine aufgegriffene Person zur Fahndung ausgeschrieben wurde.«
Bruckner nickte. »So etwas gibt es bei uns nur über Funk.«
»Die computerhakenden Cops findet man aber bei Weitem nicht in jedem Staat. Natürlich in New York und den anderen Metropolen, aber in der Provinz, läuft auch alles über Funk und über das Sheriffoffice.«
Das Notebook gab zwei kurze Pieptöne von sich. Bruckner blickte auf den Bildschirm.
»So, jetzt sind wir online auf der großen Datenbank.« Er sah mich wieder an. »Wir haben hier in Deutschland natürlich auch jede Menge Einwanderer.«
Er tippte etwas in den Computer ein und der Browser öffnete eine neue Seite.
»Das hier ist die Datenbank des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, eine Art Einwanderungsbehörde.«
Ich rückte näher an Bruckner heran und sah auf den Monitor. Die Seite zeigte oben links das typische Behördenlogo mit dem Bundesadler als Bildsymbol und dem obligatorischen Schwarz-Rot-Gold im Hintergrund. Bruckner klickte die Seite weg und öffnete einen Dateiordner.
»Ihre Bilder vom Freitag und die Fingerabdruckdatei des Opfers«, kommentierte Bruckner. »Einen Gebissstatus haben wir ja leider nicht. Der würde uns aber beim Bundesamt für Migration auch nichts nützen, die machen nur Fotos und nehmen Fingerabdrücke und das könnte unsere Chance sein und darum bekommen die auch ein Portrait der Leiche. Ist zwar nicht schön, aber vielleicht hilft es uns ja.«
Bruckner sah mich an und ich nickte.
»Ich werde Ihre Bilder von den Impfnarben und dem Brandmal und auch von diesem russischen Doppeladler mitschicken«, fuhr er fort. »Vielleicht haben wir Glück und wir treffen auf einen pfiffigen Sachbearbeiter.« Bruckner überlegte. »Ist aber recht unwahrscheinlich, dass sich noch jemand an unseren Toten erinnert, er könnte ja schon vor zwanzig Jahren nach Deutschland eingewandert sein.«
»Wenn er überhaupt eingewandert ist«, gab ich zu bedenken. »Der Mann kann auch nur zu Besuch in Hamburg gewesen sein.«
Bruckner zuckte mit den Schultern. »Wir können seine Unterlagen ja nicht gleich den Russen schicken.«
»Das nicht, aber Interpol oder zumindest Europol«, schlug ich vor.
»Das ist richtig, aber das kommt später. Erst müssen wir sehen, ob der Mann nicht doch über Friedland eingewandert ist.«
»Mein Informand, den ich wegen der Impfnarben zurate gezogen habe, war vor zwanzig Jahren selbst im Lager Friedland.«
»Es ist ein Übergangslager«, korrigierte mich Bruckner. »Der Begriff Lager ist wirklich etwas unglücklich, aber irgendwo müssen die Leute ja unterkommen, bevor sie Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland werden und dann natürlich hingehen können, wo sie wollen.« Bruckner sah mich wieder an und zögerte kurz. »Haben Sie eigentlich die Deutsche Staatsbürgerschaft?«
»Ist beantragt«, antwortete ich. »Meine Frau und die Kinder sind natürlich beides, Amis und Deutsche. Das haben wir gleich aus den Staaten mitgebracht. Bei mir kämpfe ich noch mit einem Sachbearbeiter, der darauf besteht, dass es in Deutschland offiziell keine Doppelstaatsangehörigkeit geben darf. Ich versuche gerade klar zu machen, dass ich meine Heimat liebe und Amerikaner bleiben möchte.«
»Und Deutscher werden wollen«, kommentierte Bruckner.
»Ist eben praktischer, auch für die Geschäfte.«
Bruckner nickte, wandte sich dann wieder dem Notebook zu und überlegte kurz.
»So, wo waren wir?«
Er holte die Webseite des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aus der Taskleiste hervor, durchsuchte mit dem Mauszeiger das Menü und öffnete eine Login-Seite. Seine Finger glitten geübt über die Tastatur, während er seinen Benutzernamen eintippte. Dann hielt er inne.
»Scheiß Passwörter! Entschuldigung!«
Er zögerte noch einmal, tippte den Code dann aber ein und bestätigte den Login mit einem kräftigen Schlag auf die Entertaste. Die Sanduhr lief ein paar Sekunden, bis sich eine neue Seite öffnete, die den Titel Kontaktanfrage trug.
»Das ist jetzt nur für