Alles in Blut. Ole R. Börgdahl
Читать онлайн книгу.noch einmal das Fenster, rief die Bild- und Textdateien auf, kopierte alle Files und fügte sie in das Anfrageformular des Bundesamtes ein. Dann verfasste er ein kurzes Anschreiben und verschickte alles mit der Senden-Taste des Formulars.
»So, das ist die deutsche Gründlichkeit.« Bruckner sah auf seine Armbanduhr. »Jetzt ist es fünf vor neun. Nach der Frühstückspause werden die es hoffentlich gleich öffnen.« Er grinste.
»Und was schlagen Sie jetzt vor?«, fragte ich.
»Ja, ich habe den Rechner nicht umsonst mitgebracht«, sagte er. »Die Anfrage eben hätte ich auch vom Büro aus machen können.«
Ich nickte und konnte mir schon denken, worauf er hinauswollte. Er wischte mit dem Finger über das Touchpad des Notebooks, schloss alle geöffneten Fenster und führte den Mauszeiger auf ein Icon, das er mit einem Doppelklick öffnete. Das Logo des Polizeipräsidiums der Freien und Hansestadt Hamburg erschien auf dem Monitor. Bruckner lehnte sich in seinem Sessel zurück.
»Und jetzt?«, fragte er mich.
Ich brauchte nicht lange zu überlegen. »Wie sieht es mit dieser Expertendatenbank aus, kann ich die mal sehen?«
Bruckner nickte und beugte sich wieder über die Tastatur. Er füllte ein Suchfeld aus und bestätigte den Eintrag mit der Entertaste. Nach wenigen Sekunden erschien eine Liste. Bruckner suchte einen Eintrag aus, wieder ein Doppelklick und die ESPE, die Experten- und Spezialistendatei erschien ziemlich unspektakulär auf dem Monitor. Es war ein älteres Programm, eine sogenannte Hostmodulation.
»Was wollen Sie sehen?«
»Mich!«, sagte ich schnell. »Ich will mein Profil sehen und löschen.«
Bruckner lächelte, klickte zu einer Suchmaske und schob mir das Notebook hin. »Kennen Sie Ihren Zugang noch?«
In diesen Dingen war ich sehr genau, auch wenn ich beinahe vergessen hatte, dass ich überhaupt in der Expertendatenbank registriert war. Als Benutzer tippte ich meinen vollständigen Vor- und Nachnamen ein. Das Passwort war einfach: NYPD0511. Am 30. November 2005 hatte ich meinen letzten Arbeitstag beim New York City Police Department. Zum 1. Januar 2006 hatte ich dann in Quantico angefangen. Ein solches Datum vergisst man nicht und eignet sich daher sehr gut für ein Passwort. Ich drückte die Entertaste. Wir mussten eine Zeit lang warten. Als meine Daten schließlich erschienen, brauchte ich nicht lange, um das Programm zu verstehen. Ich unterschrieb virtuell eine Erklärung, dass ich über die im Bundesdienst erhaltenen Informationen schweigen bewahre, oder so ähnlich. Nach zwei weiteren Klicks schloss sich die Datenbank. Ich erhielt noch die Information, dass ich in den nächsten sechs Monaten meinen Account wieder aktivieren könne, danach war eine Neuregistrierung notwendig. Ich schob das Notebook wieder auf Bruckners Seite des Tisches. Er hatte mir die ganze Zeit zugeschaut.
»Aber diesen Fall beenden wir doch noch gemeinsam, oder?«
»Sie sind also überzeugt, dass es eine Lösung gibt?«, fragte ich im Gegenzug.
»Ich habe jetzt so ein Gefühl, das war vorher anders.«
Ich nickte. »Na dann zeigen Sie mir mal, was Sie so zu bieten haben.«
Bruckner bediente wieder das Mousepad, führte ein paar Klicks aus und präsentierte mir das Ergebnis.
»In Ihrer MMS haben Sie geschrieben, dass ich unsere Datenbanken warmlaufen lassen soll. Das können wir jetzt gleich hier erledigen, wie schon mit der Anfrage an die Einwanderungsbehörde.« Bruckner deutete auf den Monitor. »Bei der Auswertung von Verbrechens- und Tatprofilen sind unsere stärksten Waffen die CRIME-Datenbank und das ViCLAS-System. Beide Programme kommen natürlich aus dem Angloamerikanischen. CRIME steht für Criminal Research Investigation Management Software und ViCLAS für Violent Crime Linkage Analysis System. Sind Ihnen die Datenbanken bekannt?«
Ich nickte. »Sie sagen es ja selbst, angloamerikanisch, wobei ViCLAS in Kanada programmiert wurde.«
»Ach wirklich, das wusste ich gar nicht«, erwiderte Bruckner. »Die Programme wurden jedenfalls auf die Bedürfnisse der Deutschen Polizei angepasst.«
»Das mag sein.« Ich überlegte. »Wurden die Datenbanken denn im Zusammenhang mit unserem Todesfall schon einmal befragt, ich meine damals, während der ersten Ermittlung?«
Bruckner schüttelte den Kopf. »Ganz sicher nicht. Vor acht Jahren war das alles noch nicht so etabliert und außerdem gibt es zum Beispiel bei der CRIME-Abfrage detaillierte Protokolle als Datenfile und immer auch als Ausdruck für die Akte. Bei den Unterlagen zu dem Fall habe ich aber nichts von all dem gefunden.« Bruckner zögerte. »Ich darf ehrlich sein, aber so schön die neue Technik auch ist, bezweifle ich, dass sie uns in diesem Fall weiterhilft. Es ist ja keine Serientat, es ging nicht um Drogen, es gab keine Zeugen ...«
»... und keine richtigen Spuren, die zu Spuren aus anderen Fällen führen könnten«, ergänzte ich. »Aber das ist es ja gerade, wenn wir nichts sehen, dann sieht es vielleicht der Computer.«
»Sie meinen, dass man selbst zu subjektiv vorgeht und zu emotional und womöglich Zusammenhänge übersieht, die der Computer nur wegen der objektiven Daten anzeigt, ohne darüber nachzudenken, dass es nach menschlichem Verständnis überhaupt möglich sein kann?«
»Ja, in etwa so. Ich bin auch technikverliebt, gebe ich gerne zu und lasse mich unvoreingenommen überraschen, was der Computer aus einer Sache macht.« Ich deutete auf das Notebook. »Und darum sollten wir jetzt einfach loslegen, ich bin gespannt, was Ihre Programme ausspucken.«
Bruckner lächelte und beugte sich über die Tastatur. Er klickte auf das ViCLAS-Icon und die Startmaske öffnete sich. Nach der Anmeldung auf dem System brauchte das Programm einige Zeit, bis die Autorisierung erfolgte. Ein Bildschirmmenü erschien und Bruckner klickte auf das Icon Erweiterte Suche. Während sich die Eingabemaske öffnete, wandte er sich zu mir.
»Jetzt legen Sie doch mal los.«
Ich schaute über die Eingabefelder, versuchte mich zu orientieren. Es gab acht Rubriken. Es begann mit dem Tatort. Die Eingabe erfolgte über Freitextfelder. Bruckner bemerkte mein Zögern.
»Das ist neu«, erklärte er. »Es werden nicht mehr so viele Fragen gestellt, es geht jetzt um Stichworte, die über eine sogenannte intelligente Volltextsuche verarbeitet werden. Das Programm prüft dann die Logik und schmeißt verifizierte und plausible Ergebnisse zu den einzelnen Bereichsfakten aus.«
Ich sah Bruckner an. »Sie haben wohl alle Computerkurse bei der Polizei besucht und mit Bravour bestanden, was?«
»War das zu kompliziert?«
»Nein, nein, schon klar, Volltextsuche.«
»Mit Eingabekorrektur«, erklärte Bruckner, »das heißt, wenn die Orthografie eines Wortes nicht ...«
»Schon gut, ich habe ja verstanden«, unterbrach ich ihn. »Ich denke nicht so sehr über die Software nach, sondern wie weit wir die Umgebung des Tatortes ausweiten sollten. In welchem Bezirk liegt das Hotel?«
»Wandsbek!«
Ich zog mir das Notebook ganz herüber, schrieb Bruckners Antwort in das erste freie Feld.
»Und welcher Stadtteil?«
»Bramfeld! Sie können es ins gleiche Feld schreiben und durch ein Semikolon trennen. Mit dem Semikolon werden beide Einträge für die Suche berücksichtigt. Wenn Sie die Begriffe mit einem Plus verbinden, erhalten Sie nur Treffer, in denen beides vertreten ist.«
»Dann reicht aber der Stadtteil«, folgerte ich, »weil er ja eine Untermenge des Bezirks ist.«
Bruckner überlegte kurz und nickte dann.
Ich löschte den Namen des Bezirks wieder, klickte mit dem Mauszeiger auf die Schaltfläche Suchen und wandte mich zu Bruckner.
»So! Wollen mal sehen, was in dem Stadtteil so los war.«
Bruckner sah mich an. »Sie haben nur den Stadtteil als Suchbegriff eingegeben.« Er schüttelte den Kopf, stand auf und ging zur Küchenecke. »Das kann jetzt dauern, da bleibt Zeit