Die blaue Barriere. Helmut H. Schulz

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Die blaue Barriere - Helmut H. Schulz


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Ich hatte auch keinen mehr erwartet, eher hätte sie mich über Funk grüßen lassen. Darüber nachzudenken, mir einen Kopf zu machen, dazu kam ich nicht. Wir bekamen alle Hände voll zu tun. Stunde um Stunde saß Clem im Jagdsitz und beobachtete das LUPO. Endlich verdickte sich das Echo zu dem typischen pfahlartigen Zeichen auf dem Bildschirm, wurde mächtiger, wuchs in die Breite zu einer dicken Säule.

      "Man", sagte Clem, "na, das isses doch! Maschine stopp!" Und zu mir: "Ole, geh mit raus!" Der Trawler verlor schnell an Fahrt voraus.

      Ich ging aufs Fangdeck und half dem Bestmann, gab ihm die Lose der Codleine, und wir machten den Steertknoten, eine der wichtigsten Sachen beim Netzaussetzen. Der hier sah ganz gut aus. Bei Richard konnte man diesen Knoten lernen.

      "Let go!"

      Die Winden kreischten, und die Kurrleinen fielen lose; gewaltige Maschenberge versanken, von Netzgewichten gezogen, polternd im Meer. Für eine Weile trat Ruhe ein. Stampfend schleppte der Trawler volle Fahrt voraus das riesige Netz, an die 150 Meter pro Minute ...

      Einstweilen wurde ich hier nicht gebraucht und ging auf die Brücke zurück. Atemlos vor Spannung hockte Clem am LUPO, den Netzsondenschreiber beobachtend. Ein Laie hätte nicht viel gesehen, nichts von der sanften Tragödie der Fische dort unten in der Meerestiefe. Dicht bei dicht drängten sie in das weit sperrende Netzmaul.

      Es lag bei Clem, wie viel in das Netz ging. Ich bin immer der Ansicht gewesen, dass zu dieser Fangart eine bestimmte Einstellung gehört. Auf der Brücke herrschte Stille, kaum ein Kommando fiel.

      Ich dachte an unser Gerede ein paar Wochen davor im Restaurant. Allens Tün und Blahm und vergessen beim Fang. Was mich betrifft, vor dem Echogramm kriege ich so was wie Schuldgefühle. Vielleicht ist da ein Rest Urmensch in mir, der sich gegen die Idee wehrt, alles ist erlaubt, wenn es machbar ist. Vielleicht ist Richard aus einem ähnlichen Grund bei der Bergungsflotte. Wir fangen mit, wir hangen mit. Es wäre mir schon wichtig gewesen, zu wissen, was Clem darüber dachte. Er schien mir wie besessen vom Fangfieber, und eigentlich ist er der einzige Mann an Bord, der primär was mit dem Fang zu tun hat. Von ihm hängt alles ab. Die Fischer da draußen drücken nur noch Knöpfe, legen Hebel um, geben Kraft auf Winschen, arbeiten zu. Aber mit dem Fang haben sie wenig zu tun. Darin gleichen sie den U-Bootmännern, die dem Kapitän das Boot nur zu stellen haben, damit er zum Schuss kommt.

      Wie ich Clemens Gib so dasitzen sah, kalte Wut oder richtiger Gier in den Augen, in den Steert lotsend, was reingehen wollte, da kam mir der Gedanke, dass wir das Ende erreicht hätten, auch wenn die nächste Generation Fischer noch mehr fängt, wenn sie den Meeresboden abschürft bis auf den letzten winzigen Fisch. "Schluss", sagte er endlich. "Maschine stopp!" Bald lag das Schiff ohne Fahrt voraus. Wir gingen zusammen raus.

      "Hiev up!"

      Meter um Meter kam hoch, was unten gewesen. Scherbretter und die Aufschwimmkörper, das ganze Vorgeschirr, zweihundert Meter Vornetz lagen in der Rutsche. Die Gienwind schleppte weiter. Dann zeigte uns der Bestmann sechs Finger, das hieß, sechshundert Korb Fisch sind im Steert. Korb ist ein altes Fischermaß, dreißig Tonnen nach neuem Gewicht.

      "Fischbunker auf!"

      Auf Clems Befehl riss der Bestmann die Codleine auf.

      Tonne um Tonne lebendiges Gut rutschte kollernd in die Bunker. Fisch, klein, groß, Kabeljau, aber auch viel Beifang.

      "Können wir doch endlich mal zufrieden sein", sagte Clem. "Netz zum Aussetzen fertig machen!"

      So ging es weiter ...

      Ende Februar werden die Tage im Norden spürbar länger, je näher wir dem Äquinoktial kamen. Am ersten großen Fangtag hatten wir viermal das Netz in die blaue Tiefe des Ozeans versenkt. Die Nacht fiel ein, und die Basis riet, die Nacht über still zu liegen, das Fanggeschirr zu verklaren, wo nötig und auszuruhen. Ich ging frische Luft schnappen ...

      Auf dem Fangdeck waren alle Scheinwerfer angestellt.

      Grell wie eine Theaterkulisse waren die Rutsche, das Geschirr und Gewirr auf dem Deck angestrahlt. In dieses Wuhling mussten der Bestmann und ein paar Deckhands Ordnung bringen. Im Gegensatz zur Wärme des Tages herrschte jetzt leichter Frost. Ich lehnte mich an das Schanzkleid, rauchte und sah zu, wie sie Trossen aufwickelten, Tauwerk aufschossen. Der Bestmann war ganz gut, ein echter Treiber, hätte Richard sein können.

      Ich grinste, wozu heißt er sonst Bestmann? Seine Leute hatten noch manches zu lernen ...

      Plötzlich gingen schlagartig alle Scheinwerfer aus. Irgendwas wurde durchs Mikrofon gebrüllt, das sich anhörte wie: "Funker auf Brücke!" Erst als mein Name gerufen wurde, begriff ich, dass ich gemeint war, und schob ab. Alle Offiziere standen auf der Brücke und sahen mich erwartungsvoll an.

      "Die haben einen Stander in die Schraube gekriegt", sagte Clem, gelb angelaufen. Er wiederholte den Satz, als könne er den Sinn nicht ganz begreifen. Mir musste keiner was erzählen. Ich konnte die Havarie förmlich mit Händen greifen, den driftenden Steert, der verfehlt wurde, nicht aufgefischt werden konnte, weiß der Düwel warum, und der sachte man sachte, wie ein vom Magneten angezogenes Eisen auf die Schrauben am Heck zuwanderte. Zwanzig Tonnen Fisch legen sich um die übermannshohen Flügel der Schrauben. Bei Maschinenfahrt wird aus dem Fischbrei Beton.

      "Wir brechen ab", sagte Clem sachlich, mühsam beherrscht, wie mir schien. "Die ganze Flotte unterbricht den Fang."

      "Was jetzt noch fehlt, das ist ...", begann der Steuermann. "Hier weiß jeder, was jetzt noch fehlt", sagte Clem zu seinem B 5. "Nun, ich denke, wir werden den einen Tag Unterbrechung bald wieder reingeholt haben. Hier steht der Fisch ja dick. Gut, jeder auf seiner Station!"

      Clem setzte sich zu mir. Funkstille. Wir hielten den entsprechenden Kanal frei. Es geschah, was hundertmal geübt wird.

      Noch in der Nacht hielt Clemens Gib eine Versammlung ab und machte die Mannschaft mit der Lage bekannt. Er sagte, dass die ATLANTIK einen Steert in die Schraube gekriegt habe, weshalb die gesamte Flotte den Fang abbrechen müsste, um in Wartestellung auf die Position des Verarbeiters zu gehen oder zu bleiben, bis die Gefahr vorüber sei. Das werde nicht lange dauern. Ansonsten wie gewöhnlich: Keine Panik auf der Titanic. Dann schickte er alle Freiwachen in die Kojen ...

      Durch die Brückenfenster konnten wir die Sterne des Nordhimmels wie an einem tiefschwarzen samtenen Vorhang aufleuchten sehen. Die Wolkendecke riss in langen Bahnen auf. Der Wind kam aus Nordwest und nahm stündlich an Stärke zu. Ich notierte die Werte des stetig sinkenden Barometers. Gegen Mitternacht hatte es seinen Tiefstand und der Wind Orkanstärke erreicht. Trotz alle Kraft voraus machten wir kaum noch Fahrt. Clem ließ für einen kurzen Augenblick die Scheinwerfer anstellen. Sie beleuchteten ein dick mit Eis überzogenes Schiff. Das sah schön aus, stellte aber eine zusätzliche Last für das schwer arbeitende Schiff dar.

      Der Nautische sagte: "Wie die das Wetter auf der ATLANTIK durchstehen ..."

      Clem nahm endlich einmal seine rote Wollmütze mit dem angenähten Klunker ab. Auf seiner spiegelnden Glatze standen Schweißtropfen. Sie rannen ihm über die Stirn und verfingen sich in dem dunklen Gestrüpp seiner Brauen.

      "Vielleicht haben die ihre Schraube längst klar gekriegt", sagte er.

      Aber alle auf der Brücke wussten, dass in diesem Falle die Aktion abgeblasen worden wäre. Dazu sind die großen Fangtage zu selten. Fischzug ist alle Tage, aber nicht alle Tage Fangtag. Richards Weisheit. Dann setzte ich einen Funkspruch an einen der anderen Z-Trawler ab.

      "Na", sagte Clem mit verhaltener Spannung. "Was wissen die?"

      "Schlechte Nachrichten, sehr schlechte. Die ATLANTIK liegt am Rande der Eisdrift."

      Gegen Morgen erreichten wir die Havarieposition. Einige der näher am Schiffsort liegenden Trawler und Z-Trawler dümpelten untätig am Rande des riesigen weißen Feldes ohne Struktur. Es bestand aus Eistrümmern und Gletscherbruchteilen und verdichtete sich unter dem Eigengewicht des Eises und der Strömung langsam zu einem festen Block. Nach und nach versammelten sich die Schiffe der Flotte. Es war diesig, ein widerwärtiger eiskalter Dunst, Regen- und Eisschauer herrschten nach dem schweren, aber kurzen nächtlichen Orkan. Die Windstille bedrückte. Es schien


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