Die blaue Barriere. Helmut H. Schulz

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Die blaue Barriere - Helmut H. Schulz


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diesem Punkt waren sich die Doktoren einig. Was Orkan und Eisgang nicht vermocht hatten, das brachten sie innerhalb weniger Wochen fertig. Meine eigene Mutter erkannte mich nicht wieder.

      Sie saß an meinem Bett, ließ ihre schweren Augendeckel langsam herunter und hinauf und befühlte meinen Arm. Der Gips war runter, mein Arm operiert und bloß noch verbunden.

      Sie fragte nach dem Zweck der Operation, da es sich doch nur um einen Bruch gehandelt habe, und ich sagte, die Sehnen und Nerven hätten geflickt werden müssen.

      "Das hätte ich nicht machen lassen", sagte Mutter missbilligend.

      Mein Fall brachte sie auf allerlei Geschichten über Unfälle anderer Leute. Was sie amüsierte, erzählte sie stets in Plattdeutsch.

      "Wi sitten da bisamm bi Magows, un ick guck nachn Haben, da buten is dat as swart as de Nacht. Na, segg ick to min Möddersch, Tört und Schlagsahn, dat is nu vörbi. Nix wi to Hus. Magows wiern ja woll ook to Bed gahn, up mal wierd dat düster. Wat denkst du, Ole? Is dat Dach up dat Hus fallen un nix passiert!"

      Da hielt ich es für angezeigt, ihr von Melitta zu erzählen, ohne die Kinder zu erwähnen.

      "Ach", sagte Mutter verblasen, "wo kann man das Mädchen denn sehen?"

      "Im Gerichtssaal."

      Nachdenklich erwiderte sie, es sei eben schwer, in einem Lande redlich zu bleiben, wo alles durch Gesetze geregelt werde.

      Ich winkte mit der gesunden Linken ab. "Was hat sie denn angestellt?", fragte Mutter.

      "Sie hat nichts angestellt. Sie ist Richter."

      "Ach? Richter? Ein Mädchen?" Sie ließ eine Pause eintreten.

      Gespannt studierte ich ihr langes energisches Gesicht, erwartete noch andere Fragen, aber Mutter sagte nach einer Weile: "Du solltest dich mit Imke wieder vertragen, Olaf. Du hast doch einen großen Sohn."

      Das war alles, was ich zu dem Fall Melitta von Mutter zu hören bekam.

      Ich sagte so etwa, nu lass das mal Mutter, wir sind jahrelang auseinander, der Junge ist groß, ich muss ja auch mal zur Ruhe kommen, und schließlich hast du das deine getan, um uns auseinanderzubringen, jetzt ist das allens zu spät.

      "Heute denk ich eben anders darüber", sagte sie.

      Ich drehte mich zur Seite, wie man sich zur Seite drehen kann mit einem verbundenen Arm. Meine Mutter ging.

      Später schickte sie dann überraschend die Einladung, Melitta mit eingeschlossen, der wir jetzt nachgekommen waren.

      Wir hätten den Urlaub besser zu Hause verbringen sollen. Das wurde mir klar, als wir ins Wohnzimmer traten. Hinter dem nur für drei Personen gedeckten Tisch, einem ovalen Vehikel mit gedrechselten Beinen, stand unser altes Sofa mit einem Aufbau darüber. An den Wänden hingen Ölbilder. Segelschiffe waren darauf mit sorgfältig ausgepinselter Takelage, kabbeliger See und großen leserlichen Schriftzügen, dem Namen des Eigners, dem Baujahr, alles weniger kunstfertig als peinlich genau gemalt. Auf Kunst legte meine Mutter auch keinen Wert. Zu den Bildern stand sie in sachlicher Beziehung, sei es, dass sie den Eigner gekannt, sei es, dass ein Mitglied ihrer weitverzweigten Familie einen Part an dem betreffenden Schiff besessen hatte. Beinahe bis zur Jahrhundertwende war den Frachtenseglern noch eine kurze Zeit beschieden gewesen; daran hatten die Johannsens ihren Anteil gehabt.

      In dem Vertiko befand sich eine Sammlung exotischer Kinkerlitzchen, für welche alle Seeleute eine Schwäche haben. Lackschachteln, Sandelholzfächer, die nie ein Mensch im Norden gebrauchte, Ketten aus Korallenstücken, Muscheln, präparierte Fische. Das Prunkstück der Sammlung aber war eine meterhohe Vase aus Muscheln, ein wahres Monstrum. Auch die Buddelschiffe fehlten nicht. Neben der alten Standuhr mit den riesigen Messinggewichten hing das Patent meines Vaters, vergilbt und gerade noch lesbar.

      Für mich waren es Familienerinnerungen, überschattet durch andere Erfahrungen im Beruf wie im Leben. Die Bilder und Sammlungen interessierten mich auch genau nur so viel, als sie Erinnerung waren. Für Mutter war alles noch Gegenwart.

      Torsten betrachtete den Trödel mit großen Augen, auch Anna musterte verstohlen die ihr neue Umgebung. Befriedigt von der Wirkung ihres Museums, versprach Mutter den Kindern, ihnen bei Gelegenheit alles zu zeigen. "Jedes Stück da hat seine Geschichte", behauptete sie.

      "Leider bringen meine Söhne heute gar nichts mehr mit."

      "Richard lässt dich immerhin grüßen", sagte ich, "er will sich mal blicken lassen, während wir hier sind."

      "Er will sich schon ein halbes Jahr lang blicken lassen", sagte Mutter, "nämlich wegen dieses Hauses. So bald kriegt er mich aber hier nicht raus, es sei denn mit den Füßen zuerst." Und mit einem schlauen Blick zu Melitta: "Fürchtet ihr euch allein mit mir? Soll er deshalb herkommen?" Trocken sagte sie: "Ich kenne meine Söhne. Kaum erwachsen, machten sie sich davon."

      "Wegen des Hauses?", fragte ich. "Was heißt das denn?"

      "Das lass dir man von ihm selber vertellen." Mutter schüttete Kaffeebohnen in eine Handmühle; ihre großen harten Hände drehten mühelos die Kurbel. Ich bemerkte, dass Torsten aufmerksam zusah; sicher hatte er noch nie eine Handmühle in Betrieb gesehen.

      "Kommt das Geld richtig an, das ich dir schicke?"

      "Wie soll es nicht ankommen", sagte Mutter. "Weshalb fragst du?"

      "Weil ich nie was davon höre", sagte ich.

      "Soll ich mich für jeden Groschen bei dir bedanken, Ole?", fragte sie. "Übrigens brauchst du mir gar nichts zu schicken. Ich komme auch ohne das aus, und du wirst ja jetzt zu knabbern haben."

      "Wieso? Wieso sollte ich zu knabbern haben?"

      "Na, ich habe jedenfalls, was ich brauche, und werde keinem von euch zur Last fallen."

      Sie goss heißes Wasser auf den Kaffee in ihrer alten blau gemusterten Kanne, schnitt Kuchen auf und verteilte die Stücke auf unsere Teller.

      "Wo sollen wir schlafen?", fragte ich.

      "Oben, wo sonst? Ich habe mit zwei Personen gerechnet, nicht mit vier. Bettwäsche habt ihr mit? Ihr müsst sehen, wie ihr zurechtkommt."

      Beim Auspacken in den Kammern schlug ich vor, wieder abzureisen, ich tat es Melittas wegen. Sie setzte sich auf das bezogene Bett und machte ein nachdenkliches Gesicht.

      "Wir werden sehen", sagte sie entschlossen, "abreisen können wir immer noch. Die Kinder haben sich auf den Ausklang ihrer Ferien an der See gefreut. Ich habe nicht erwartet, mit offenen Armen aufgenommen zu werden, und du hättest ihr natürlich von den Kindern erzählen müssen. So geht es ja wirklich nicht."

      "Anders wäre es noch weniger gegangen", sagte ich, "ich kenne meine Mutter und die drei Wochen können uns sehr lang werden."

      "Also, abgemacht, bleiben wir?", fragte Melitta.

      "Einverstanden, solange du es aushältst."

      5

      Ich hatte das Gefühl, irgend was stimme mit dieser Reise nicht, obwohl alles wie gewohnt verlief. Das Wetter entsprach der Jahreszeit in dieser arktisnahen Breite. Tagelang umgaben uns dichte Nebel, dann wieder trieb der Sturm die grauen Schleier auseinander. In Grönland und in Kanada herrschten, den Wettermeldungen nach, strenge Fröste. Ende Januar fischten wir zusammen mit anderen in der Labradorsee, westlich von Kap Farvel, aber wir fingen eher mäßig als gut. Über Radio Fangplatz tauschte zur regelmäßigen Programmzeit der Instrukteurkapitän auf dem Basis-Pott mit seinen Trawlerführern Gedanken aus. Viel war da nicht auszutauschen ...

      Bei Gelegenheit nahm ich Clems Stelle am Jagdsitz ein. Träge schrieb der Zeiger seine Striche; bis hinunter zum Meeresgrund eine schöne Öde. Stumpfsinnig glotzte der B 5, der Erste Offizier, unser Nautiker, dem Rudergänger über die Schulter. Flaue Stimmung auf der Brücke. Clem besah sich das Echogramm und seufzte.

      Aber diese Dinge hatten mit meinem Vorgefühl nichts zu tun. Ich tat meine Arbeit, Clem


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