Limit up - Sieben Jahre schwerelos. Uwe Woitzig

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Limit up - Sieben Jahre schwerelos - Uwe Woitzig


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Und wie alle Menschen, die nicht geben können, konnte er auch nicht annehmen. Einen weiteren Beweis hierfür brachte folgendes Erlebnis:

      Ein ehemaliger Knastbruder, der CSU Landrat gewesen war und einen großen Bauernhof in Niederbayern besaß, hatte sich nach dem Mauerfall einen Landwirtschaftlichen Produktionsbetrieb (LPG) in der ehemaligen DDR gekauft. Jetzt brauchte er dringend Geld, um Umbauten vorzunehmen und die veralteten Gebäude zu modernisieren. Er wandte sich deswegen an mich. Er schlug eine Wechselfinanzierung vor und gab mir einen Wechsel über 500.000,- DM. Jamie hatte eine exzellente Beziehung zu einer Bank in Innsbruck, die prinzipiell bereit war, den Wechsel zu finanzieren. Jamies Kontaktperson war der Sprecher des Vorstandes der Bank. Ein typischer Frühstücksdirektor, der vom eigentlichen Bankgeschäft fast keine Ahnung hatte, wie ich schnell feststellte. Ich gab ihm den Wechsel und er sagte mir zu, die Angelegenheit wohlwollend zu überprüfen. Nach einigen Tagen rief er mich an und meinte, es gehe in Ordnung. Sie würden den Wechsel finanzieren. Das Geld stünde nach Unterzeichnung des Kreditvertrages zur Verfügung.

      Ich informierte meinen Knastbruder. Der reiste nach Innsbruck und unterschrieb die Verträge. Tatsächlich konnte er am nächsten Tag über die fünfhunderttausend DM verfügen, was er auch sofort tat. Er zahlte mir meine Provision, die ich mit Jamie teilte. Damit war die Geschichte für mich erledigt. Dachte ich.

      Einige Monate später wurde der Banker gefeuert. Eine Innenrevision der Bank hatte einige „Unregelmäßigkeiten“ festgestellt. Konsequenz war, dass sie alle von ihm abgeschlossenen Kreditgeschäfte rück abwickelten. So auch das mit meinem Knastbruder. Er rief mich an und teilte mir mit, dass sie ihm den Kredit gekündigt hätten. Er solle die halbe Million in einem halben Jahr zurückzahlen, was unmöglich für ihn war.

       Nun war das in Wirklichkeit alles nicht mein Problem. Doch dummerweise gab es da noch Jamie. Der hatte nämlich seine GEMA-Rechte bei der Bank deponiert und erhielt dafür einen hohen Dispo-Kredit eingeräumt.

      Jetzt drohten sie ihm, für den angeblich von ihm der Bank vermittelten Kredit meines Knastbruders seine Rechte als Sicherheit herzunehmen und seinen eigenen Kredit fällig zu stellen. Eine rechtlich äußerst fragwürdige Angelegenheit, denn Jamie hatte lediglich über mich den Kontakt zu dem LPG-Eigentümer hergestellt.

      Das Nervenbündel Jamie rastete aber völlig aus, als er das Schreiben der Bank las, in dem sie ihm das mitteilten. Postwendend setzte er sich in seinen Porsche und düste mit Höchstgeschwindigkeit zu mir. Als ich ihm die Tür öffnete, jammerte er sofort mit Tränen in den Augen los, dass er schon wieder von einer Bank herein gelegt würde. Und ich sei schuld, weil ich ihn in das windige Geschäft hineingezogen hätte. Ich müsse ihm da wieder heraushelfen, sonst bringe er sich um. Die GEMA-Rechte seien seine allerletzte Reserve, wenn die auch noch weg wären, stünde er bei null. Ich solle irgendwie die 500.000,- DM besorgen und bei der Bank einzahlen, damit sie ihn vom Haken ließen und seine Rechte wieder freigäben, die er unbedingt als Sicherheit für seinen Dispokredit benötige.

      Ich überlegte kurz, ob ich ihn nicht einfach rausschmeißen sollte. Dann sah ich ihn mir genauer an. Er war in Tränen aufgelöst und wirklich völlig verzweifelt. Plötzlich überkam mich dasselbe Mitleid wie einst bei der Zwergin (siehe mein Buch „Hofgang im Handstand“). Und dann gab es da noch diese unselige karmische Verbindung zwischen uns, von der ich inzwischen wusste. Also sagte ich ihm, ich würde ihm helfen. Ein letztes Mal. Danach würden sich unsere Wege trennen. Er schluckte. Kleinlaut fragte er, wieso.

      „Ich möchte keine Diskussion darüber, Jamie. Akzeptiere es oder ich werde dir das Geld nicht besorgen.“

      „Ich bitte dich nur noch dieses eine Mal darum, mir zu helfen“, flehte er.

      Noch hatte ich zwar keine Ahnung wie, aber ich sagte zu.

      *

      Am Abend desselben Tages hatte ich eine heftige Szene mit Maria, die immer unleidlicher wurde. Inzwischen half sie einmal pro Woche in unserem Lieblingsrestaurant aus. Ich bemerkte, wie fröhlich sie an dem Tag war, an dem sie zur „Arbeit“ gehen durfte. Sie war wie ausgewechselt, schminkte sich sorgfältig und verließ lächelnd das Haus. Ihr Leben war die Gastronomie, ihr Job, das wurde mir immer klarer. Ich sah in ihr wegen einer Banalität wutverzerrtes Gesicht und mir war klar, dass ich in einer Sackgasse meiner Entwicklung steckte: falscher Ehrgeiz, falsche Lebensweise, falscher Job, falsche Frau, falsche Geschäftspartner. Das musste korrigiert werden. Dringend. Andere fahren in Urlaub oder gehen einige Zeit ins Kloster oder einen Aschram. Sie reden sich ein, damit ihre Probleme zu lösen. Das war natürlich nur ein Kratzen an der Oberfläche. Ich würde mein Leben erneut radikal ändern, indem ich meinen im Knast begonnenen Weg fortsetzen würde. Aber vorher musste ich noch mein Versprechen erfüllen.

      Ich überlegte tagelang, wo ich die 500.000 DM herbekommen sollte. Theoretisch hätte ich sie von einem meiner Konten holen und mit Jamie einen Darlehensvertrag machen können, aber das kam gar nicht infrage. Dann hätte ich ihn und seine selbst erzeugten Katastrophen noch viele Jahre in meinem Dunstkreis gehabt. Während ich noch angestrengt nachdachte, rief mich ein schwerreicher Adeliger aus einem für seine Grausamkeit und Habgier berühmten Fürstengeschlecht an und lud mich in sein Schloss zum Mittagessen ein.

      Beim Lunch erzählte er mir, dass er nicht wisse, wie er sein Geld anlegen solle. Ich sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Das war´s doch. Während er von seinen diversen geschäftlichen Aktivitäten berichtete, entwickelte ich im Geiste ein Investitionsmodell auf der Basis eines steigenden Goldkurses, mit dem ich ihm eine Rendite von mehr als 20 % anbieten konnte. Ich überprüfte immer wieder seine Stichhaltigkeit und rechnete es im Kopf durch. Schließlich war ich zufrieden. Beim Nachtisch erläuterte ich es ihm und meinte, er könne einen Test mit 500.000,- DM machen. Er sagte, er würde es sich überlegen und mich anrufen. Ich wusste, dass er angebissen hatte, fuhr heim und entwarf am PC die erforderlichen Verträge.

      Bereits am nächsten Tag war er in meiner Leitung.

      „Ich habe mir deinen Vorschlag überlegt. Ich will es machen. Allerdings nicht mit 500.000,-. Kannst du auch eine Million investieren?“ fragte er mich.

      „Klar“, antwortete ich. Innerlich musste ich grinsen. Das Universum wollte mich anscheinend belohnen.

      Am Abend fuhr ich zu dem Adeligen und wir schlossen einen Vermögensverwaltungsvertrag, in dem ich die Klausel eingebaut hatte, dass ich berechtigt wäre, eine Stillhalterposition einzunehmen. Das bedeutete im Klartext, dass ich das Geld nicht zu investieren brauchte. Ich musste nur einen eventuellen Gewinn auszahlen, wovon ich nicht ausging.

      Der Adelige überwies das Geld. Als ich den Eingang auf meinem Konto feststellte, rief ich Jamie an.

      „Ich habe die Kohle für dich. Ich werde sie bei der Bank einzahlen und dann sind deine Sicherheiten wieder frei. Ach ja, noch etwas: Ich will nie wieder etwas von dir hören!“

      Ich legte auf. Und war ihn los. Für dieses Leben.

      Im Fernsehen hatte ich ein Interview gesehen, in dem ein Reporter nach dem Ende des Krieges im jetzt wieder boomenden Hanoi einen vietnamesischen Reisebürobesitzer fragte, wohin er gerne reisen würde.

      „Nach Biafra“, kam die verblüffende Antwort.

      „Warum das denn?“ fragte der Reporter nach.

      „Weil dort die Not am größten ist. Aber auch die Nächstenliebe, das Mitleid und die Hilfsbereitschaft. Wie bei uns während des Kriegs. Jetzt, wo der Wohlstand zurückgekehrt ist, sind sie verschwunden. Der Mensch braucht Druck, um menschlich zu sein.“

      Mein persönliches Biafra musste ich schleunigst finden. Wie der Vietnamese sehnte auch ich mich wieder nach der Menschlichkeit, der gegenseitigen Anteilnahme und – meiner inneren Freiheit, die wieder in große Gefahr geraten war.

      Kapitel 6

      Blume um Blume

       Nach Hause finden.

       (Jane Reichhold)

      Der Schatten des Gipfelkreuzes wurde länger. Langsam näherte sich die Sonne der Gebirgskette am Horizont.


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