Limit up - Sieben Jahre schwerelos. Uwe Woitzig
Читать онлайн книгу.saß, erzählten sie mir deprimiert, dass der Börsenhandel am Vortag eine Katastrophe gewesen wäre, weil die Bundesbank mit einer lancierten Falschmeldung die Kurse manipuliert hätte. Während ich in der Maschine von New York nach München über dem Atlantik vor mich hindämmerte war uns ein offener Verlust entstanden, der etwa eine Million US Dollar betrug. Wir diskutierten intensiv, ob wir ihn realisieren sollten oder ob die Kurse sich wieder erholen würden. Den ganzen Nachmittag saßen wir vor den Bildschirmen, aber es ließ sich kein klarer Trend erkennen. Die Kurse bewegten sich nach dem Absturz von gestern auf der Stelle.
Wir besprachen uns mit unseren Brokern, aber die hatten auch keinen Plan. Sie rieten uns, abzuwarten. Also machten wir gar nichts, außer dass ich Herrn S. über die Situation informierte.
Der nahm den offenen Verlust gelassen. Er hatte gerade mit den Kursanstiegen seines Aktiendepots über 5 Millionen realisiert, was unseren Verlust in den Commodities mehr als kompensierte. Aber an seiner Stimme hatte ich gemerkt, dass er uns den Vertrag kündigen würde. Er mochte mich, aber letztendlich zählte nur der Erfolg unserer Anlagestrategie. Und die war wegen übler Machenschaften der Bundesbank gerade gefloppt.
Das alles regte mich ungeheuer auf. Ich steckte wieder mittendrin und war erneut zum Spielball der Gier und der Macht geworden. Meine im Knast gewonnenen Erkenntnisse drohten sich in Luft aufzulösen und meine alten Verhaltensmuster, in die ich zurückgefallen war, hatten mir altbekannte Probleme beschert.
Es ging auf Mitternacht zu, als ich mich schließlich von meinen beiden Jungs verabschiedete, um zu Maria in unseren Bauernhof oberhalb von Garmisch zu fahren. Die Autobahn war leer. Frustriert darüber, dass ich Trottel mich schon wieder mit offenen Verlusten an der Börse herumschlagen musste und erneut abhängig von unkontrollierbaren Ereignissen an den Finanzmärkten dieses Globus war, gab ich Vollgas und ließ die 328 PS des Porsches ihre Kraft entfalten. Auf einem geraden Streckenabschnitt näherte sich die Tachonadel gerade der 300er Marke, als weit vor mir rote Rücklichter auftauchten. Intuitiv bremste ich ab. Trotz der reduzierten Geschwindigkeit schloss ich wenig später auf das vor mir fahrende Fahrzeug auf.
Meine Vorahnung hatte mich nicht getäuscht: Es war ein blauweißer Alfa Romeo der Carabinieri. Ich bremste erneut und reihte mich hinter ihnen ein. Ein Blick auf meinen Tacho zeigte mir, dass die Jungs genau 100 km/h fuhren, obwohl 110 km/h erlaubt waren. Nach kurzer Zeit des Dahinschleichens reichte es mir. Ich scherte aus und fuhr mit exakt 110 km/h langsam an ihnen vorbei. Kaum hatte ich sie überholt, schalteten sie ihr Blaulicht ein und passierten mich.
„Follow me, Polizia“ knallte es mir in einem grellen Rot durch ihre Heckscheibe entgegen. Sie lotsten mich mit 100 km/h zum nächsten Parkplatz, der gut 15 km entfernt war. Das Schneckentempo war eine Zumutung für meinen spritzigen Wagen und meine Nerven. Während ich hinter ihnen her schlich, dachte ich wütend, dass ich schon wieder von der Justiz ausgebremst wurde.
Plötzlich hatte ich eine Idee. Warum denn nicht? Wie sehr fehlten mir die angeregten Gespräche, die Authentizität, der Humor und die Schlagfertigkeit von einigen meiner Knastbrüder. Wenn ich ehrlich war, fehlte mir in Wirklichkeit die ganze Situation: das geregelte Leben, die Geborgenheit und die innere Freiheit. Vielleicht sollte ich die Gelegenheit beim Schopfe ergreifen und mich wieder einsperren lassen. Von italienischen Knästen und speziell dem in Bozen hatte ich nur Gutes gehört. Dort gab es täglich einen Liter Wein, die Zellen waren den ganzen Tag offen und man konnte immer in den Gefängnishof zum Joggen, Spazierengehen oder um sich zu sonnen. Besuch war jederzeit möglich und die Besucher durften auch Lebensmittel aller Art für die Gefangenen mitbringen.
Daraus zauberten die inhaftierten Köche dann täglich Menüs, die es mit denen in den feinsten Restaurants aufnehmen konnten.
Jeden Abend wurde getafelt, gelacht und getrunken. Das klang echt verheißungsvoll. Sicher würde ich dort wieder auf einige außergewöhnliche Figuren treffen, die sich deutlich von den „grauen Mäusen“ abhoben, mit denen ich mich gerade täglich herumärgern musste. Sie hielten mir gnadenlos den Spiegel meiner eigenen Unzulänglichkeit vor und verdeutlichten mir jede Sekunde, was für ein sinnloser Rückfall es gewesen war, wieder in das Money-Business eingestiegen zu sei. Und meine neuen Erkenntnisse und meine mir im Knast angeeignete Ethik verraten zu haben.
Die beiden Polizisten vor mir kamen mir also gerade recht. Warum sollte ich ihnen nicht eine Lektion erteilen?
„Ich bringe euch das Schwert, denn der Krieg ist der Vater aller Dinge“, hat der wahre Jesus gesagt. Die Starken kämpfen und töten, die Schwachen betrügen. Nie wieder wollte ich zu den Letzteren gehören. Schlagen nicht sogar friedliebende buddhistische Lehrer hart mit dem Zen-Stab zu, wenn ein Schüler während der Meditation wegdämmert? Also warum nicht auch ich? Wenn mein Plan funktionierte, kam ich gut aus der Situation heraus. Wenn nicht, würde ich für einige Zeit im Knast in Bozen landen.
Verlockende Vorstellung.
Kaum hatten wir den Parkplatz erreicht, traten sie wie erwartet an meinen Wagen. Der Schlankere von ihnen beugte sich zu meinem geöffneten Fenster herab und verlangte barsch meine Fahrzeugpapiere und meinen Führerschein. Es waren zwei junge arrogante Beamte, die sich anscheinend ihren kargen Sold aufbessern wollten und mich für das ideale Opfer hielten. Ein gut gekleideter deutscher Spießer in einem Luxusauto, mit dem ihm anerzogenen Respekt vor der Obrigkeit. Besonders, wenn sie in einer Uniform steckte und martialisch auftrat. Eine leichte Beute. Dachten sie. Sie irrten sich gewaltig. Ihre überheblichen Mienen verrieten mir, dass sie insgeheim die Aktion bereits als erfolgreich abgehakt hatten und sich schon überlegten, was sie mit meiner Kohle machen würden.
Normalerweise hätte ich für ihr Verhalten sogar Verständnis gehabt. Aber heute hatte ich wegen des offenen Verlustes, meines gescheiterten Lebenskonstrukts und des sich langsam bemerkbar machenden Jetlags extrem schlechte Laune.
Ich schälte mich aus dem Sportsitz des Porsches und gab die Papiere dem Sprecher der Beiden. Es war kalt und mich fröstelte etwas, was mich noch wütender machte.
Der Carabinieri warf nur einen flüchtigen Blick auf meine Papiere.
„Sie haben uns mit 170 km/h überholt. Erlaubt waren 110. Das macht 1.000,- DM Strafe, ersatzweise 20 Tage Haft“, sagte er dreist. Wohl wissend, was das für ein Unsinn war, sah er mich herausfordernd an.
„Haft!“ Das Zauberwort war Musik in meinen Ohren.
„170 km/h also. Interessant. Womit habt Ihr mich denn gemessen?“ fragte ich ruhig und trat einen Schritt vor, um die richtige Distanz zu ihnen für meinen Angriff zu haben.
„Brauchen wir nicht. Wir sind zu zweit und werden es jederzeit beeiden. Wenn Sie nicht zahlen wollen oder können, beschlagnahmen wir Ihr Fahrzeug und nehmen Sie fest“, drohte mir mein Gegenüber.
In diesem Augenblick bog ein Pulk von Motorradfahrern in den Parkplatz ein. Als sie den geparkten Polizeiwagen erblickten, dessen rotes Blinklicht mich und die beiden Carabinieri wie in einem Hollywoodfilm in Szene setzte, fuhren sie direkt auf uns zu und stellten ihre Maschinen ab. Sie stiegen ab, kamen auf uns zu und umringten uns.
„Was wollen die Pappnasen von dir, Uwe?“, fragte mich eine Stimme, die mir vertraut vorkam. Einer der Biker grinste mich an und ich erkannte einen ehemaligen Mithäftling.
Oh wundersame Fügung!
„Sie wollen mich abzocken“, erwiderte ich und grinste zurück. „Ich soll ihnen 1.000 DM geben, dann lassen sie mich weiterfahren.“
Mein Knastbruder nickte seinen Freunden zu. Die bildeten einen Kreis um mich und die beiden Polizisten. Langsam zogen sie den Ring um die beiden Carabinieri enger. Meinen beiden Angreifern wurde sichtlich mulmig zumute und der etwas dickliche Kollege griff sich ostentativ an seine Pistole.
Diese Geste gab den Ausschlag. Blitzschnell sprang mein Bikerfreund hoch und setzte den völlig überraschten adipösen Beamten mit einem Kick gegen seinen Kopf außer Gefecht. Bevor sein schlaffer Körper den Boden erreichte, wirbelte er herum und platzierte einen knallharten rechten Haken auf die Kinnspitze des völlig verblüfften Hageren. Lautlos sackte auch der zusammen und fiel neben seinen Kollegen.
Ohne sich weiter um sie zu kümmern, lief mein Ex-Mithäftling zu ihrem offen