Hüben und Drüben. Gerstäcker Friedrich

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Hüben und Drüben - Gerstäcker Friedrich


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Verhör begann jetzt mit all' seinen gewöhnlichen Formeln, und die erste Frage des Untersuchungsrichters lautete:

      „Wie heißt Du?"

      „Valerie Edmund.

      „Wie alt?"

      „Bald sechzehn Jahre.

      „Wo bist Du geboren?"

      „Ich weiß es nicht," sagte leise Valerie.

      „Du weißt es nicht?

      „Nein "

      "Wer waren Deine Eltern?"

      "Ich weiß es nicht," wiederholte das Kind noch leiser als vorher, und man sah es ihr an, welchen Kampf es ihr kostete, diese Fragen ruhig zu beantworten.

      „Das weißt Du auch nicht?" wiederholte der alte Assessor erstaunt. „Hm, Knd, das ist doch wunderbar. Hast Du denn Deinen Vater und Deine Mutter nie gekannt?"

      „Meine Mutter, ja; sie starb vor langen Jahren in Osterhagen - auch meinen Vater habe ich wohl gesehen, aber ich war damals noch ein kleines Kind, und später sagte meine Mutter daß er todt und begraben wäre in einem weiten fernen Land - weit von Osterhagen."

      „Und als sie starb?"

      „Da kam ich in das Gemeinde-Armenhaus im Dorf, und nachher in Dienst.“ /49/

      „Und Du leugnest, etwas von der Ursache des gestrigen Brandes zu wissen?"

      „Nein," sagte das junge Mädchen, mit kaum hörbarer Stimme, aber doch deutlich und bestimmt - „ich leugne es nicht mehr; ich habe es gethan!"

      „Du hast es gethan, Unglückliche!" rief der alte Assessor ordentlich erschreckt - „und was brachte Dich zu der furchtbaren That?"

      „Fragen Sie mich nichts weiter," sagte das arme Mädchen - „ich habe das Feuer angelegt, und wie ich höre, sind zwei Menschen dabei umgekommen, deshalb muß ich auch das Leben verlieren."

      „Und woher weißt Du, daß zwei Menschen dabei umgekommen sind?"

      „Heute Morgen sprachen sie auf dem Gang vor meiner Kammer davon. Irgend Jemand erzählte es einem Andern, und ich hörte es - ich muß jetzt auch sterben, und dann komme ich wieder zu meiner Mutter."

      „Aber weshalb hast Du es gethan? Du mußt doch eine Ursache dafür gehabt, Du mußt doch auch gewußt haben, welche furchtbaren Folgen es haben konnte."

      „Der alte Mann im Gemeinde-Hause, der alte Brenner," flüsterte das Mädchen, „hat mir einmal gesagt, daß man nicht alle Fragen zu beantworten brauche, die Einem das Gericht stellt. Der weiß das, denn sie haben ihn auch schon gefangen gehabt."

      „So? Ei sieh 'mal an, und wer ist das?"

      „Nun, der alte Brenner; er zog früher mit einem Leierkasten herum - jetzt ist er alt und schwach und kann nichts mehr verdienen."

      „Und der hat Dir solche Rathschläge gegeben!" nickte der Assessor; „da bist Du freilich in einer guten Schule gewesen."

      Valerie schwieg.

      „Und Du weigerst Dich, mir zu antworten, wenn ich Dich frage, was Dich dazu gebracht hat, das Feuer anzulegen?"

      ,,Ja."

      Der Assessor sah eine Weile still vor sich nieder, dann /50/ klingelte er, und als der Gerichtsdiener eintrat, befahl er ihm, die Gefangene wieder in ihre Zelle abzuführen.

      Gerade als sie das Zimmerverlassen wollte, rief sie der Assessor noch einmal und fragte:

      „Woher hast du denn die blutunterlaufenen Stellen im Gesicht? Bist du gefallen?“

      „Nein,“ sagte Valerie, „die Schulzin hat mich geschlagen, weil sie behauptete, ich hätte ihr eine silberne Schnalle gestohlen.“

      „Und hast du das n i c h t getan?“

      „Nein,“ sagte das Mädchen, drehte sich halb ab und schritt zur Tür hinaus.

      Das Verhör mit der Schulzin und ihrem Knecht dauerte nicht lange. Die Frau brachte allerdings eine Masse von Anklagen vor, aber der Untersuchungsrichter hatte zu viel mit derartigen Leuten zu tun gehabt, um nicht das Wahre daran ziemlich richtig herauszufühlen. Die Hauptsache war ja auch erledigt; die Verbrecherin hatte ihre Schuld gestanden, und der alte Beamte glaubte, die Ursache leicht in der rauhen Behandlung der vor ihm stehenden, bösartig genug aussehenden Bauersfrau zu finden. Das Mädchen hatte in deren Haus gewiß keine guten Tage gehabt,und in der Rachsucht für erlittene Mißhandlung ließ sich das Motiv der Tat – wenn diese darin auch keine Entschuldigung fand – wohl erklären.

      Übrigens schlug die Schulzin vergnügt in die Hände, als ihr der Kriminalbeamte mitteilte, daß die Gefangene ihre Schuld eingestanden habe, und schrie:

      „Ich wußt‘ es, ich wußt‘ es, kein Mensch weiter konnte es gewesen sein wie der Balg, und wnn ich jetzt nur noch erlebe, daß sie die Brandstifterin an den Galgen hängen, denn das hat sie hundertmal verdient!“

      Die Untersuchung war aber damit nicht etwa geschlossen, denn der alte Assessor zitierte nach und nach das ganze Hauspersonal der Schulzin wie auch das von Baumstetters Hof vor Gericht, und deren Aussagen bestätigten allterdings seine schon früher gefaßte Vermutung, daß die Waise nämlich kein ursprünglich böses, wenn auch sehr vernachlässigtes Kind gewesen und wohl nur durch rauhe Behandlung zu der verbrecherischen Tat, die nicht einmal eine vorbedachte genannt werden konnte, getrieben worden. Auch ihre Jugend kam dazu, um Milderungsgründe zur Geltung zu bringen.

      In der nämlichen Zeit gab sioch der Assessor die grüßte Mühe, um etwas Näheres über die Mutter der Gefangenen zu erfahren, aber alle darauf gewandte Mühe blieb umsonst, denn die unruhige Zeit, in welcher sie damals das Dorf aufgesucht, verwischte jede Spur. Er fuhr selbst nach Osterhagen hinüber und zog bei dem Schulzen genaue Erkundigungen ein, und hörte wohl, daß damals ein Leintuch mit dem Zeichen einer adligen Herrschaft gefunden sei, wo es aber geblieben, wußte niemand zu sagen. Es war derzeit mit verauktioniert worden, und auch auf die Buchstaben konnte sich keiner mehr erinnern. Selbst der Schmuck, den Valerie noch von ihrer Mutter trug, und den er später untersuchte, gab keinen Anhaltepunkt; es war ein einfaches, goldenes Kreuz mit dem Buchstaben V. darin, und der Trauring trug nur ein Datum und eine Jahreszahl.

      In Osterhagen hatte es der Assessor aber auch nicht versäumt, das Gemeindehaus zu besuchen, wo er Brenner noch auf seinem Lager traf und sich natürlich mit ihm in ein längeres Gespräch einließ. Der alte Bursche aber, der bald genug den Polizeimann und Kriminalbeamten in ihm erkannte – denn er hatte mit derlei Herren wohl mehr Erfahrung gesammelt, als er gewöhnlich gern eingestand – war anfangs ungemein scheu und zurückhaltend und beantwortete alle an ihn gerichteten Fragen außerordentlich vorsichtig. Erst als der Assessor das Gespräch auf den Schulzen und die Behandlung der Gefangenen dort im Hause brachte, wurde er warm und entwarf jetzt eine so düstere Schilderung von den Leuten, daß der Beamte wohl merken mußte, es lauere auch viel eigener Haß in dem Bericht. Brenner behauptete auch dabei mit der größten Bestimmtheit, daß die „Falleri“ unschuldig an dem Brande sei, sie wäre noch den Abend spät auf dem Gottesacker und dann bei ihm im Hause gewesen und nachher schnurstracks in die Stadt hinübergegangen.

      „Und woher wißt I h r das, Mann?“ fragte der Assessor. /52/

      „Woher ich das weiß?" rief Brenner; „weil's die Falleri gesagt hat, und die hat noch nie in ihrem Leben gelogen; eher bisse sie sich die Zunge ab."

      „So," nickte der Beamte; „wenn Ihr das also selber bestätigt, so werdet Ihr auch wohl glauben müssen, daß die Edmund das Haus angezündet, denn sie hat es selber vor Gericht gestanden."

      „Den Teufel hat sie!" schrie der alte Bänkelsänger und fuhr erschreckt in seinem Bett empor - „aber das ist nicht möglich!"

      „Nicht möglich?- und weshalb nicht?"

      „Hm," knurrte der Alte, „möglich ist Alles auf der Welt, selbst, daß ich noch einmal hunderttausend Thaler in der Lotterie gewönne, aber - die Falleri hätte selber freiwillig gestanden,


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