Karibisches Reisetagebuch. Ludwig Witzani

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Karibisches Reisetagebuch - Ludwig Witzani


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Auch die in der Überlieferung oft erwähnten „Taino“- Indianer gehörten zu dieser Großgruppe. Ihre Kultur wurde vernichtet durch die (3) sogenannten „Kariben“, kriegerische Stämme aus Venezuela und Guyana, die einige Jahrhunderte vor Kolumbus auf die „karibischen“ Inseln übersetzten. Folgte man der spanischen Überlieferung, handelte es sich bei den Kariben um blutrünstige Eroberer, die die bereits ansässigen Indianer gnadenlos ausrotteten. Ob es sich wirklich so düster mit den Kariben verhielt, sei dahingestellt, dass die Kariben aber Menschenfresser waren, steht fest. Wenn sie keine Taino mehr fanden, die sie massakrieren konnten, bekämpften und verspeisten sie sich auch gegenseitig, bis sie in Gestalt der Europäer auf noch größere Schlächter trafen, als sie es selbst es waren. Soweit die Perspektive einer eurozentrischen Geschichte, die man gerechterweise durch eine karibische Überlieferung ergänzen müsste. Da es die aber nicht gibt, schwankt das Bild der Kariben ganz erheblich in der Geschichte, wenngleich das, was man über ihren Untergang weiß, dazu angetan ist, mindestens Anteilnahme zu erwecken – denken wir nur an die kriegerischen „Black Caribbeans“, die sich nicht unterpflügen ließen und es als „Garifuna“ bis nach Belize und Honduras schafften (vgl. S. 55ff. und S 157ff.). Fest steht auf jeden Fall, dass die Kariben der Kleinen Antillen länger durchhielten als ihre Verwandten auf den Großen Antillen, also auf Kuba, Hispaniola, Puerto Rico oder Jamaika, ganz einfach, weil die Kleinen Antillen kaum Bodenschätze besaßen und deswegen von den Europäern lange Zeit links liegen gelassen wurden. Übrigens leben die letzten halbwegs „unvermischten“ Kariben heute in einem „Reservat“ (!) im Norden Dominicas, das jeder verlassen muss, der exogam heiratet. Ein auf diese Weise schrumpfender Genpool, der unausweichlich Schwachsinn und Missbildungen generiert, markiert das traurige Finale der karibischen Ethnie.

      Die Geschichte der europäischen Mächte in der Karibik ist kompliziert, kann aber auf einige vereinfachte Grundmuster zurückgeführt werden. Am Anfang waren die Spanier, die die Großen Antillen unterjochten, die Indianer versklavten oder durch eingeschleppte Seuchen ausrotteten. Ihre Zentren waren und blieben Hispaniola, Kuba und die Festlandskaribik Mittelamerikas. Ihnen ging es nicht in erster Linie um Plantagenwirtschaft sondern um die Ausbeutung von Bodenschätzen und die Sicherung der Karibik als Ausgangspunkt ihrer Silberflotten nach Europa.

      Schon ab dem frühen 17. Jhdt. begannen Niederländer, Engländer und Franzosen in die Karibik einzudringen. In einem wechselvollen Auf und Ab setzten sie sich auf verschiedenen Inseln fest und verteidigten jede Eroberung mit Zähnen und Klauen. So behaupteten sich die Niederländer auf Aruba, Curacao und Bonaire, die Franzosen eroberten Martinique, Guadeloupe und eine Reihe benachbarter Inseln, während die Engländer nach der Eroberung Jamaikas auch in den Kleinen Antillen mehr und mehr die Vorherrschaft gewannen.

      Die hohe Zeit der karibischen Piraterie, die noch heute das Bild der karibischen Geschichte prägt, währte hingegen nur kurz. Nachdem in der 2. Hälfte des 17. Jhdts. auf der Insel Tortuga nördlich von Hispaniola und in Port Royal auf Jamaika regelrechte Piratenzentren entstanden waren, von denen aus die gesamte Karibik terrorisiert wurde, sorgten die europäischen Seemächte bis zur Jahrhundertwende dafür, dass das einträgliche Plantagengeschäft nicht durch das Piratenunwesen beeinträchtigt wurde. Übrigens besaßen die Kleinen Antillen für die Überfahrt nach Europa eine optimale geographische Position, weil sie sich als „Insel über dem Wind“ in einem Windkanal befanden, in dem die Segelschiffe jener Tage schnell und sicher nach Europa segeln konnten.

      Bei der im 17. Jhdt. entstehenden und im 18. Jhdt. blühenden Plantagenwirtschaft handelte es sich vor allem um den Anbau von Tabak und Zuckerrohr, wobei diese Nutzpflanzen ganz unterschiedliche ökonomische und soziale Implikationen besaßen. Tabak war „die Frucht des kleinen Mannes“, weil der Tabakanbau sich auf kleinen Plantagen vollzog, auf denen die Eigentümer selber mit Hand anlegten. Der Zuckerrohranbau, den die Holländer in die Karibik einführten, erforderte dagegen viel größeren Kapitaleinsatz, weil die teuren Maschinen und die Zuckermühle amortisiert werden mussten.

      Die höhere Nachfrage nach Zucker führte zur sogenannten „Zucker-Revolution“ des 17. Jhdts., die zum Verschwinden von Kleinbesitz und zur Entstehung großer Plantagen führte. Es war nicht zuletzt diese ausgedehnte und profitable Plantagenwirtschaft auf den Kleinen Antillen, die die millionenfache Verschleppung afrikanischer Sklaven nach sich zog. Damit kommen wir zur Sklaverei, die untrennbar mit der Geschichte der Karibik verbunden ist, weil die Mehrzahl ihrer Bewohner aus den Nachkommen verschleppter Sklaven besteht.

      Der transatlantische Sklavenhandel der europäischen Mächte gehört zu den dunkelsten Kapiteln der europäischen Geschichte, und das ganz unabhängig davon, dass dieser transatlantische Sklavenhandel ohne die Mithilfe afrikanischer Reiche unmöglich gewesen wäre und dass es auch einen ähnlich umfangreichen Sklaventransfer in den islamischen Kulturraum gegeben hat.

      Hinsichtlich der quantitativen Ausmaße des transatlantischen Sklavenhandels existiert mittlerweile eine zuverlässige Datengrundlage in Gestalt der Dokumentation „The Transatlantic Slave Trade“ aus dem Jahre 1999, die seit 2008 in einer erweiterten Fassung vorliegt. Sie dokumentiert 34.808 transatlantische Sklavenfahrten, das sind 77 Prozent aller vermuteten Fahrten. Auf diesen Fahrten wurden zwischen dem 16. und 19. Jhdt. insgesamt 10.125.456 Afrikaner eingeschifft und 8.733.592 ausgeschifft, was einen durchschnittlichen Verlust von 13,7 Prozent auf der Reise bedeutet. Zusammen mit einigen anderen Parametern ergibt sich eine geschätzte Gesamtzahl von etwa 12,5 Millionen Sklaven, die vornehmlich aus dem Westen und dem Südwesten Afrikas über den Atlantik verschleppt wurden.

      Weitgehend unbekannt ist, dass der Großteil des transatlantischen Sklaventransfers zwischen Südwestafrika und Brasilien abgewickelt wurde. Etwa 45 % der 12,5 Millionen Sklaven gingen zwischen 1500 bis 1888 nach Brasilien. Rio de Janeiro und Salvador de Bahia waren die beiden größten Sklavenumschlagplätze der Welt, der Hafen von Recife in Nordbrasilien folgte auf dem vierten Platz.

      22 % der 12,5 Millionen Sklaven, also fast drei Millionen Afrikaner, wurden in die englisch-französisch-niederländische Karibik verschleppt. Rechnet man die spanische Karibik mit Kuba und Hispaniola hinzu (12%), war die Gesamtkaribik der Zielort für etwa ein Drittel aller transatlantischen Sklaventransporte. Das spiegelt auch die Liste der bedeutendsten Anlaufpunkte des transatlantischen Sklavenhandels wieder. Nach Rio und Salvador de Bahia als größten Sklavenumschlagplätzen der Geschichte folgten Kingston auf Jamaika auf dem dritten, Brigdetown auf Barbados auf dem fünften und Martinique auf dem neunten Platz. Havanna auf Kuba belegte den fünften Platz vor Haiti auf dem sechsten Rang. Charleston in South Carolina, der größte Sklavenumschlagplatz Nordamerikas, taucht in dieser traurigen Liste erst an 10. Stelle auf.

      Bei diesen Zahlen hätte man eigentlich von einer Explosion der Sklavenbevölkerung ausgehen müssen. Dem war aber nicht so. Die Sklavenbevölkerung in der Karibik (aber auch in Brasilien) stagnierte lange Zeit oder sank sogar, so dass eine unablässige Sklavennachfuhr erforderlich war. Das lag nicht nur an der hohen Sterblichkeit angesichts extremer Arbeitsbedingungen sondern auch an der geringen Zahl der Frauen und einer extrem hohen Kindersterblichkeit. Bemerkenswert auf der anderen Seite war, dass sich trotz der gnadenlosen Arbeit auf den Zuckerplantagen im Laufe der Zeit eigene kulturelle Strukturen herausbildeten, die das Leben der schwarzafrikanischen Bevölkerung bis heute mitbestimmen. (Candomble, Santeria, Voodoo etc., ebenso eigene Formen der Musik und der Instrumentierung).

      Die unmenschlichen Arbeitsbedingungen auf den Zuckerrohrplantagen führten immer wieder zu Sklavenaufständen, die alle scheiterten – bis zum größten von ihnen, dem großen Sklavenaufstand auf Haiti, der zusammen mit dem anschließenden Bürgerkrieg zum Menetekel der karibischen Sklavenökonomie wurde. Die Vernichtung der weißen Pflanzerschicht auf Haiti am Beginn des 19. Jahrhunderts gehört zu den großen Rachedramen der Geschichte.

      Der Rückgang der karibischen Sklaverei hatte aber auch noch andere Gründe. Eine wesentliche Rolle spielte die britische Anti-Sklavenbewegung, die man als die erste demokratische Massenbewegung der Neuzeit bezeichnen kann. Sie trug maßgeblich dazu bei, dass die Sklaverei im Britischen Empire ab 1833 verboten wurde. Das Ende der Sklaverei im Britischen Weltreich generierte


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