Vermisst in Nastätten. Ute Dombrowski

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Vermisst in Nastätten - Ute Dombrowski


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ihr nicht wegfahren? Wozu hast du einen Baum gekauft?“

      „Ich habe den nicht gekauft, den haben Reiner und Jennifer gebracht. Reiner führt irgendwas im Schil­de.“

      Lene stutzte.

      „Warum? Weil er dir einen Weihnachtsbaum gekauft hat?“

      Undine riss ihren Blick von dem Baum los und zog Lene hinter sich her in die Werkstatt. Dort war es kuschelig, der kleine Holzofen strahlte eine große Hitze aus, sodass Lene sofort die Jacke auszog und auf Zorros Couch ablegte. Sie setzte sich an den großen Tisch und nahm die Teetasse, die Undine ihr hingestellt hatte, zwischen ihre Hände.

      „Was ist denn los? Habt ihr Ärger?“

      Undine lachte.

      „Im Gegenteil. Es ist harmonisch wie verrückt. Erst hatte ich die Kette im Schuh, von der ich dir erzählt hatte, dann habe ich Reiner überlistet, mit mir auf dem verkaufsoffenen Sonntag einkaufen zu gehen und er hat nicht wie immer nur gemeckert. Er hat sich wirklich zusammengerissen. Und eben kommt er mit einem Weihnachtsbaum. Da muss man einfach misstrauisch werden.“

      „Sei doch froh, dass er so friedlich ist. In der Adventszeit muss man nun mal netter sein als sonst. Das hebt die Stimmung.“

      Undine dachte nach. Reiner und sie waren alles andere als harmoniesüchtig und es störte sie, dass es in ihrer Beziehung gerade so ruhig war.

      „Es ist nur … mir fehlt die Reibung. Ich wollte nie einen Mann, aber einen Ja-Sager nun schon gar nicht. Ich will mich streiten und versöhnen, ich will mich nicht dauernd freuen müssen.“

      Lene legte einen Arm um ihre Freundin.

      „Du bist total ungerecht. Reiner gibt sich Mühe und das ist auch richtig. Es wird schon wieder eine Möglichkeit ergeben, sich ordentlich zu streiten.“

      „Meinst du?“

      Lene nickte mit ernstem Gesicht.

      „Lass mal Weihnachten vorübergehen, dann fängst du einen netten kleinen Streit an und schon geht es dir wieder gut.“

      Undine lachte, als die Tür aufging.

      „Jasmin!“, riefen Undine und Lene gleichzeitig.

      „Da bist du ja endlich. Dann können wir los. Ich dachte schon, du kommst nicht mehr pünktlich. Was hat denn so lange gedauert?“

      Jasmin war beim Arzt gewesen und stöhnte jetzt.

      „Trotz Termin hat es ewig gedauert. Und nun ratet mal, wen ich dort getroffen habe!“

      „Günther?“

      „Nein!“

      „Anna?“

      „Nein!“

      „Dann sag es!“, fuhr Undine sie ungeduldig an.

      „Michelle.“

      „Welche Michelle?“

      „Na, die Tochter von Sabine. Und stellt euch vor: Sie hatte eine aufgeplatzte Lippe und ein blaues Auge.“

      „Ach!“, entfuhr es Undine.

      Sie kniff die Augen zusammen und Lene beugte sich ein Stück vor.

      „Was hatte sie denn für eine Erklärung?“

      „Wofür?“

      Lene seufzte.

      „Für die Verletzungen.“

      „Ach ja, sie ist mit dem Rad gestürzt.“

      Lene bohrte weiter.

      „Hatte sie noch andere Verletzungen? Wenn man mit dem Rad stürzt, dann tut man sich zum Beispiel am Arm weh.“

      „Davon hat sie nichts gesagt. Können wir jetzt einkaufen gehen?“

      Die drei brachen auf, aber Undine und Lene ließ der Gedanke an Michelle nicht los. Jasmin redete unaufhörlich, was beim Arzt los war und so fiel es ihr nicht weiter auf, dass die beiden anderen Frauen so wortkarg waren.

      „Jetzt muss ich doch über Weihnachten Antibiotika nehmen und kann nicht mal ein Glas Wein trinken.“

      Sie sah Undine nicken.

      Nun waren sie am Supermarkt angekommen und teilten sich einen Einkaufswagen. Während sie durch die Reihen drängten und dabei den einen oder anderen Bekannten begrüßten, legten sie ihre Lebensmittel in den Wagen. An der Kasse stand eine lange Schlange.

      „Hat dir der Arzt etwas verschrieben?“, fragte Undine Jasmin und sah, wie diese einschnappte.

      „Ihr habt mir gar nicht zugehört. Ich habe das alles ausführlich erzählt. Dann eben nicht. Ich könnte sterben und ihr würdet es nicht mitbekommen.“

      „Ach was! Entschuldige“, sagte Undine zerknirscht.

      „Ich muss Antibiotika nehmen.“

      Lene fragte: „Und warum hast du Wein gekauft?“

      Mit verkniffenem Blick sagte Jasmin: „Es ist Weihnachten! Da braucht man auch Geschenke. Aber lass gut sein. Euch erzähle ich nichts mehr. Was ist denn so interessant, dass ihr mich total ausgeblendet habt? Habe ich etwas verpasst?“

      „Michelles Verletzungen gehen mir nicht aus dem Kopf. Zusammen mit der Zurückhaltung von Sabine und diesem komischen Robert ist das schon auffällig.“

      Sie waren dran, legten ihre Waren auf das Band und packten auf der anderen Seite alles ein. Erst auf dem Rückweg fiel Jasmin Undines Bemerkung wieder ein.

      „Was denkst du denn, was passiert ist? Dass Robert Michelle verprügelt hat oder was?“

      „Nein!“

      „Was dann?“

      „Ich weiß nicht, aber ich habe ein merkwürdiges Gefühl.“

      „So ein Blödsinn. Der Mann ist Banker und sie ist bis über beide Ohren verknallt und überglücklich. Dazu sieht der Mann noch gut aus und hat anständige Manieren.“

      Undine schwieg, aber in ihr rumpelten die Gedanken umher wie umgefallene Kegel beim Bowling.

      „Das werden wir ja sehen. Ich gehe dem auf den Grund.“

      Sie trennten sich auf dem Hof und jede brachte ihre Einkäufe unter. Dann setzte sich Undine an den Tisch, nahm einen Block und einen Stift und schrieb ihre Gedanken zu Sabine und Michelle auf. Am Ende malte sie „ROBERT“ unter die Stichpunkte und setzte ein großes Fragezeichen daneben.

      Das musste sie klären.

      Kurz entschlossen machte sie sich auf den Weg zu Sabine, kam aber enttäuscht wieder heim, weil niemand geöffnet hatte. Sie nahm sich vor, am Abend mit Reiner darüber zu reden, verwarf den Plan aber wieder, denn sie ahnte, dass er ihr einen Vogel zeigen würde. Dabei wäre es eine fantastische Gelegenheit, sich mal wieder zu streiten, aber sie wollte Lenes Ratschlag beherzigen und bis nach Weihnachten warten.

      „Ich werde schon herausfinden, was los ist!“

      4

      Am nächsten Morgen war es ein bisschen milder, aber dicke Wolken kündigten etwas an, was es lange nicht mehr gegeben hatte: Schnee. Undine streckte ihre Na­se in den Morgen, als sie sich mit Zorro auf die übliche Runde machte und nickte.

      „Es wird schneien. Es riecht förmlich nach Schnee. Komm Zorro, hol das Stöckchen!“

      Sie warf den Ast von gestern, den der Hund aus dem Garten mitgeschleppt hatte, weit weg und Zorro raste los. Fröhlich hechelnd kam er zurück und legte den Ast in Undines Hände.

      Jetzt fielen ihr Michelles Verletzungen ein. Das Mädchen war aufgeblüht, nachdem sie ihre belastenden Gedanken losgeworden war, hatte Freunde gefunden und war aktiver und ausgeglichener. Sie bereitete sich auf das Abitur


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