Odyssee Korsika. Matthias Arndt
Читать онлайн книгу.Mit einem durchaus gemischten Gefühl voller Hoffnung und Zuversicht verabschiedete sich Kersten von seinem Gastgeber aus Shanghai. Der Weg danach führte ihn anschließend zur nächstgelegenen Underground Station, von wo aus er die Zentrale des Londoner Bankhauses nach nur wenigen Schritten erreichte. Die Geschäftstätigkeit innerhalb des Bankhauses war allgegenwärtig zu vernehmen. An manchen Tagen herrschte ein regelrechtes Chaos, weil die Aktienmärkte durch das ständige Auf und Ab für Nervosität sorgten. Brian leitete als Mitglied des Vorstandes jenes Bankhaus, für das Kersten auch in London arbeitete. Des Öfteren musste sich Kersten von einigen Vorstandsmitgliedern aus London anhören, dass seine Bemühungen in den zuständigen Geschäftsfeldern moderat ausfielen. Das war auch eines der Gründe, weshalb sich untereinander ein Kräftemessen entwickelte, was an dem kollegialen Verhalten ums Miteinander zerrte. Auch gab es in der Bank sogenannte Überflieger, die sich zwar an den Marktwerten orientierten, aber oft genug für Furore sorgten, angesichts mangelnder Erfahrungen und dann wie Heuschrecken über einzelne Aktientitel herfielen. Andere wiederum versuchten mit ambitionierter Gelassenheit auf Kursschwankungen zu reagieren, indem sie auf langfristige Erfolge setzten. Ihre Aufgaben erledigten sie oft verschwiegen und routiniert.
Es dauerte nicht lange bis Brian sich bei Kersten am Arbeitsplatz meldete.
>>Kennen sie schon die aktuellen Meldungen aus der Stadt Frankfurt am Main?<<, fragte Brian.
>>Nein<<, entgegnete Kersten.
>>In dem Bankhaus in Frankfurt gab es offenbar Unregelmäßigkeiten im Backoffice….<<.
Geschockt saß Kersten auf seinem gepolsterten Lehnstuhl und brachte kein Wort über die Lippen. Wie konnte das sein, hatte er doch nie etwas von Unregelmäßigkeiten aus dem Umfeld seines Kollegenkreises gehört. Er mutmaßte ganz und gar, dass es sich hierbei lediglich um eine Falschmeldung handeln könnte, denn die Finanzierung im Bankhaus war stets konsolidiert. Anders verlautende Meldungen waren ihm fremd. Einen Augenblick später zeigte Brian ihm einen Auszug aus der aktuellen Ausgabe einer Abendzeitung. Eifrig studierte Kersten die Meldung, die zu einem ungünstigen Zeitpunkt kam. Es war die Rede davon, dass das Bankhaus in Frankfurt am Main auf faulen Krediten saß, die das Eigenkapital der Bank um einiges übersteige. Noch nie habe er derartige negative Schlagzeilen zur Kenntnis nehmen müssen. Brian zeigte sich unentschlossen, dachte aber zugleich über eine Kapitalerhöhung oder Finanzspritzen ausländischer Geldgeber nach. Notfalls müsse eben der deutsche Staat eine Bürgschaft leisten, um die Bank vor einem exzessiven Untergang zu bewahren. Auch eine Akkreditierung des börsennotierten Wertpapierhandels schloss Brian nicht mehr aus, um letztendlich das Bankhaus vor allzu großen Kursschwankungen zu bewahren. Eine interne Revision hatte den Fall öffentlich gemacht, was Kersten dazu veranlasste, noch sorgsamer als sonst mit dem Geld seiner exponierten Kunden umzugehen. Nur zu gut wusste er, dass er sich keine Fehler erlauben durfte. Auch dachte er darüber nach, dass eine Fehlentscheidung im gehobenen Management für die Misere mitverantwortlich sei, was ihn dazu bewog, Erkundigungen in Frankfurt einzuholen. Jedoch niemand vermochte es ihm derartige Erklärungen mitzuteilen, denn das Bankhaus vermittelte immer ein Gefühl von Beständigkeit und Stabilität. Konnte er jetzt einfach so zum Tagesgeschäft übergehen und fleißig Neukunden für sein Portfolio akquirieren oder sollte er Distanz gegenüber den chinesischen Investoren bewahren. Das alles bereitete ihm Kopfzerbrechen, mehr als er sich das jemals vorstellen konnte.
Es war schon kurz vor Feierabend, als Brian ihn zu einer außerordentlichen Konferenz in sein Arbeitszimmer lud. Obwohl er doch keine persönliche Rechenschaft ablegen musste, so sorgte allein die Anwesenheit eines eigens angereisten Publikums aus der globalen Finanzwelt für ein eher unscheinbares und mulmiges Gefühl. Die Konferenz in Brians Arbeitszimmer begann mit einer Krisensitzung. Mit angespannter Miene verfolgten alle Anwesenden den Verlauf der Sitzung, um am Gesprächsstoff teilzuhaben. Eine junge Dame im gedeckten Kostüm machte sich auf Ihrem Laptop Notizen zum Meeting, wobei sie zuweilen aus ihrer Deckung aufschaute und das Publikum ihrerseits musterte. Die Lage war äußerst angespannt und kompliziert. Nicht einer aus den eigenen Reihen wollte etwas beschönigen und dennoch blieb nicht viel Zeit für den Freigeist, weil alle wussten was auf dem Spiel stand. Der Abend zog sich geradezu in die Länge, als plötzlich jemand mit der Faust auf den Tisch schlug. Es war Brian, der eine offene Konfrontation suchte.
>>Wir können doch nicht so tun, als wenn nichts gewesen wäre, denn schließlich handele es sich hierbei um Bilanzmanipulationen und nicht um unautorisierte Transfers<<.
Es wurde still in der Runde und niemand wollte irgendetwas in Frage stellen. Brian wurde wütend, weil keiner aus der Runde etwas sagen oder irgendein Kommentar abgeben wollte. Er werde gegen jede Art der ungetreuen Geschäftsbesorgung rigoros vorgehen. Notfalls wolle er um ein Rechtshilfeersuchen bitten und die Schuldigen beim Namen nennen. Eine Zerschlagung der Bank sollte vorerst keine Alternative sein. Er machte aber auch klar, dass die Frankfurter Zweigstelle Prioritäten setzen müsse und sich nicht unabdingbar zu geplanten Reformen entgegenstellen sollte. Gegenseitige Schuldzuweisungen seien wohl fehl am Platz. Schließlich bestehe die Partnerschaft schon seit dem letzten Jahrhundert und man habe ja schon so manche Krise gut überstanden. Die ökonomischen Folgen seien ohnehin in einer globalisierten Zivilisation schwer kalkulierbar, was das Vertrauensverhältnis mitunter auf eine harte Probe stellt. Die angereisten Banker begrüßten Brians Vorschlag, aus deren Quelle sie neue Hoffnung schöpften.
Kapitel 3
Am nächsten Tag flog Kersten Kramer mit British Airways vom Flughafen Heathrow direkt nach Frankfurt am Main, um sich einen Überblick von der aktuellen Lage in dem Bankhaus in Frankfurt zu verschaffen. Mit seinem Rolli und der Aktentasche konnte er problemlos den check out am Airport passieren, was ihm letztendlich lästige Wartezeiten an der Gepäckausgabe ersparte. Vom Flughafen aus mit dem Taxi erreichte er alsbald das Bankhaus in der Mainmetropole. Hastig eilte er die letzten Schritte zu Fuß zum Fahrstuhl, der ihn samt Gepäckstück in die siebte Etage des Gebäudes brachte. Niemand zeigte sich auf den Fluren und Gängen, die sonst so lebhaft frequentiert wurden. Es war ja schließlich Freitag nachmittag und das Wochenende stand kurz bevor, weshalb sich Kersten keine ernstzunehmenden Gedanken darüber machte. Noch bevor der Rechner in seinem Büro auf Hochtouren lief, erkundigte er sich über das aktuelle Börsengeschehen an der Londoner Börse. Ein Analyst, der für eine der bekanntesten Ratingagenturen in den USA arbeitet, hatte die Aktientitel der Bank in Frankfurt auf Ramsch Niveau herabgestuft. Diese Meldung schlug ein wie der Blitz, von dem sich Kersten an diesem schwarzen Freitag nur schwer erholte. Sollte es sich hierbei tatsächlich um eine wahre oder unbestätigte Aussage eines einzelnen oder anderenfalls um einen möglichen Irrtum handeln, so konnte diese Mitteilung verheerende Folgen für die gesamte Finanzbranche nach sich ziehen. Allen Analysen zum Trotz, so konnte von einer fortbestehenden Beständigkeit oder Nachhaltigkeit absolut keine Rede mehr sein. Kersten durchforstete sämtliche Depots seines Portfolios auf irgendwelche Unregelmäßigkeiten die er vermutete, doch hierzu gab es keinerlei Anzeichen für derartige Sicherheitslücken, die ihm persönlich schweren Herzens Sorgen bereitet hätten. Er schlussfolgerte daraus, dass der Fehler entweder von einem Bankmitarbeiter, Informanten oder selbst vom EDV - System der Bank stammte. Um das zu klären, verschaffte er sich Zugriff auf den Hauptserver der Bank, der mit einer zusätzlichen Sicherheitsabfrage und zwei Passwörtern gesichert wurde. Allzumal wusste er, was auf dem Spiel stand, um seine Existenz als Bankangestellter zu bewahren. Denn schließlich ging es nicht allein nur um seine Karriere, sondern vielmehr um die Zukunft der Bank. Zudem gab es einige Banken im Umfeld die nicht reguliert waren, aber die Netzstrukturen allein kannte niemand. Nach ein paar Mausklicks öffnete sich der unscheinbare Datenbestand der unzählige Fix Werte erfasste, die auf lokalen Trägern zum Vorschein kamen. Darauf befanden sich sämtliche Vorgänge von Transfers aus dem letzten Quartal. Was er aber in dem Moment entdeckte, verschlug ihm fast die Sprache. Unautorisierte Transfers an Fondsgesellschaften, die an Domizilgesellschaften auf sogenannte Offshore Plätzen mit hohem Risiko hinterlegt waren. Als Beneficial Owner im Formular A war ausgerechnet Brian aus London eingetragen. Nie hätte er sich so etwas auch nur ansatzweise vorstellen können. Schon gar nicht einen überproportionalen Kreditausfall der Bank in Höhe eines fast neunstelligen Betrages. Noch bis in den späten Abend hinein studierte Kersten die Datenflut an Informationen die der Zentralrechner hergab,