Die Natur heilt. Georg Groddeck
Читать онлайн книгу.möchte an einigen Beispielen klarmachen, was ich meine. Da ist der Stuhl, gewiß ein sehr bequemes Möbel. Aber er hat eine zu große Anziehungskraft, der Mensch bleibt darauf kleben, er versitzt sein Leben. Man sollte alles, was sich im Liegen oder Umhergehn tun läßt, auch so ausführen, etwa den Unterricht möglichst ins Freie legen und im Wandeln, peripatetisch erteilen. Die Alten taten es vielfach. Sie aßen auch liegend, und wir täten gut, ihnen darin nachzuahmen. Die Gewohnheiten unterbrechen, das ist eins der vornehmsten Heilmittel.
Der Mensch ist in gewissem Sinne das Produkt seines Lebens. Seine Gewohnheiten machen ihn krank. Und wie kann sich irgendwer rühmen, frei zu sein, wenn er der Sklave seiner Gewohnheiten ist? Da sind die guten Wege, die elektrischen Bahnen, die Eisenbahnen. Warum soll der Mensch noch steile Pfade bergauf und bergab klettern, wenn er das gleiche Ziel auf gebahnter Chaussee gleichsam spazierenstehend oder gar im Wagen sitzend erreichen kann? Warum soll er den Graben überspringen, wenn ein Steg da ist, vorsichtig über das Moor sich tasten, wenn ein Fahrdamm gebaut ist? Warum soll er Treppen steigen, wenn in jedem Hause ein Lift fährt? Warum vom Brunnen Wasser schleppen, wenn im Nebenraum die Wasserleitung liegt? Warum hungern und dursten und seine Zähne an harten Rinden abmühn, wenn er Nahrung vollauf hat und der Bäcker ihm morgens weiches, weißes Brot in die Wohnung schickt? Aber der Mensch braucht die Anstrengung, wenn er nicht bei lebendigem Leibe verfaulen will. Er ist wie ein Apfel, der auf dem Stroh zum Reifen liegt, er muß gewendet werden, damit nicht immer nur eine Stelle gedrückt wird.
Das Schlimmste jedoch ist die Einseitigkeit der Arbeit, die uns die Kultur gebracht hat. Man suche es doch zu verstehn, was es heißt, daß der Mensch seine Finger und Knie stets gebeugt hält, das muß zur Versteifung führen, es geht gar nicht anders, es führt auch zu schlimmerem, wie ich schon früher erwähnte. Und jener russische Arzt, der seinen Patienten täglich eine bestimmte Anzahl Gebete zu den Heiligen verschrieb, war nicht dumm; denn die griechische Kirche befiehlt, daß der Betende sich bei bestimmten Worten auf den Boden wirft und mit der Stirn die Erde berührt. Das ist ein Mittel, mehr wert als alle -ine, -ale und -ole, mit denen uns die Chemie beglückt.
Einen wichtigen Punkt in der Behandlung von Knochen- und Gelenkleiden der Beine, der oft übersehn wird, möchte ich noch erwähnen, das ist die Frage nach dem Körpergewicht des Kranken. Eine mehr oder minder starke Gewichtsabnahme ist unter Umständen für die Genesung entscheidend. Niemandem wird es einfallen, mit einem vollbeladnen Wagen weiter zu fahren, wenn eins der Räder unsicher wird. Er wirft die Ladung des Wagens erst einmal heraus, ehe er irgend etwas mit dem Rade anfängt. Leider gibt es nur wenige, die auf eine so einfache Sache auch beim Menschen achten. Und doch ist es klar, daß man ein krankes Bein nicht ebenso belasten kann, wie ein gesundes. Man bleibt ja auch nicht auf einem Stuhl sitzen, dessen Bein wackelt. Ist es da so schwer zu begreifen, daß ein verletztes Bein leichter seine alte Gebrauchsfähigkeit erlangt, wenn es zehn Pfund weniger zu tragen hat, ja daß es vielleicht gar nicht gebraucht werden kann, ehe nicht diese zehn Pfund – oder fünfzig, je nachdem – weggehungert sind? Man stelle sich nur einmal zehn Pfund Butter vor, man schaue sich die Schwerfälligkeit einer Frau kurz vor der Entbindung an, oder man hänge sich als gesunder Mensch einen Sack von zehn Pfund auf den Buckel. Man wird den Unterschied schon merken.
Was tut aber der gebildete Mensch, wenn er mit gebrochnem Bein ein paar Wochen lang im Bett liegt? Er frißt sich voll. Schon aus Langerweile tut er es. Und dann sind ja die lieben Verwandten und Freunde da, die allerhand Leckerbissen mit bringen, oder zur Gesellschaft mit dem armen Bettlägrigen einen feuchtfröhlichen Bierskat spielen. Daß ein Beinkranker mit schlankem Körper ins Bett kommt und als plumper Koloß mit Bauch wieder aufsteht, ist nicht selten. Und dann wundert er sich noch, daß er nicht sofort wieder gehn kann. Seid nicht Diener des Bauchs, heißt es in der Bibel.
Auch gegen das Stocktragen der Lahmen muß ich mich verwahren. Manchmal ist er unentbehrlich, aber dann ist er eben ein notwendiges Übel. Meist verlangsamt er die Heilung und gehört ins Feuer, direkt ins Feuer, wie der Schnürleib auch, sonst greift der Kranke doch wieder danach. Und dann tut dem Manne auch die symbolische Handlung, in der gleichsam die Erkrankung mit verbrannt wird, seelisch gut. Er macht sich mit frischem Mut und guter Zuversicht ans Gehnlernen, und was nur langsam fortschritt, wird nun von Stunde zu Stunde besser.
Ein krankes Bein will geübt sein. Nur müssen die Übungen von kurzer Dauer sein und häufig wiederholt werden. Zehnmal fünf Minuten gehn ist für den Lahmen nützlicher, als einmal eine Stunde. Es kommt nicht darauf an, das Bein zu ermüden, sondern es durch Übung zu kräftigen.
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