Geschichte meines Lebens. George Sand

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Geschichte meines Lebens - George Sand


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blieben, obwohl sie von gleichem Geschlecht und verschiedener Abstammung waren — in voller Freiheit auf den großen Bäumen meines Gartens, sie entfernten sich nicht weit vom Hause und wählten besonders den Gipfel einer hohen Tanne zu ihrem Aufenthalt. Sie waren schlank, glatt und munter, und da es in der schönen Jahreszeit war, kamen sie täglich, wenn wir im Freien saßen, auf den Tisch geflogen und blieben bei uns wie liebenswürdige Gäste. Bald saßen sie auf unserer Schulter, bald flogen sie dem Diener entgegen, um die Früchte, die er brachte, noch vor uns zu kosten. [Es scheint, daß diese wunderbare Geschichte etwas sehr Alltägliches ist, denn seitdem ich dies geschrieben habe, haben wir ähnliche Beispiele gesehen: eine Brut Nachtigallen, die wir in einem Käfige aufzogen, fütterte, als sie kaum zu fressen vermochte, alle kleinen Vögel ihrer Art, die wir in denselben Käfig sperrten.]

      Obwohl sie zu uns Allen das größte Zutrauen hatten, ließen sie sich nur von mir greifen und halten, und zu jeder Tageszeit kamen sie auf meinen Ruf — den sie niemals mit dem der Andern verwechselten — von ihrem Baume herunter. Einer meiner Freunde, der aus Paris kam, war sehr erstaunt, als er hörte, daß ich Vögel rief, die in den Zweigen versteckt waren und nun gleich herbei eilten. Ich hatte gewettet, daß sie mir gehorchen würden, und da er ihre Erziehung nicht gesehen hatte, war er für einen Augenblick geneigt an Hexerei zu glauben.

      Ich habe auch ein Rothkehlchen gehabt, das in Betreff des Verstandes und des Gedächtnisses ein wunderbares Geschöpf war; dann einen Königsgeier, der für Alle ein wildes Thier blieb, aber mit mir so vertraulich lebte, daß er auf dem Wiegenrande meines Sohnes saß und leise mit seinem großen Schnabel, der scharf war wie ein Rasirmesser, die Fliegen fing, die sich auf das Gesicht des Kindes setzten. Er stieß dabei einen zarten, liebevollen Ton aus, und ging so geschickt und vorsichtig zu Werke, daß er den Kleinen niemals geweckt hat. Und doch war dieser Bursche von solcher Kraft und Willensstärke, daß er eines Tages fortflog, nachdem er einen ungeheuren Käfig umgeworfen und zerbrochen hatte, in den er eingesperrt war, weil er für Personen, die er nicht leiden konnte, gefährlich war. Es gab keine Kette, deren Ringe er nicht leicht zerrissen hätte, und die größten Hunde fühlten eine unüberwindliche Furcht vor ihm.

      Mit der Geschichte der Vögel, die ich zu Freunden und Gefährten gehabt habe, würde ich niemals fertig. In Venedig habe ich mit einem reizenden Staar zusammengelebt, der zu meiner Verzweiflung im Kanal ertrank; dann mit einer Drossel, die ich dort lassen mußte und von der ich mich nicht ohne Schmerz getrennt habe. Die Venetianer besitzen ein großes Talent zur Erziehung der Vögel, und es gab in einer Straßenecke einen jungen Burschen, der in dieser Hinsicht Wunder vollbrachte. Eines Tages setzte er in die Lotterie und gewann, ich weiß nicht wie viel Zechinen. Er verzehrte sie im Laufe des Tages bei einem großen Gastmahl, das er allen seinen zerlumpten Freunden gab. Am folgenden Tage kehrte er dann in seinen Winkel, auf die Stufen eines Landungsplatzes zurück, wo er den Vorübergehenden abgerichtete Staare und Elstern verkaufte, mit denen er sich vom Morgen bis zum Abend auf das Liebevollste unterhielt. Er fühlte weder Schmerz noch Reue, das Geld mit seinen Freunden verzehrt zu haben; denn er hatte zu lange mit den Vögeln gelebt, um nicht Künstler zu sein. An diesem Tage verkaufte er mir meine Drossel für fünf Sous. Für fünf Sous eine schöne, gute, fröhliche und unterrichtete Gefährtin zu haben, die nur einen Tag mit uns zu leben braucht, um uns für das ganze Leben zu lieben — das ist wahrhaftig zu wohlfeil. Ach, wie werden die Vögel so wenig geschätzt und so schlecht erkannt!

      Ich habe mir die Laune gestattet, einen Roman zu schreiben, in welchem die Vögel eine ziemlich wichtige Rolle spielen, und in welchem ich versucht habe etwas über Wahlverwandtschaften und verborgene Einwirkungen zu sagen. Es ist Teverino, und ich weise meine Leser darauf hin, wie ich oft thun werde, wenn ich nicht wiederholen mag, was ich früher schon besser entwickelt habe.

      Ich weiß wohl, daß ich nicht für gewöhnliche Menschen schreibe. Diese haben mehr zu thun, als sich die Kenntniß einer Reihenfolge von Romanen zu erwerben und die Geschichte eines Wesens zu lesen, das dem öffentlichen Leben fremd ist. Leute meines Handwerks schreiben nur für eine gewisse Zahl von Personen, die sich in ähnlichen Verhältnissen befinden, oder in ähnliche Träumereien verloren sind, wie sie selbst. Ich werde also nicht fürchten müssen, rücksichtslos zu sein, indem ich die, welche nichts Besseres zu thun haben, auffordere, einige Seiten von mir wiederzulesen, um diejenigen zu ergänzen, die sie vor Augen haben.

      So habe ich in Teverino ein junges Mädchen dargestellt, welches, wie die erste Eva, alle Vögel beherrscht — und hier will ich es aussprechen, daß dies durchaus nicht rein erfunden ist; ebensowenig, wie die Wunder dieser Art, die man von dem poetischen, bewunderungswürdigen Betrüger, Apollonius von Tyana, erzählt, dem Geist des Christenthums zuwider sind. Wir leben in einer Zeit, in welcher die natürlichen Ursachen, deren Wirkungen bis jetzt für Wunder gehalten sind, noch nicht gründlich erklärt werden; aber dennoch kann man jetzt schon behaupten, daß nichts an den Wundern ist, und daß die Gesetze des Universums, obwohl sie nicht alle ergründet und erklärt sind, doch der ewigen Ordnung angemessen sein müssen.

      Aber es ist Zeit das Kapitel der Vögel zu schließen, um zu dem meiner Geburt zurückzukehren.

       Zweites Kapitel.

       Von der Geburt und vom freien Willen. — Friedrich August. — Aurora von Königsmark. — Moritz von Sachsen. — Aurora von Sachsen. — Der Graf Horn. — Die Fräulein Verrières und die Schöngeister des achtzehnten Jahrhunderts.— Herr Dupin von Francueil. — Madame Dupin von Chenonceaux. — Der Abbé von St. Pierre.

      Das Blut der Könige war also in meinen Adern mit dem Blute der Armen und Geringen vermischt. Und da, was man Bestimmung zu nennen pflegt, der Charakter des Individuums ist; da der Charakter des Individuums auf seiner Organisation beruht, und die Organisation eines Jeden von uns das Ergebniß der Vermischung oder Gleichheit der Racen ist, und die immer modificirte Fortsetzung einer Folge von Urbildern, die sich an einander anreihen — so habe ich immer daraus geschlossen, daß die natürliche Erblichkeit, die des Körpers und der Seele, eine ziemlich wichtige Verbindung zwischen einem jeden von uns und unseren Ahnen bildet.

      Denn wir Alle — Große und Kleine, Plebejer und Patricier — wir Alle haben Ahnen. Ahnen heißt patres, das heißt eine Folge von Vätern, denn dies Wort hat keinen Singular. Es ist lächerlich, daß der Adel diesen Ausdruck zu seinen Gunsten in Beschlag genommen hat — als ob der Handwerker und der Bauer nicht eben so gut eine Reihe von Vätern hinter sich hätte; als ob nur der Besitzer eines Wappens den heiligen Vaternamen führen dürfte; als ob endlich die legitimen Väter in der einen Klasse häufiger als in der andern gefunden würden.

      Meine Meinung über den Adel der Geschlechter habe ich im Piccinino ausgesprochen und vielleicht habe ich diesen Roman jener drei Kapitel wegen geschrieben, in welchen meine Ansichten über die Standesvorrechte entwickelt sind. Wie man denselben bis jetzt aufgefaßt hat, ist er ein ungeheures Vorurtheil, weil er die Heiligkeit der Familie, deren Princip allen Menschen theuer und unantastbar sein sollte, zum Besten einer reichen und mächtigen Klasse in Beschlag nimmt. An und für sich ist dieses Princip unveräußerlich und darum finde ich etwas Unvollständiges in dem spanischen Spruche: „Cada uno es hijo de sus obras.“ Zwar ist es ein großer und edler Gedanke, daß Jeder der Sohn seiner Thaten ist, und durch seine Tugenden so viel gilt, als der Patricier durch seinen Rang. Aus dieser Idee ist unsre große Revolution hervorgegangen — aber es ist eine reactionäre Idee — und solche fassen immer nur eine Seite der Frage in's Auge — die Seite, die zu lange vernachlässigt und verkannt war. So ist es zwar sehr richtig, daß Jeder der Sohn seiner Thaten ist — aber es ist ebenso wahr, daß Jeder der Sohn seiner Väter, seiner Ahnen, seiner patres und matres ist. Von Geburt an sind wir mit Trieben begabt, die nichts andres sind, als die Ergebnisse des Blutes, das uns vererbt wurde — und diese Triebe würden uns wie ein schreckliches Verhängniß beherrschen, wenn wir nicht ein gewisses Maß des Willens besäßen, das jedem Einzelnen unter uns von der gerechten Gottheit verliehen wird.

      Bei dieser Gelegenheit — und das wird abermals eine Abschweifung sein — möchte ich es aussprechen, daß ich nicht an unsre vollständige Willensfreiheit glaube, und daß diejenigen, welche die fürchterliche


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